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Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel in Heidenau.

© dpa

Anschläge auf Asylbewerberunterkünfte: Wie geht Deutschland mit seinen Flüchtlingen um?

Die Zahl der Asylbewerber nimmt zu, die Zahl der Attacken auf Heime ebenso. Immer wieder demonstrieren Rechtsextreme vor Unterkünften und geraten mit der Polizei aneinander.

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Am vorigen Donnerstag hat die Bundesregierung ihre Prognose zur Zahl der Asylanträge in diesem Jahr auf 800 000 erhöht. Die Vorhersage geht deutlich über die bisher erwarteten Asylbewerberzahlen hinaus. Am Wochenende brannte in Baden-Württemberg wieder ein Haus, das als Flüchtlingsunterkunft dienen sollte. Ebenso im brandenburgischen Nauen in der vergangenen Nacht. Und in Heidenau südlich von Dresden gab es vor einer Unterkunft an drei Tagen hintereinander Zusammenstöße zwischen Polizei und Demonstranten, die zum Teil zum rechtsextremen Lager zu zählen sind. Die Erwartungen an die Politik, vor allem an die Bundesregierung, wachsen mit jedem Zwischenfall. Auch die Erwartungen an die Regierungschefin sind gestiegen. Bundeskanzlerin Angela Merkel wurde vorgeworfen, sie zeige sich zu wenig bei den Betroffenen.

Wie reagiert die Kanzlerin?

Der Vorwurf ist im Kanzleramt offenkundig angekommen. Am Montagmorgen ließ Merkel ihren Regierungssprecher Steffen Seibert eine längere Erklärung verlesen, am späten Nachmittag trat sie zusammen mit Frankreichs Präsident François Hollande vor die Presse. Sie verurteile die gewalttätigen Ausschreitungen „aufs Schärfste“. Diese seien abstoßend und in keiner Weise akzeptabel. „Deutschland ist ein Land, das die Würde jedes einzelnen Menschen respektiert.“ Das gelte für jeden, der sich in Deutschland aufhalte. „Es ist abstoßend, wie Rechtsextreme und Neonazis versuchen, dumpfe Hassbotschaften zu verkünden“, sagte Merkel. „Aber es ist genauso beschämend, wie Bürger, sogar Familien mit Kindern, durch ihr Mitlaufen diese Dinge noch einmal unterstützen.“

Seibert wies zudem darauf hin, was Merkel über die Pegida-Demonstrationen zu Jahresanfang gesagt hatte: Sie warnte alle davor, jenen zu folgen, die Vorurteile, Kälte und Hass in ihren Herzen trügen. Jeder habe das Recht, hier respektvoll behandelt zu werden, fuhr Seibert fort. „Wer so handelt wie die Gewalttäter von Heidenau, der stellt sich weit außerhalb unserer Werteordnung.“ Über die schwierige Lebenssituation vieler Flüchtlinge solle „jeder mal nachdenken“. Deutschland lasse nicht zu, dass Flüchtlinge „von hasserfüllten Parolen empfangen oder von alkoholisierten Schreihälsen bedroht werden“.

Wann besucht Merkel eine Flüchtlingseinrichtung?

Seibert verwies darauf, dass die Kanzlerin angekündigt habe, das zu gegebener Zeit zu tun. Es könnte aber schnell gehen, und es könnte nach Heidenau gehen. Am Mittwochnachmittag wird die Kanzlerin zusammen mit Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) in Glashütte bei der Einweihung eines neuen Manufakturgebäudes des Uhrenherstellers Lange & Söhne anwesend sein. Glashütte liegt nur wenige Kilometer von Heidenau entfernt. Heidenaus Bürgermeister Jürgen Opitz, ein Christdemokrat, sagte am Montag beim Besuch des Bundeswirtschaftsministers: „Ich hoffe, wenn heute Herr Gabriel bei uns ist, dass wir dann morgen, spätestens übermorgen Frau Merkel hier begrüßen können.“ Merkel müsste es wohl erklären, wenn sie den kurzen Weg von Glashütte nach Heidenau nicht machen würde.

Was unternimmt die Bundesregierung auf europäischer Ebene?

Merkel besprach mit Hollande auch die Flüchtlingspolitik. Zuvor hatten schon Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Sigmar Gabriel (beide SPD) am Wochenende eine Zehn-Punkte-Forderung vorgelegt, die laut Seibert zum großen Teil die Position der Bundesregierung wiedergibt. Demnach setzt die Bundesregierung nach wie vor auf eine „faire Verteilung von Flüchtlingen in Europa“. In ihrem Plan plädieren Gabriel und Steinmeier für „verbindliche und objektiv nachvollziehbare Kriterien für die Aufnahmequoten aller Mitgliedstaaten entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit“.

Sie fordern also einen festen Schlüssel, der neben der Einwohnerzahl auch die Wirtschaftskraft berücksichtigt – die reicheren Länder wären damit stärker gefordert. Zudem müsse es einheitliche Aufnahmestandards geben sowie längerfristig eine „ehrgeizigere Integration der europäischen Asylpolitik“. Ein Schwerpunkt soll aber auch die schnellere Rückführung abgelehnter Asylbewerber sein. Dazu müsse mit den Herkunftstaaten geredet werden, wozu auch gehöre, die technische und finanzielle Unterstützung dieser Staaten von einer konstruktiven Zusammenarbeit abhängig zu machen. Ähnlich hatte sich schon Innenminister Thomas de Maizière (CDU) geäußert. Steinmeier und Gabriel fordern auch, dass alle Staaten des Westbalkans, welche die Kriterien eines EU-Beitrittskandidaten erfüllen, zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt werden.

