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Das Tatfahrzeug des Attentäters vom Breitscheidplatz.

© AFP

Anschlag am Breitscheidplatz: Das Vertrauen ist gestört im Amri-Untersuchungsausschuss

Geschwärzte Akten, fehlende Unterlagen, Probleme mit Zeugen: Die Opposition wirft der Regierung vor, sie behindere die Aufklärung im Fall Amri. Eine Klage ist in Vorbereitung.

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Wenn die Abgeordneten aus dem Amri-Untersuchungsausschuss einige streng geheime Akten des Verfassungsschutzes lesen wollen, können sie das nicht einfach in der dafür vorgesehenen Geheimschutzstelle im Bundestag tun. Die Abgeordneten müssen sich auf den Weg nach Berlin-Treptow machen, in das rote Backsteingebäude, wo der Verfassungsschutz sitzt. Sie müssen ihr Handy in ein Schließfach einschließen, den Schlüssel abgeben. Und sie werden in einen Raum geführt, wo sie von Verfassungsschützern beim Lesen beobachtet werden. Die Linken-Abgeordnete Martina Renner erlebte es sogar einmal, dass diese sich Notizen machten – offenbar über Renners Leseverhalten.

Die Abgeordnete bezeichnet dieses „Treptow-Verfahren“ als „reine Schikane“. Es ist aber nur ein drastisches Beispiel für etwas, das Oppositionspolitiker schon länger beklagen: „Wie die Aufklärung des schwersten salafistischen Anschlags in der Geschichte der Bundesrepublik bis heute von der Bundesregierung behindert und verzögert wird, sendet ein verheerendes Signal“, sagt der Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz. „An die Öffentlichkeit, besonders aber an die Opfer und Hinterbliebenen.“ Relevante Zeugen würden nicht benannt, Akten nur zögerlich zugeliefert und teils bis zur Unlesbarkeit „geschwärzt“.

Schon im Juni waren FDP, Grüne und Linke gemeinsam vor den Bundesgerichtshof gezogen, um Zugang zu bestimmten Akten von Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst zu bekommen. Derzeit bereiten die drei Fraktionen eine weitere Klage im Zusammenhang mit dem Untersuchungsausschuss vor, wie Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) dem Tagesspiegel sagte. Der genaue Gegenstand der Klage soll noch nicht öffentlich gemacht werden. Dem Vernehmen nach geht es aber darum, dass sich die Bundesregierung weigert, den V-Mann-Führer als Zeugen zu benennen, der für eine menschliche Quelle in Anis Amris Nähe zuständig war.

Worum genau gibt es Streit?

Im März hatte der Untersuchungsausschuss im Bundestag seine Arbeit zum Anschlag am Breitscheidplatz aufgenommen. Die verheerende Tat jährt sich bald zum zweiten Mal. Derzeit konzentriert sich der Ausschuss insbesondere auf die Rolle des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV). Auch vor diesem Hintergrund kritisieren Abgeordnete das „Treptow-Verfahren“. Renner berichtet, dass einer der Mitarbeiter, der sich bei ihrem ersten Besuch Notizen machte, später Zeuge im Ausschuss war. „Theoretisch hätte er also die Möglichkeit gehabt, sich durch die Beobachtung meines Aktenstudiums auf seine Vernehmung vorzubereiten“, meint Renner. Der FDP-Abgeordnete Benjamin Strasser findet, die Anwendung des „Treptow-Verfahrens“ behindere „die Aufklärungsarbeit und verfassungsmäßige Rechte des Parlaments massiv“.

In den Beratungssitzungen zum Ausschuss gibt es immer wieder Ärger, weil das Bundesinnenministerium (BMI) bestimmte Akten noch nicht geliefert hat. So fehlt nach Angaben aus Ausschusskreisen noch immer die „P-Akte“ – Personenakte – des Verfassungsschutzes zu Bilal Ben Ammar. Das ist jener Freund Anis Amris, der schon bald nach dem Anschlag abgeschoben wurde. Auch die „S-Akte“ – Sachakte – zur Fussilet-Moschee, wo sich Amri in Berlin öfter aufhielt und wo offenbar auch mehrere V-Leute der Sicherheitsbehörden im Einsatz waren, ist noch nicht eingetroffen. Verärgert waren Oppositionspolitiker auch, weil sie erst durch die Vernehmung der BfV-Zeugin Lia Freimuth überhaupt von der Existenz von „P-Akten“ zu Ben Ammar und Amri erfuhren. Von einer „Salami-Taktik“ der Regierung ist die Rede.

