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Gil Ofarim hatte einem Hotelangestellten antisemitische Ausfälle vorgeworfen. Jetzt wird er selbst angeschuldigt.

© Gerald Matzka/dpa

Anklage gegen Gil Ofarim: Es muss nicht alles wahr sein, was einer bei Instagram erzählt

Der Fall des Musikers hat dem Kampf gegen Antisemitismus Schaden zugefügt, der sich womöglich noch vertieft. Deutschland steckt hier im Dilemma. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Die Anklage gegen den Musiker Gil Ofarim wegen Falschverdächtigung und Verleumdung fällt in die Kategorie der schlechten Nachrichten, nicht nur für Ofarim. Sein im Internet platziertes Selfie-Video, in dem er schildert, wie er in einem Leipziger Hotel wegen seines Davidsterns verächtlich gemacht worden sei, entfachte im vergangenen Herbst eine Debatte um Antisemitismus, die man sich lieber erspart hätte.

Eine Verurteilung würde den Schaden vertiefen, ein Freispruch nichts daran ändern

Denn schon bald tauchten Zweifel auf, ob Ofarims Darstellung stimmt. Sie brüskierten jene, die für ihn in die Bresche gesprungen waren, und boten Auftrieb für alle, die teils in antijüdischem Ressentiment einen Lügner beim Lügen zu erwischen glaubten. Unabhängig vom Fortgang des Verfahrens ist daher festzuhalten: Dem nötigen, berechtigten und leider andauernden Kampf gegen Antisemitismus hat der Fall Schaden zugefügt. Eine Verurteilung würde ihn vertiefen, ein Freispruch nichts daran ändern.

Wenig erscheint wahrhaftiger als die Bestätigung eines Klischees

Wäre das zu verhindern gewesen? Möglicherweise, nur: Wenig erscheint wahrhaftiger als die Bestätigung eines Klischees. Pegida-Sachsen und ein Judenhasser, der ohne Aufschrei Anwesender seiner Hetze Freilauf lässt – für viele fügte sich da ein Bild. Dabei wäre Skepsis geboten gewesen angesichts einer inszenierten Erzählung, die fühlbar Stimmung machen sollte. Wer statt etwa zur Geschäftsführung lieber gleich online geht, um Antisemitismus in einer internationalen Hotelkette anzuprangern, möchte selbst und möglichst allein bestimmen, was ein Skandal sein soll. Auch dass jemand in der von Ofarim geschilderten Weise vor allen Leuten seinen Job riskiert, hätte stutzig machen können. Es war in jeder Hinsicht eine unfassbare Geschichte.

Man sollte wieder wägende Worte finden können

Wahr ist allerdings auch, dass Deutschland im Dilemma steckt. Jede Form von Distanz oder der sonst übliche Hinweis, zunächst Aufklärung abwarten zu wollen, wäre als schwer erträgliche Relativierung empfunden worden. Antisemitismusbeauftragte, die zu öffentlich erhobenen Antisemitismusvorwürfen schweigen, wirken schnell, als hätten sie ihre Funktion verfehlt. Dennoch: Eine Lehre aus dem Geschehen sollte sein, bei unklarer Sachlage künftig wieder ein paar wägende Worte zu finden. Es muss nicht alles wahr sein, was einer bei Instagram erzählt.      

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