Demonstrationsverbot und andere Vorschläge

Wie ist der Stand der Vorbereitungen zum innerdeutschen Flüchtlingsgipfel, der am 9. September in Berlin stattfindet?

Hier geben sich Bund und Länder noch sehr bedeckt. Doch dürfte der Gipfel darauf hinauslaufen, dass nicht nur die bisher eher abstrakt angekündigte Hilfe des Bunds an die Länder und Kommunen konkretisiert wird, sondern auch der finanzielle Umfang größer wird. Ursprünglich hatte die Bundesregierung, als sich im Frühjahr der stärkere Flüchtlingsandrang abzuzeichnen begann, jeweils 500 Millionen Euro für dieses und das kommenden Jahr versprochen. Am Mittwoch wird das Bundeskabinett beschließen, dass die Summe für 2016 bereits in diesem Jahr fließen wird.

Für die Zukunft hat der Bund eine dauerhafte und strukturelle Hilfe in Aussicht gestellt. Art und Höhe sind Gegenstand der laufenden Beratungen. Gabriel hat schon mehrfach vorgeschlagen, dass der Bund am besten den Kommunen die kompletten Unterkunftskosten für Flüchtlinge erstattet. Allerdings ist das nach der Verfassung bisher so nicht möglich, das Geld müsste über die Länder verteilt werden. Doch gibt es Forderungen nach einer Grundgesetzänderung. Nicht alle Länder reichten die bisherigen Hilfen des Bundes in voller Höhe an die Kommunen weiter, so der Vorwurf aus Berlin. Eine andere Möglichkeit wäre, dass der Bund seinen Beitrag zu den Sprachkursen für Flüchtlinge erhöht. In jedem Fall dürfte der Bundeszuschuss höher ausfallen. Gabriel sprach zuletzt von zwei bis drei Milliarden Euro. Im Bundesfinanzministerium hält man sich zurück, trotz der über den Erwartungen liegenden Steuereinnahmen.

Kann ein Gipfel alle Fragen lösen?

In der Debatte um den wachsenden Zustrom von Flüchtlingen ist in den vergangenen Wochen immer wieder das Stichwort „Task Force“ gefallen. Viele Bundesländer haben bereits Arbeitsgruppen eingerichtet, die Unterbringung und Integration von Flüchtlingen koordinieren sollen. Auch in den Bundesministerien befassen sich Stäbe mit Fragen rund um das Thema Flüchtlinge, das fast alle Lebensbereiche betrifft. Nun soll auch eine Bund-Länder-Task-Force eingerichtet werden. Denn gerade bei der Aufgabenteilung zwischen Landes- und Bundesbehörden hapert es. Da der geplante Gipfel nicht alle Probleme lösen kann, sind die Erwartungen an das neue Gremium entsprechend hoch.

Uwe Lübking, Beigeordneter des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, hofft vor allem auf Entscheidungen zur Einrichtung neuer Erstaufnahmeeinrichtungen. Bisher sind hierfür die Länder zuständig. Doch der Bedarf an Plätzen übersteigt die vorhandenen Kapazitäten. Vielen Ländern fehlten geeignete Liegenschaften für weitere Aufnahmeeinrichtungen, sagt Lübking. „Es könnte daher sinnvoll sein, wenn der Bund die Zuständigkeit übernimmt und dazu eigene Liegenschaften nutzt.“ Die Folge: Flüchtlinge würden dann dort untergebracht, wo es geeignete Räumlichkeiten gibt, und nicht wie bisher nach einem bestimmten Schlüssel auf die Bundesländer verteilt. Der Städte- und Gemeindebund fordert auch ein nationales Bauprogramm für Flüchtlingsunterkünfte und dafür eine Lockerung von Bauvorschriften. Ein weiterer Punkt für die Task Force, so Lübking, seien Förderprogramme für Kitas und Schulen. Um Asylverfahren zu beschleunigen, solle außerdem geprüft werden, ob Bundesbeamte und pensionierte Mitarbeiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge zur Bearbeitung von Anträgen herangezogen werden könnten.

Was muss zusätzlich zum Schutz von Flüchtlingen getan werden?

Es ist eine Erfolgsgeschichte. Aber sie ist umstritten. Mehr als 64 000 Menschen haben auf der Plattform change.org inzwischen die Petition „Heime ohne Hass“ unterschrieben, sie gehört dort zu den zehn beliebtesten Eingaben. Das Ziel: fremdenfeindliche Demonstrationen vor Flüchtlingsunterkünften zu verbieten. Zwar gibt es dafür durchaus Zuspruch. So sagte der sächsische Ausländerbeauftragte Geert Mackenroth am Montag im rbb-Inforadio nach der rechtsradikalen Randale in Heidenau, notwendig seien nicht nur „professionelle Wachdienste“, ein Konfliktmanager und eine Videoüberwachung.

Er fügte hinzu: Wenn der von der sächsischen Polizei eingerichtete Kontrollbereich in Heidenau nicht ausreiche, um die Flüchtlinge zu schützen, „dann müssen wir auch über ein Demonstrationsverbot vor solchen Heimen nachdenken“. Etwas Ähnliches hat es vor einigen Wochen bereits in Freital bei Dresden gegeben, wo sich ein rassistischer Mob vor einer Flüchtlingsunterkunft versammeln wollte. Professor Hajo Funke von der Freien Universität Berlin unterstützte diese Entscheidung der sächsischen Behörden. In Freital sei ein Verbot „überfällig“ gewesen, sagte er.

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