Zudem stoßen die Abgeordneten in den Akten der Geheimdienste auf viele Schwärzungen. „Es gibt keine Stringenz, warum manche Dinge geschwärzt werden und andere nicht“, sagt Renner. Teilweise, so heißt es aus Ausschusskreisen, werde wegen eines Namens ein ganzer Absatz geschwärzt.

Wegen einer anderen Sache gab es einen Eklat: Das BMI hatte in den Ausschuss eine Vertreterin geschickt, die dort bei bestimmten Zeugenbefragungen einschritt – etwa wenn die Abgeordneten etwas fragten, das in öffentlicher Sitzung nicht beantwortet werden dürfte. Dann kam heraus: Diese Beamtin hatte früher beim Verfassungsschutz gearbeitet und war dort sogar mit wichtigen Kontaktpersonen Amris’ befasst, wie etwa der Grüne von Notz berichtet. Die Beamtin sei insofern auch eine Zeugin. In Notz’ Augen ein „Interessenskonflikt“. „Das hat viel Vertrauen zerstört.“

Und dann ist da eben noch der Konflikt um die V-Mann-Führer – also jene Verfassungsschützer, die für die Führung der V-Leute in Amris Kreisen zuständig waren. „Es ist ausgesprochen hinderlich, dass das BMI sich weigert, uns relevante V-Mann-Führer zu benennen. Nur diese können uns ja letztendlich beantworten, welche Aufträge die Quellen bekommen haben“, sagt Renner. Das Argument, die Identität dieser V-Mann-Führer müsse geschützt werden, greife nicht. Schließlich könnten sie in einem Nebenraum vernommen werden, von wo dann das Gesagte nur per Livestream zu den Zuschauern übertragen werde.

In den Regierungsfraktionen hält man die Beschwerden der Opposition für überzogen. Der CDU-Obmann im Ausschuss, Volker Ullrich, findet, dass man dem BMI keine Behinderung der Ausschussarbeit vorwerfen könne. Zwar sei das „Treptow-Verfahren“ umständlich. Ansonsten hält er die Beschwerden für „politisch motiviert“.

Was sagen die Sicherheitsbehörden?

In Sicherheitskreisen ist die Befragung von V-Leuten und V-Mann-Führern durch Untersuchungsausschüsse naturgemäß unpopulär. Erst recht, wenn es um Spitzel in der militant islamistischen Szene geht. Es sei schwer, bei Salafisten V-Leute zu werben, heißt es. Salafisten glaubten, wenn sie mit den Behörden der „Ungläubigen“ kooperieren, wäre das ein Verrat an Allah. Sollte sich dann noch einer der wenigen Spitzel vor Abgeordneten äußern und seine Kontakte offenlegen müssen, seien unangenehme Folgen zu erwarten. Auch bei nicht öffentlicher Einvernahme durch einen Ausschuss sei zu befürchten, dass vertrauliche Informationen an die Medien durchsickern und der V-Mann auffliegt. Der Spitzel sei dann „verbrannt“ und müsse die Rache der Szene fürchten. Der Staat sei gezwungen, enttarnte V-Leute über ein aufwendiges Zeugenschutzprogramm zu verstecken. Ein ähnliches Risiko sehen Sicherheitsexperten bei der Befragung eines V-Mann-Führers. Würden Angaben des V-Mann-Führers öffentlich bekannt, sei auch in diesem Fall eine Enttarnung des Spitzels nicht auszuschließen. Sicherheitskreise verweisen zudem auf schlechte Erfahrungen im NSU-Komplex. Über die Untersuchungsausschüsse und den Prozess in München seien viele Details über V-Leute und V-Mann-Führer bekannt geworden.

Wie ist die Lage im Berliner Abgeordnetenhaus?

Rund 400 Aktenordner liegen den Ausschussmitgliedern des Amri-Untersuchungsausschusses im Abgeordnetenhaus vor. Das ist bei Weitem noch nicht ausreichend. Die Mitglieder warten auf weitere 900 Ordner von den Berliner Sicherheitsbehörden. Der Ausschussvorsitzende Stephan Lenz (CDU) sagte, man sei „im konstruktiven Austausch“ mit der Senatsinnenverwaltung. Bisher hat jedoch keine Behörde eine Vollständigkeitserklärung unterzeichnet. Nachdem wie berichtet das Landeskriminalamt Berlin drei Vertrauenspersonen im Umfeld von Amri hatte, erwartet Grünen-Politiker Benedikt Lux weitere Akten aus dem LKA mit Details zu Observationen und Berichten der Führer von V-Personen.

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