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Premier Netanjahu (r.) und Verteidigungsminister Gantz sind sich nicht einig, wie es mit den Annexionsplänen weitergeht.

© Menahem Kahana/Reuters

Annexion von Teilen des Westjordanlands: Israels planloser Plan

Premier Benjamin Netanjahu verkündet seit Monaten, er werde am 1. Juli die Souveränität des jüdischen Staats ausweiten. Doch am Stichtag zögert er - warum?

Viele haben den 1. Juli gefürchtet, andere konnten ihn kaum erwarten. An jenem Datum, darauf hatte sich Israels Kabinett verständigt, durfte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu eine Annexion jüdischer Siedlungen einleiten.

Ein höchst umstrittener Schritt, der aus Sicht vieler Regierungen gegen das Völkerrecht verstößt und die Aussicht auf eine Zweistaatenlösung noch tiefer ins Reich der Fantasie verbannt. Er werde Israels Souveränität auf Siedlungen im Westjordanland ausweiten, hatte der Premier Ende vergangenen Jahres verkündet und sein Versprechen seitdem oft wiederholt: „Es ist möglich. Es liegt in unseren Händen.“

Als der vermeintlich große Tag anbrach, klang er weniger entschlossen. Die Gespräche mit Washington über eine Annexion würden weitergehen, ließ er verlauten. Bis Dienstagnachmittag schien es, als würde jener Tag, an dem der laut Netanjahu „historische“ Prozess beginnen sollte, eher unspektakulär verstreichen.

Die Liste der Warner ist lang

Viele ausländische Beobachter hoffen, dass die israelische Regierung ihre Pläne zurücknimmt. „Als ein Freund Israels dränge ich euch, nicht zu annektieren", schrieb Großbritanniens Premier Boris Johnson in einem Artikel, der in der israelischen Tageszeitung „Yedioth Ahronoth“ erschien.

Damit reihte Johnson sich ein in eine lange Liste von Warnern, zu denen die meisten EU-Regierungen, viele US-Demokraten und israelische Linke ebenso zählen wie arabische Staatschefs und die Palästinenserführung, die das Land, auf dem die Siedlungen stehen, für einen zukünftigen Staat beansprucht.

Viele Siedler lehnen Trumps Nahostplan - denn der sieht einen Palästinenserstaat vor.
Viele Siedler lehnen Trumps Nahostplan - denn der sieht einen Palästinenserstaat vor.

© Menahem Kahana/AFP

Selbst innerhalb der israelischen Regierung ist das Vorhaben umstritten. Benny Gantz, Verteidigungsminister und Vorsitzender der zentristischen Blau-Weiß-Partei, hatte zuletzt dafür plädiert, die Annexionspläne aufzuschieben und stattdessen sämtliche Ressourcen für den Kampf gegen das Coronavirus zu nutzen.

Gantz besitzt in Sachen Annexion kein Veto

Allerdings haben Gantz und seine Parteifreunde in dieser Angelegenheit wenig zu melden. Der Koalitionsvertrag hält fest, dass Blau-Weiß ausgerechnet beim Thema Annexion keine Vetomacht besitzt. Und in der Knesset, dem israelischen Parlament, dürfte Netanjahus Vorhaben auch ohne Gantz’ Partei eine bequeme Mehrheit erzielen.

[Alle aktuellen Entwicklungen in Folge der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog . Über die Entwicklungen speziell in Berlin halten wir Sie an dieser Stelle auf dem Laufenden.]

Schließlich befürworten auch zwei rechte Oppositionsparteien eine Annexion. Ein weiterer Blau-Weiß-Politiker, Israels Verteidigungsminister Gabi Ashkenazi, legte die Machtlosigkeit seiner Partei am Dienstag unverblümt offen. In einem Interview mit dem Armeeradio sagte er, Fragen zur Annexion „sollten an den Premierminister weitergegeben werden“.

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Zu vielen offenen Punkten zählt die Frage, welche Siedlungen Netanjahu zu israelischem Staatsgebiet zu erklären gedenkt. Monatelang hatte er davon gesprochen, mit dem strategisch wertvollen Jordantal zu beginnen. In den vergangenen Tagen jedoch gingen Meldungen um, laut denen er sich zunächst mit einigen Siedlungen nahe Jerusalem zufrieden geben würde.

Netanjahu und seine Mitstreiter rechtfertigen das Vorhaben unter anderem mit dem „Deal des Jahrhunderts“ zur Lösung des Nahostkonflikts, den US-Präsident Donald Trump Anfang des Jahres präsentiert hatte. Der Plan sieht vor, dass Israel seine Siedlungen zum Staatsgebiet machen darf.

Die Palästinenser sind empört und verweigern Gespräche

Im Gegenzug sollen die Palästinenser für ihren Staat einige lose verbundenen Gebiete an der israelisch-ägyptischen Grenze bekommen, vorausgesetzt, sie akzeptieren eine Reihe von Bedingungen. Dass die Palästinenserführung sich allen Gesprächen verweigert, nutzt Netanjahu als Argument, unilateral mit der Annexion zu beginnen. Damit zieht er sich nicht nur Groll von links zu.

Am Dienstag demonstrierten mehrere Hundert Bewohner israelischer Siedlungen gegen eine Annexion im Einklang mit dem Trump-Plan – weil jener die Gründung eines palästinensischen Staates vorsieht.

Mareike Enghusen

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