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Die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz: Malu Dreyer.

© Sebastian Gollnow/dpa

Annahme, „dass vor Ort alles organisiert sei“: Dreyer verteidigt sich im U-Ausschuss zur Flutkatastrophe im Ahrtal

Die sich anbahnende Katastrophe im Juli 2021 war dem Mainzer Innenministerium lange nicht klar. Auch die Ministerpräsidentin vertraute dem Katastrophenschutz.

Mehr als zwei Stunden lang muss die Regierungschefin warten, bis sie als Zeugin im Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe im Ahrtal aufgerufen wird. Ernst und gefasst setzt sich Malu Dreyer (SPD) am Freitagabend auf einen ungewohnten Platz – dort wo sonst im Landtag die Fraktionsspitze der CDU ihre Zwischenrufe in Debatten abgibt.

„Es waren apokalyptische Bilder“, sagt die Ministerpräsidentin zu ihren ersten Erkundungen vor Ort. „Es waren ganz schreckliche Eindrücke, es sind Eindrücke, die ich niemals abstreifen werde.“ Die Flut habe Rheinland-Pfalz ins Mark getroffen. „Die Flutkatastrophe vom 14. zum 15. Juli ist eine Zäsur in unserem Land“, sagte Dreyer. Jetzt sei es die politische Verantwortung der Landesregierung, die richtigen Schlüsse zu ziehen.

„Wir sind ein Land mit Hochwasser“, sagte die SPD-Politikerin am späten Freitagabend im Untersuchungsausschuss des Landtags. Sie sei angespannt gewesen, „weil in vielen Teilen des Landes eine Hochwasser-Situation war“. „Ich wusste aber auch, dass unsere Gemeinden gut vorbereitet sind und die ADD (Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion) Unterstützung angeboten hatte.“ Sie habe am 14. Juli bis zum späten Abend keinen Hinweis gehabt, „dass es zu einer solchen nie dagewesenen Flutkatastrophe kommen würde“.

Im Ahrtal gab es 134 Tote durch die Flut

In der Sturzflut durch das Ahrtal kamen 134 Menschen ums Leben. „Wenn wir jetzt auf die Hochwasserkatastrophe schauen, dann tun wir das mit dem Wissen von heute“, sagte Dreyer. Die Landesregierung sei weiter gefordert, die Folgen der Flut zu bewältigen: „Es vergeht kein Tag, an dem wir uns nicht mit der Flutkatastrophe befassen.“

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Dreyer beschreibt dem Untersuchungsausschuss die enge Zusammenarbeit mit Innenminister Roger Lewentz (SPD), der vor ihr aussagt. In der Befragung spielt aber auch der Austausch mit der für den Hochwasserschutz zuständigen damaligen Umweltministerin Anne Spiegel (Grüne) eine große Rolle. „Hatten sie die Befürchtung, Frau Spiegel war nicht ausreichend informiert?“ fragte der Ausschussvorsitzende Martin Haller (SPD). „Ich habe erlebt, dass sie angespannt ist“, antwortete Dreyer. Dies sei aber verständlich bei einem drohenden Hochwasser.

Zerstörte Häuser im Ahrtal in Walporzheim am 17. Juli 2021.
Zerstörte Häuser im Ahrtal in Walporzheim am 17. Juli 2021.

© Thomas Frey/dpa

Dreyer ist die siebte Zeugin einer Marathonsitzung, in der das Verhalten von Regierungsmitgliedern am 14. und 15. Juli 2021 bis auf die Minute genau unter die Lupe genommen wird. Am 11. März musste bereits Ministerin Spiegel den Ausschussmitgliedern Rede und Antwort stehen. Seitdem vergeht kaum ein Tag, an dem Oppositionspolitiker nicht den Rücktritt der jetzigen Bundesfamilienministerin fordern. Diesmal richtet sich der Blick vor allem auf das Innenministerium, das nicht nur für die Polizei, sondern auch für die Kommunen zuständig ist.

Lage am 14. Juli als Starkregenereignis eingeschätzt

Ein Abteilungsleiter und die damalige Büroleiterin von Innenminister Lewentz sagen aus, dass sie die Lage am 14. Juli bis zum späten Abend als ein Starkregenereignis einschätzten, wie es zuvor immer häufiger aufgetreten sei. Auch habe sich der besorgte Blick eher auf die Landkreise in der Eifel gerichtet. Eine besondere Situation im Ahrtal sei zunächst nicht erkennbar gewesen.

Hat es denn für das Innenministerium keinen Grund gegeben, an diesem Abend mit eigenen Maßnahmen aktiv zu werden? So fragt der Ausschussvorsitzende Haller. „Es hat nicht den Anlass gegeben zu sagen: Wir müssen extrem wachsam sein, weil eine Katastrophe bevorsteht“, sagt Staatssekretär Randolf Stich (SPD). „Das Bild konnten wir nicht haben.“ Nach den ihm vorliegenden Informationen sei der zuständige Katastrophenschutz vor Ort aktiv gewesen, mit Unterstützung der überregionalen Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD).

Zu dieser Stunde war Innenminister Lewentz bei der Technischen Einsatzleitung des Landkreises Ahrweiler, um das Signal zu übermitteln, vor Ort ansprechbar zu sein. „Mein Eindruck war: Es wird ruhig und konzentriert gearbeitet“, sagt der SPD-Politiker. Er habe aber damals noch nicht gewusst, dass Landrat Jürgen Pföhler (CDU) die Einsatzleitung an den Brand- und Katastrophenschutzinspekteur (BKI) des Kreises abgegeben habe.

