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Erdogan sieht die Türkei als Regionalmacht und will deren Interessen trotz des Unmuts der Europäer und Amerikaner durchsetzen.

© STR/EPA-EFE/Shutterstock

Ankara im Abseits: Türkei kündigt Vergeltung gegen US-Sanktionen an

Nach der EU verhängen auch die USA Sanktionen gegen die Türkei. Hat es Präsident Erdogan mit seinem antiwestlichen Kurs übertrieben?

Das EU-Bewerberland und Nato-Mitglied Türkei wird seit Dienstag gleichzeitig von Europa und den USA mit Sanktionen belegt. Wenige Tage nach der Entscheidung der EU, die Türkei wegen ihrer aggressiven Politik im östlichen Mittelmeer zu bestrafen, verkündete die US-Regierung eigene Strafmaßnahmen wegen der Anschaffung eines russischen Flugabwehrsystems durch Ankara. Die türkische Regierung nannte die US-Sanktionen unfair und kündigte Vergeltung an. Die Strafmaßnahmen zeigen, wie weit sich die Türkei unter Präsident Recep Tayyip Erdogan im Verhältnis zu ihren traditionellen Verbündeten ins Abseits manövriert hat.

Wie schon bei den EU-Sanktionen vorige Woche liegt die Bedeutung der von Amerika verhängten vor allem in ihrem Symbolwert und weniger im wirtschaftlichen Schaden, den sie der Türkei zufügen. Der Kurs der Lira zum Dollar blieb nach Bekanntgabe der Maßnahmen stabil, weil die Entscheidung erwartet worden war. Die US-Sanktionen verbieten gemeinsame Projekte und den Technologietransfer zwischen US-Unternehmen und dem militärischen Beschaffungsamt der Türkei (SSB).

Vermögen von Behördenvertretern eingefroren

Kredite amerikanischer Banken für das SSB werden auf höchstens zehn Millionen Dollar begrenzt, eventuelles US-Vermögen von SSB-Chef Ismail Demir und drei weiteren Behördenvertretern wird eingefroren; die Betroffenen dürfen bis auf weiteres nicht mehr in die USA reisen.

Ankara erklärte, man werde die „nötigen Schritte“ unternehmen, um auf die Sanktionen zu antworten. Erdogan-Anhänger forderten, die Türkei solle als Antwort auf die Sanktionen den Luftwaffenstützpunkt Incirlik nahe der Grenze zu Syrien für amerikanische Maschinen sperren; Incirlik ist eine wichtige Basis für die US-Streitkräfte im Nahen Osten.

Sanktionen könnten verschärft werden

Washington und Ankara streiten sich seit Jahren über Erdogans Entscheidung, das russische Flugabwehrsystem S-400 zu kaufen. Die türkische Regierung argumentiert, sie habe dieses System wählen müssen, weil Washington den Verkauf des amerikanischen Patriot-Systems verweigert hätten. Die USA, Europa und die Nato kritisieren, dass S-400 nicht mit der integrierten Luftverteidigung der Allianz kompatibel sei und von Moskau benutzt werden könnte, westliche Waffentechnologie auszuspionieren.

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Die USA haben die Türkei wegen S-400 auch aus dem gemeinsamen Kampfflugzeug-Projekt F-35 ausgeschlossen. Sollte der Streit um die S-400 weitergehen, könnte der designierte US-Präsident Joe Biden die Sanktionen verschärfen. Damit wird eine Normalisierung der türkisch-amerikanischen Beziehungen schwieriger. Beide Länder liegen auch wegen der amerikanischen Unterstützung für eine kurdische Miliz in Syrien über Kreuz.

Verhältnis von Türkei und Russland verbessert

Die Beziehungen zwischen der Türkei und dem Westen haben sich in den vergangenen Jahren verschlechtert, weil Erdogan türkische Interessen gegen die Einsprüche von USA und EU durchsetzen und damit den Anspruch der Türkei auf eine eigenständige Rolle als Regionalmacht unterstreichen will.

Zugleich verbesserte die Türkei ihr Verhältnis zur Führung in Moskau. Russlands Außenminister Sergej Lawrow stärkte Ankara am Dienstag im Streit mit Washington den Rücken und nannte die US-Sanktionen illegitim und arrogant. Ähnlich äußerte sich der iranische Außenminister Dschawad Sarif.

Erdogan in einer Sackgasse

Der weit verbreitete Antiamerikanismus in der Türkei dürfte Erdogan zumindest kurzfristig vor negativen innenpolitischen Folgen der Sanktionen schützen. Die größte Oppositionspartei in Ankara, die linksnationale CHP, rügte Washingtons und forderte Erdogans Regierung auf, die S-400 so schnell wie möglich in Dienst zu stellen. Allerdings denken die türkischen Wähler möglicherweise anders. Eine Mehrheit wolle die Rückbesinnung auf den Westen, sagte der Meinungsforscher Faruk Acar der Internetzeitung „Habertürk“. Das gelte auch für Wähler von Erdogans Partei AKP.

Auch außenpolitisch steckt Erdogan in einer Sackgasse. Die Zusammenarbeit mit Russland, die vor allem taktisch ist und kurzfristigen Zielen dient, kann die zerrütteten Beziehungen zu Europa und den USA nicht ersetzen. Der türkische Staatschef wertet die Kritik aus dem Westen als Zeichen dafür, dass ausländische Mächte den Aufstieg seines Landes verhindern wollen. Er hat sich bisher darauf verlassen, dass die EU und die USA den geostrategisch wichtigen Partner Türkei nicht vor den Kopf stoßen wollen. Doch damit hat er sich offenbar verrechnet. Das machen die Sanktionen aus Brüssel und Washington deutlich.

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