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Michael Müller bei der Wiedereröffnung des Weihnachtsmarktes Ende November 2017.

© G. Fischer/dpa

Anschlag in Berlin: Berliner Politiker erinnern sich an den 19. Dezember 2016

Die Senatoren der rot-rot-grünen Regierung waren erst kurz im Amt, als sie sich am Anschlagsort trafen – noch heute sind sie aufgewühlt.

Von Sabine Beikler

Es war eine unwirkliche Szenerie am Abend des 19. Dezember 2016 auf dem Breitscheidplatz. Gespenstige Stille lag über dem vom blauen Licht der Einsatzfahrzeuge angestrahlten, abgesperrten Bereich auf dem Weihnachtsmarkt. Polizeibeamte, Feuerwehrleute und Notfallmediziner arbeiteten ruhig und professionell, um die Opfer des Terroranschlags zu versorgen.

Von diesen Eindrücken erzählen alle Politiker, die an dem Abend am Breitscheidplatz waren. „Diese Bilder werde ich nicht mehr vergessen“, sagt Grünen-Wirtschaftssenatorin Ramona Pop. Und für FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja hätte dieser kalte Winterabend noch ganz anders ausgehen können.

Schicksalhafte Zufälle

Zum Zeitpunkt des Attentats um 20.02 Uhr saß Michael Müller bei einem Gespräch in einem Kreuzberger Restaurant am Mehringdamm. Der Regierende Bürgermeister erhielt kurz danach SMS und Anrufe. Er brach das Gespräch ab, seine Sicherheitsbeamten holten ihn ab und fuhren zügig Richtung Breitscheidplatz.

Der neue rot-rot-grüne Senat war am 8. Dezember vereidigt worden. Ganze elf Tage bekleidete damals Andreas Geisel als Innensenator sein Amt. Der SPD-Politiker traf sich an diesem Abend mit Innenpolitikern im Restaurant „Zur letzten Instanz“ unweit der Innenverwaltung, als auch er diverse Nachrichten mit dem Inhalt erhielt, dass etwas am Breitscheidplatz passiert sei, das nicht mehr als Unfall deklariert werden könne. Der Innensenator, der wie Müller ständigen Personenschutz vom Landeskriminalamt hat, wurde von den Sicherheitsleuten abgeholt und zum Breitscheidplatz gefahren. Da hatte Geisel schon mit Müller telefoniert.

Die Berliner Grünen hatten an diesem Abend eine Parteiratssitzung in der Landesgeschäftsstelle. Wirtschaftssenatorin und Bürgermeisterin Ramona Pop erhielt Twitter-Nachrichten und dann einen Anruf des Regierenden. „Es deutete sich an, dass das kein Unfall war“, erzählt Pop. Auch sie brach auf und fuhr los.

Der Innenpolitiker Hakan Tas (Linke) sah im Fernsehen eine eingeblendete Eilmeldung, dass es offenbar einen Anschlag auf dem Breitscheidplatz gegeben habe. Tas zögerte nicht lange, setzte sich in sein Auto und startete in Richtung Breitscheidplatz. Fast zeitnah begegneten sich Pop und Tas an einer Absperrung. Sie wurden nach einer Sicherheitsüberprüfung von Polizisten zum Einsatzfahrzeug geführt.

Vorbeilaufende Einsatzkräfte rieten in leisem Ton, nicht genau hinzuschauen. „Ich war geschockt und irritiert", sagt Tas. Im ersten Augenblick habe er spontan Fotos mit seinem Handy gemacht, die er dann wieder gelöscht habe.

Die Stille nach der Tat

Alle Politiker erinnern sich an diese unglaubliche Ruhe auf dem Breitscheidplatz inmitten einer Großstadt. „Es herrschte eine sachliche Atmosphäre“, erzählt Geisel, „jeder hat professionell gearbeitet“. „Es war still. Man sah die Einsatzkräfte, wie sie gearbeitet haben“, sagt Ramona Pop.

Michael Müller hat vor Ort mit der Bundeskanzlerin telefoniert. Und wegen der unklaren Sicherheitslage verständigte man sich wohl auch nach Absprache mit den Sicherheitsbehörden, dass Angela Merkel nicht zum Breitscheidplatz fahren sollte. Die Politiker sprachen vor Ort mit Polizeipräsidenten Klaus Kandt und Pfarrer Martin Germer von der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche.

Bundeskanzlerin Angela Merkel ein Tag nach dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz.
Bundeskanzlerin Angela Merkel ein Tag nach dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz.

© Michael Kappeler/dpa

Mit ihm verständigte man sich, dass am nächsten Abend ein ökumenischer Gottesdienst stattfinden solle. Vor der Andacht besuchte die Bundeskanzlerin mit Bundesinnenminister Thomas de Maizière, dem damaligen Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier und dem Regierenden Bürgermeister den Tatort des Anschlags. Die Kanzlerin legte weiße Rosen am Breitscheidplatz nieder und trug sich in das Kondolenzbuch ein, das in der Gedächtniskirche auslag.

Auch Kulturstaatsministerin Monika Grütters besuchte diesen „sehr würdevollen und einfühlsamen Gottesdienst“, erinnert sie sich. Am Vorabend wäre sie beinahe Augenzeugin des Anschlags geworden. „Ich war sehr nah dabei, nur wenige Meter entfernt. In einem Restaurant an der Kantstraße war ich verabredet mit meiner Freundin und wunderte mich auf dem Weg dorthin über das massive Polizeiaufgebot“, erinnert sich die CDU-Politikerin.

„Es hatte sich dann schnell herumgesprochen, dass es wohl ein Anschlag war. Das ist erschütternd, so nah dabei zu sein und doch selbst verschont worden zu sein. Wenn der Terror so nah einschlägt, kann einen das schon bis in seinen Grundfesten erschüttern.“

Den 19. Dezember wird auch FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja nie vergessen. „Dieser Tag war der Geburtstermin meiner Tochter.“ Am Abend habe er mit seiner Frau den Weihnachtsbaum geschmückt. „Und ich wäre abends noch auf dem Breitscheidplatz gewesen.“ 

Dort hatte die FDP ihr Charity-Kartoffelpufferbraten geplant. Der Termin musste aber kurzfristig verschoben werden. „Ich kann das heute noch nicht fassen und einordnen“, sagt Czaja. Am 25. Dezember dann wurde seine Tochter Laetitia geboren. Am 19. Dezember raste Anis Amri mit dem Lkw über den Weihnachtsmarkt. Gegenüber von niedergewalzten Buden hätte die FDP am Stand Kartoffelpuffer gebraten und verkauft – zugunsten der Opferhilfe Weißer Ring.

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