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Bill Cosby nach der Entscheidung der Richterin in Pennsylvania, dass er vor Gericht kommt.

© William Thomas Cain/Getty Images/AFP

Anklage gegen Bill Cosby wegen Sex-Vergehen: Späte Abrechnung mit einem Publikumsliebling

Der populärste schwarze Entertainer der USA kommt vor Gericht, weil er Dutzende Frauen betäubt und sexuell missbraucht haben soll.

Dies ist nicht nur ein weiterer Skandal um sexuelle Übergriffe eines Prominenten. Hier wird ein Denkmal gestürzt. Amerikanerinnen, die zum Opfer wurden, rechnen mit dem Zeitgeist einer Epoche ab. Einer Epoche, die einerseits in vielen Bereichen eine Liberalisierung mit sich brachte – von Rassenfragen und der Bürgerrechtsbewegung bis zur sexuellen Befreiung. Und in der andererseits Galionsfiguren dieser neuen Bewegungen dem verführerischen Glauben erlagen, dank ihrer Popularität könnten sie sich ungestraft alle möglichen Übergriffe erlauben.

Andrea Constand suchte beruflichen Rat bei ihm

Deshalb entfaltet das Strafverfahren gegen Bill Cosby, den wohl einflussreichsten schwarzen Entertainer der letzten 50 Jahre in den USA, eine ähnliche gesellschaftspolitische Wucht für Amerika wie die deutsche Abrechnung mit den pädophilen Vergehen in der Odenwaldschule. Am Dienstag hatte eine Richterin in Norristown, Pennsylvania, entschieden, dass ein Strafprozess gegen Cosby geführt werden kann wegen des Vorwurfes, er habe Dutzende Frauen mit Arzneimitteln, die er ihnen zur Entspannung gab, wehrlos gemacht und sie dann sexuell missbraucht.

Ausschlaggebend war die Klage von Andrea Constand, einer kanadischen Sportlerin, Physiotherapeutin und Betreuerin der Basketballmannschaft der Temple University, an der auch Cosby einige Jahrzehnte zuvor dank eines Stipendiums hatte studieren können. Sie war 2004 zur Polizei gegangen und hatte Cosby vorgeworfen, er habe sie einige Monate zuvor, als sie ihn in seinem Haus in Pennsylvania besuchte, um seinen Rat zu ihrer weiteren Karriere einzuholen, betäubt und sich dann an ihr vergangen. Cosby, damals 66 Jahre alt, und Constand, damals 30, kamen zu einer außergerichtlichen Einigung. Cosby zahlte eine unbekannte Summe, beide vereinbarten Stillschweigen über die Vorfälle und die Einigung. Die Staatsanwaltschaft sah 2005 von einer Anklage ab.

Streit um die Vertraulichkeitsklausel

Die Vertraulichkeitsklausel war eine juristische Hürde für den neuen Prozess. Cosbys Anwälte argumentierten, deshalb dürften die Aussagen und Akten von damals im aktuellen Verfahren nicht verwendet werden. Die Richterin entschied, dies sei kein Hindernis. In den Unterlagen werden zahlreiche weitere Frauen genannt, die von ähnlichen Erfahrungen mit Cosby berichteten. Deshalb könnte die Entscheidung, Constands Klage zum Prozess zuzulassen, zu weiteren Verfahren gegen ihn führen und den inzwischen 78-Jährigen für den Rest seines Lebens ins Gefängnis bringen.

Cosby bestreitet die Vorwürfe. In allen Fällen habe es sich um einen einvernehmlichen Sex gehandelt. Der Zeitrahmen spannt sich über vier Jahrzehnte seit den 1960er Jahren. Und die Methode, so wie die Frauen sie berichten, klingt jedes Mal ähnlich. Cosby habe sie mit Drogen oder Arzneimitteln in einen Betäubungszustand versetzt. Als sie wieder bei Bewusstsein waren, war ihre Kleidung geöffnet. Cosby hingegen sagt, er habe den Frauen Mittel zur Entspannung angeboten, wie sie damals auch auf Partys üblich waren, und sie hätten sie freiwillig genommen. 1976 zum Beispiel, da war er 39 Jahre alt, gab er einem 19-jährigen Model „Quaaludes“, ein damals in den USA nicht legales Präparat. Cosby nennt es eine übliche Partydroge, die das Bewusstsein erweitere und auch beim Sex neue Dimensionen eröffne.

