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Anker statt Transit. Das bisherigen Transitzentrum Manching ist eine der bayerischen Erstaufnahmeeinrichtungen, die die Regierung von Markus Söder jetzt zu den im Koalitionsvertrag verabredeten Ankerzentren umwidmet.

© Stefan Puchner/dpa

Ankerzentren: Ankunft ohne Abschiebung

Die Koalition streitet weiter um Horst Seehofers Asylpläne. Massenunterbringung muss aber nicht gegen Flüchtlinge gerichtet sein - in den Ländern gibt es Modelle dafür.

Um die von der schwarz-roten Koalition verabredeten sogenannten Ankerzentren gibt es neuen Streit zwischen den Partnerinnen. Nachdem Bundesinnenminister und CSU-Chef Horst Seehofer den beiden anderen Parteivorsitzenden Angela Merkel und Andrea Nahles am Wochenende vorgeworfen hatte, sie müssten in den Ländern, in denen ihre Parteien regierten, mehr für deren Einrichtung werben, kontert nun die SPD: Noch immer gebe es für die Zentren kein Konzept vom zuständigen Minister Seehofer, sagte die Vizevorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, die Innenpolitikerin Eva Högl, am Dienstag im ARD-„Morgenmagazin“: „Darauf warten wir bisher sehnsüchtig.“

SPD-Innenminister spricht von Schaufensterpolitik

Zuvor hatte schon Högls Parteifreund, der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius, dem bayerischen Kollegen im Bund „Schaufensterpolitik“ vorgeworfen. In Seehofers Bayern, das für sich in Anspruch nehme, als erstes Land Ankerzentren eingerichtet zu haben, seien „lediglich die Türschilder ausgetauscht“ worden. Er sei der erste, der ein Ankerzentrum einrichten werde, wenn er erkenne, dass es sachlich und fachlich eine Verbesserung mit sich bringe, sagte Pistorius weiter. Hier bleibe der Bund aber Vorschläge schuldig. Demgegenüber hätten die Länder in den vergangenen Jahren längst Modelle zur Beschleunigung von Asylverfahren entwickelt.

Die Ankerzentren, deren Name aus den Anfangsbuchstaben von „Ankunft, Entscheidung, Rückführung“ gebildet wurde, kamen als Herzensanliegen vor allem der CSU in den Koalitionsvertrag zwischen der Union und der SPD vom 14. März. Damit Schutzsuchende schnelle und rechtssichere Asylverfahren bekämen, heißt es im Vertrag, würden die „künftig in zentralen Aufnahme-, Entscheidungs- und Rückführungseinrichtungen“ erfolgen, in denen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, die Bundesagentur für Arbeit, Jugendämter, Justiz, Ausländerbehörden und wer immer sonst mitzuständig sei, „Hand in Hand arbeiten“. Zuständigkeit und Trägerschaft würden in einer „Vereinbarung zwischen Bund und Ländern“ geregelt. Daran scheiterte bisher die gewünschte nationale Regelung: Nur die unionsregierten Bayern und Sachsen ziehen mit, das ebenfalls christdemokratische Saarland hat Interesse bekundet.

Kritik aus der Forschung: Enge und Isolation produzieren Gewalt

Kritik entzündet sich vor allem daran, was Seehofer in seinem heftig umstrittenen und nicht von der Koalition abgesegneten „Masterplan Migration“ deutlicher sagte, als im Koalitionsvertrag formuliert: Der entscheidende Vorteil der Anker-Idee sei, „dass künftig eine Verteilung der Antragsteller auf die Städte und Gemeinden erst erfolgt, wenn ihr Schutzstatus positiv festgestellt ist“. Sprich: dass von dort auch direkt abgeschoben werden kann, wer diesen Schutz am Ende des Verfahrens nicht erhält.

Das hält die Migrationsforscherin und Flucht-Expertin Sabine Hess im Gegenteil für einen entscheidenden Nachteil auch im Sinne der Erfinder des Anker-Modells: Ein erhöhter Abschiebedruck sei „eine Angstmaschine“, sagt die Göttinger Professorin. Mit fünf weiteren Kollegen des „Rats für Migration“ hat sie eine Kurzstudie für den „Mediendienst Integration“ erarbeitet, die am Dienstag vorgestellt wurde. Zu den für Geflüchtete problematischen Seiten der „Anker“ zählt sie auch die Isolation, Enge und „Gewaltoffenheit“ solcher Großunterbringungen. Frauen und Kinder seien etwa durch den Mangel an Privatsphäre, nicht abschließbare Zimmer und fehlende Schutzräume unmittelbar gefährdet. Da die Zentren für die Dauer der Verfahren ausdrücklich Integration verhindern sollten, seien sie „Integrationskiller par excellence“ und machten nach Jahren des Aufenthalts dort – Hess und Kollegen rechnen mit bis zu zwei Jahren – intensivste nachholende Integrationsarbeit mit Menschen nötig, die lange „untätig und ohne Kontakte“ hätten leben müssen. Dabei erhielten immerhin etwa 50 Prozent aller Schutzsuchenden irgendein Bleiberecht in Deutschland zugesprochen.

Das Abtauchen von Asylbewerbern verhindert auch ein Ankerzentrum nicht

Markus Rothfuß hält dies hingegen für keine natürliche Folge von großen Erstaufnahmen. Rothfuß leitet seit der Pilotphase 2015 das „Ankunftszentrum Patrick-Henry-Village“ in Heidelberg, die zentrale erste Anlaufstelle in Baden-Württembergs. Es kann bis zu 2000 Geflüchtete unterbringen – aktuell sind es weniger. Die Bündelung an zentralen Orten, sagt Rothfuß, bringe „Quantensprünge für die Beschleunigung“ der Verfahren. Früher habe die Organisation von Fahrten zu Arzt-, Anhörungs- und anderen Terminen viel Zeit verschlungen, jetzt gebe es auf dem ehemaligen US-Kasernen- und Wohngelände, wo einst 20 000 Soldaten und ihre Familien lebten, eine ärztliche Ambulanz, die Arbeitsagentur sei vor Ort und sogar eine Polizeiwache eingerichtet. In seinem Ankunftszentrum hielten sich die Menschen im statistischen Durchschnitt sechs Wochen auf, könnten aber in dieser Zeit rund um die Uhr nach draußen. „Wir schotten uns nicht ab.“ Drinnen gebe es Sport- und Lernangebote.

Im Grunde ist Rothfuß’ Einrichtung, wie er auf Nachfrage bestätigt, ein bereits existierendes Ankerzentrum, allerdings mit dem entscheidenden Unterschied, dass von dort nicht abgeschoben werde. Dies hält er für wesentlich. Die Angst der Insassen vor Abschiebung sei überall präsent, wo sie leben. „Die Frage ist, wie intensiv sie wird, wenn nur aus dieser einen abgeschoben wird.“ Zur Prognose von Hess und Kollegen, Ankerzentren verleiteten Flüchtlinge besonders dazu, in die Illegalität abtauchen, sagt er: „Das ist ein latentes Problem, das sich weder durch Ankerzentren noch mehr Kontrollen beheben lässt.“

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