Hat Lewentz in der Flutnacht daran gedacht, direkten Kontakt mit Ministerin Spiegel aufzunehmen? Der Minister verneint dies. Er habe mit ihr immer „ein sehr gutes und kollegiales Verhältnis“ gehabt. Aber die Hochwasserdaten des dem Umweltministerium unterstehenden Landesamts für Umwelt seien direkt für die technische Einsatzleitung der Kreise bestimmt – und dort könnten sie mit der jeweiligen Ortskenntnis richtig bewertet werden.

Innenminister Lewentz: Es gab andere Schwerpunkte

Mit seinem Besuch in der Technischen Einsatzleitung in Bad Neuenahr-Ahrweiler habe er „der kommunalen Ebene den Rücken stärken“ wollen, sagte Lewentz in der Befragung durch den Ausschuss. Weder auf der Fahrt nach Bad Neuenahr-Ahrweiler noch rund 25 Minuten später auf der Rückfahrt habe er Hinweise auf Schäden wahrgenommen. „Es hatte eigentlich andere örtliche Schwerpunkte“ sagte Lewentz mit Blick auf das Ausrufen des Katastrophenfalls im Kreis Vulkaneifel und Berichten aus anderen Gebieten der Eifel.

Innenminister von Rheinland-Pfalz: Roger Lewentz (SPD).
Innenminister von Rheinland-Pfalz: Roger Lewentz (SPD).

© Sebastian Gollnow/dpa

Ihm sei nicht bekannt gewesen, dass Landrat Jürgen Pföhler (CDU) „nur kurz“ in der Einsatzzentrale anwesend gewesen sei, sagte der Minister. Auch habe er nicht gewusst, dass der Landrat die Einsatzleitung an den Brand- und Katastrophenschutzinspekteur (BKI) delegiert habe. Gegen beide ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen eines Anfangsverdachts der fahrlässigen Tötung und fahrlässigen Körperverletzung durch Unterlassen wegen womöglich zu später Warnungen.

Nach weiteren Erkundungen und Telefongesprächen sei er etwa zwei Stunden nach Mitternacht schlafen gegangen, sagte der Minister. Am frühen Morgen habe er mit Ministerpräsidentin Dreyer telefoniert, mit dem Polizeipräsidium Koblenz, mit der Bundespolizei und anderen. Dann sei er wieder nach Bad Neuenahr-Ahrweiler gefahren und zunächst von einer Polizeisperre aufgehalten worden. „Die Brücke war weg – das war mein erster tatsächlicher Eindruck von dem, was dort geschehen sein muss.“

„Eine Flächenlage, die mehrere Kreise betroffen hat“

Es sei in den Lagemeldungen am 14. Juli auch nicht ansatzweise von einer Flutkatastrophe die Rede gewesen, sagte auch der Staatssekretär im Innenministerium, Randolf Stich (SPD). Nach den ihm zugegangenen Informationen „konnte man davon ausgehen, dass der zuständige Katastrophenschutz vor Ort aktiv ist“. Er habe „keine Hinweise für die Notwendigkeit“ gesehen, „weiteres zu veranlassen“, sagte Stich.

„Es war eine Flächenlage, die mehrere Kreise betroffen hat“, sagte der Referatsleiter Katastrophenschutz der überregionalen ADD, Heinz Wolschendorf. „Dass es so dramatisch aussieht im Kreis Ahrweiler, ist erst am 15. im Laufe des Tages richtig klar geworden.“ Die ADD habe zunächst auch keinen Hinweis darauf gehabt, dass eine technische Einsatzleitung nicht funktioniere, sagten Wolschendorf und ADD-Präsidert Thomas Linnertz. „Die Kreise müssen, wenn sie sich überfordert fühlen, Kontakt suchen“, sagte Wolschendorf in seiner rund dreieinhalbstündigen Vernehmung im Landtag. Sonst gebe es keine Anhaltspunkte, dies anzunehmen.

Die Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne).
Die Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne).

© dpa/Kay Nietfeld

Der als Sachverständige zugeschaltete Direktor des Kieler Instituts für Krisenforschung, Frank Roselieb, sah deutliche Defizite im Umgang mit der Katastrophe – vor allem beim damaligen Landrat Pföhler, aber auch bei der früheren Umweltministerin Spiegel.

Der Obmann der Freien Wähler, Stephan Wefelscheid, sagte: „Direktor Roselieb hat der gesamten Landesregierung kein gutes Zeugnis ausgestellt und untermauert mit seinen Aussagen die Forderung der Freien Wähler-Landtagsfraktion nach einem sofortigen Rücktritt von Anne Spiegel.“

Der Vertreter der Grünen, Carl-Bernhard von Heusinger, schloss sich Roseliebs Kritik an Pföhler ausdrücklich an. Die Zuständigkeit für den Katastrophenschutz aber liege zu keiner Zeit beim Klimaschutzministerium. „Dieses hat die Hochwasserdaten vollständig und rechtzeitig an die zuständigen Stellen übermittelt und ist damit seiner Verantwortung vollumfänglich nachgekommen.“

Die CDU-Fraktion hat schon angekündigt, Ministerpräsidentin Dreyer und Innenminister Lewentz noch weitere Male in den Untersuchungsausschuss zu laden. Ihr Obmann im Ausschuss, Dirk Herber, wirft der Landesregierung „Untätigkeit und Passivität“ vor. Der Ausschuss hat jetzt erstmal Osterpause bis Ende April. Wann die Untersuchung abgeschlossen ist, kann noch niemand sagen. (dpa)

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