Bilderbuchkarriere als schwarzer Comedian

Im Rückblick wirkt es, als habe Cosby die Macht, die ihm sein Erfolg als Entertainer gab, ausgenutzt gegenüber Frauen, die ihn als Mentor und Ratgeber sahen. Erste Erfolge als Comedian hatte er von 1962 an in Cafes in New York und Chicago. Der Durchbruch kam 1965 mit der Spionage-Serie „I spy“. In den Folgejahren hatte er eine eigene Show, die „Bill Cosby Show“ und entwickelte eine Comedy-Serie um den Charakter „Fat Albert“, der die humoristischen Seiten des Aufwachsens in einer schwarzen Familie ins Fernsehen brachte. Cosby verdiente Millionen und konnte mit einer neuen „Bill Cosby Show“ in den 1980er Jahren seinen Erfolg nochmals steigern. Sie wurde zur Sitcom mit den höchsten Rankings aller Zeiten. Aus den Jahren 1965 bis 2008 sind mittlerweile Vorwürfe von mehr als 50 Frauen wegen sexuellen Missbrauchs gegen ihn bekannt.

Warum hat es so lange gedauert, bis die Vorwürfe öffentlich wurden? Zivilklagen gegen ihn hatte es zu Dutzenden gegeben. Sie wurden in der Regel außergerichtlich beigelegt – gegen Geld und eine Vertraulichkeitsklausel. Es ist der Hartnäckigkeit von Andrea Constand und der kalifornischen Rechtsanwältin Tamara Green zu verdanken. Sie schlugen eine Bresche in die juristische Mauer des Stillschweigens.

Der Generationswechsel in der Unterhaltungsbranche half

Und es hat mit einem Generationswechsel in der Unterhaltungsbranche zu tun, in der offenbar doch einige von Cosbys Verhalten wussten, es aber nicht als kriminelles Vergehen, sondern eine Art Kavaliersdelikt betrachteten. 2014 verschaffte der Entertainer Hannibal Buress mit unmissverständlichen Andeutungen bei seinen Auftritten als Comedian den Vorwürfen breite Resonanz. Er ist ebenfalls Afroamerikaner, aber um 45 Jahre jünger als Cosby.

Auch gegenüber anderen Publikumslieblingen war die Unterhaltungsbranche erstaunlich lange nachsichtig. Woody Allens Verhältnis mit seiner Adoptivtochter, einer Minderjährigen in Abhängigkeit von ihm, sowie die Vorwürfe seiner Stieftochter wegen sexuellen Missbrauchs? Bis heute kein Fall für den Staatsanwalt, nicht einmal für öffentliche Empörung. David Lettermans zahlreiche Affären mit Angestellten seiner Produktionsaffäre, also Frauen, die von ihm wirtschaftlich abhängig waren? Kamen erst ans Licht, als er 2009 damit erpresst wurde, obwohl viele mitbekommen haben mussten, was da über Jahrzehnte lief.

Amerikas Doppelmoral bei Sex-Skandalen

Als Dominique Strauss-Kahn, damals Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF) und aussichtsreicher Kandidat für die französische Präsidentschaft,  im Mai 2011 vorgeworfen wurde, er habe eine Hotel-Putzfrau sexuell genötigt, überboten sich US-Kommentatoren in ihrer Verachtung für eine allzu libertäre Sexualmoral in Europa und zeigten ihren Stolz, dass die USA solchen Vorwürfen angeblich ohne Ansehen der Person und ohne Rücksicht auf hierarchische Positionen nachgehen. Es sei ein großer Fortschritt, dass „die Zeiten vorbei sind, als mächtige Männer erwarten durften, dass solche Vorfälle als Missverständnisse abgetan … und nicht als kriminelle Handlungen verfolgt wurden“, urteilte die „Washington Post“. Nicht nur im Fall Cosby ist die US-Öffentlichkeit diesem Maßstab nicht gerecht geworden.

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