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Die Angehörigen wissen immer noch nicht, wer die politische Verantwortung trägt.

© Maurizio Gambarini/ dpa

Anschlag am Breitscheidplatz: Von Spitzeln geradezu umzingelt

Der Fall Amri zeigt das Kompetenzwirrwarr aus Bund und Ländern und macht deutlich: Wir brauchen neue Strukturen gegen Bedrohungslagen. Ein Gastbeitrag.

Wenn sich der Anschlag auf den Berliner Breitscheidplatz am Mittwoch zum zweiten Mal jährt, wissen die Angehörigen nicht, wer für die schreckliche Tat des islamistischen Terroristen Anis Amri die politische Verantwortung trägt. Sie wissen nicht, wie solche Taten künftig besser verhindert werden können und welche Reformen umgesetzt werden müssen. Der Untersuchungsausschuss des Bundestags böte eine Chance, Antworten zu finden. Trotz des öffentlich versprochenen Aufklärungswillens und Reformeifers lässt die Bundesregierung diese Chance ungenutzt. Im Gegenteil: Man muss ernüchtert feststellen, dass das Credo der Bundesregierung wohl aus drei Dingen besteht: Täuschen, Tricksen, Tarnen.

Den Abgeordneten wurden Informationen vorenthalten

Schon früh hatte sich der frühere Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Hans-Georg Maaßen, festgelegt. Der Fall Amri sei ein „reiner Polizeifall“, das BfV „nur am Rande befasst“ gewesen. Doch warum bewegte sich ein Spitzel des Inlandsgeheimdienst in der Moschee, die auch der Attentäter besuchte? Warum hat das BfV seine Quelle nicht auf Amri angesetzt? Schlüsselfragen, die der Ausschuss klären müsste, aber aktuell nicht kann. Die Bundesregierung verweigert die Befragung des V-Mann-Führers der eingesetzten Quelle. FDP, Linke und Grüne müssen nun vor dem Bundesverfassungsgericht klagen. Dass diese V-Person überhaupt existiert, kam erst durch Medienberichte an die Öffentlichkeit. Uns Abgeordneten hat man diese Information trotz Nachfragen vorenthalten.

Es gibt Parallelen zum NSU-Fall

Entgegen der anfänglichen Beteuerungen scheint der Attentäter von V-Personen geradezu umzingelt gewesen zu sein. Zu Beginn der Untersuchungen wussten wir von einer, Stand heute von mindestens acht V-Personen im Umfeld Amris. Von Anschlagsplanungen wollen aber fast alle Spitzel nichts mitbekommen haben. Wirklich aktiv wurde nur eine V-Person des Landeskriminalamtes NRW: Schon früh im Jahr 2016 meldet sie, Amri plane einen Anschlag mit Schnellfeuergewehren. Doch als es Amri nach Berlin verschlug, blieben Meldungen aus – obwohl sich weiterhin Spitzel in seinem Umfeld befanden. Das erinnert stark an den Fall des rechtsterroristischen NSU-Trios. 40 V-Leute von sieben Behörden waren dort im Umfeld der Terroristen aktiv. Keine will etwas mitbekommen haben. Auch die Quelle des BfV in der Berliner Moschee will sich erst im Nachhinein daran erinnert haben, Amri gesehen zu haben.

V-Leute sind ein rechtsstaatlicher Drahtseilakt

Die Anwerbung von Extremisten als V-Leute ist ein klassisches Instrument nachrichtendienstlicher Arbeit. Ganz darauf zu verzichten, wäre fatal. Der Einsatz ist aber jedes Mal ein rechtsstaatlicher Drahtseilakt, der klaren Regeln unterliegen muss. Es braucht einen Nachrichtendienstbeauftragten des Bundestages, der mit angemessener Personalausstattung die Arbeit der Nachrichtendienste permanent überwacht. Er garantiert eine effektive parlamentarische Kontrolle der gesetzlichen Regelungen – auch für den Einsatz von V-Leuten. Er muss nicht nur dem Geheimdienstgremium PKGR, sondern allen Abgeordneten regelmäßig berichten und Reformbedarf frühzeitig anzeigen.

Nötig ist eine Föderalismuskommission

Auch bei den Kompetenzen der Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern zeigen sich dringende Baustellen. Mobile, vernetzte Terroristen wie der NSU oder Amri bringen unsere Sicherheitsarchitektur an Grenzen. Sie lösen immer neue Zuständigkeiten und damit ein Kompetenzwirrwarr aus. Daher braucht es eine Föderalismuskommission III. Bund und Länder müssen hinter verschlossenen Türen ehrlich diskutieren, wie wir neuen Bedrohungslagen strukturell begegnen. Eigentlich eine Menge Arbeit für Bundesinnenminister Horst Seehofer. Der lässt aber wissen, dass die Grundstrukturen zwischen Bund und Ländern „sehr gut funktionieren“. Kürzer kann man Arbeitsverweigerung nicht beschreiben.

In wenigen Tagen feiern wir Weihnachten, das Fest der Hoffnung. Ich mag die Hoffnung nicht verlieren, dass die Regierung zur Einsicht kommt und Verantwortung übernimmt. So lange kann man ihr nur zurufen: Lasst den Versprechen endlich Taten folgen!

Benjamin Strasser ist Obmann der FDP-Fraktion im Untersuchungsausschuss Breitscheidplatz und Mitglied im Innenausschuss des Deutschen Bundestages.

Benjamin Strasser

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