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Weil fossile Kraftwerke nicht mehr zukunftsfähig sind, müssen die erneuerbaren Energien schneller ausgebaut werden.

© Patrick Pleul/dpa

Angst vor den Kosten für Klimaschutz: Die Energiekrise gefährdet den Green Deal der EU

Dabei müssen die marktwirtschaftlichen Anreize für die Transformation geschärft werden. Ein Zurückrudern in der Krise wäre falsch. Ein Gastbeitrag. 

Veronika Grimm ist Professorin für Wirtschaftstheorie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Andreas Löschel ist Professor für Umwelt-/Ressourcenökonomik und Nachhaltigkeit an der Ruhr-Universität Bochum und Vorsitzender der Expertenkommission zum Monitoring-Prozess „Energie der Zukunft“ der Bundesregierung.

Die Energiemärkte sind in einem Ausnahmezustand. Ein starker Anstieg der Energienachfrage bedingt durch die anziehende Konjunktur nach der Covid-Pandemie insbesondere in den USA und China treffen auf ein zunehmend knappes Angebot. Die Gründe sind vielfältig: Rückgang der Gasförderung in Europa, harte Winter, Erneuerbaren-Flaute, schlecht gefüllte Gasspeicher und Russland als strategischer Akteur auf dem Gasmarkt, der die wirtschaftlichen Vorteile eines knappen Erdgasangebots mit politischen Forderungen zusammenbringt und die Pipelines nicht füllt – weil er nicht kann oder nicht will.

Der Green Deal ist eine innereuropäische Herausforderung

Diese Entwicklungen fallen zusammen mit den Beratungen zur Umsetzung des europäischen Green Deal. Die EU-Kommission hat im Juli einen Vorschlag für den Weg in ein klimaneutrales Europa gemacht. Im Kern steht der Plan, den Emissionshandel zu erweitern. Zunächst soll ein zweites Emissionshandelssystem für die Sektoren Wärme und Verkehr etabliert werden, das dann bis Ende des Jahrzehnts mit dem bestehenden Emissionshandel für die Energiewirtschaft und die energieintensive Industrie zusammengeführt werden soll. Die umfassende Bepreisung von CO2 und der sektorenübergreifende Emissionshandel werden entscheidend für die Erreichung der hochgesteckten Klimaziele der EU sein.

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Allerdings droht die Einigung unter den Mitgliedstaaten wegen der Entwicklungen auf den Energiemärkten zu einer immensen Herausforderung zu werden. Die perspektivischen Kostensteigerungen bei den fossilen Energieträgern, die mit der Emissionsbepreisung einhergehen, sind essenziell für verlässlichen Klimaschutz – aber in der aktuellen Lage politisch schwer zu vermitteln. Viele Unternehmen und Haushalte im unteren Einkommenssegment werden durch die aktuellen Preissteigerungen in der Existenz bedroht.

Die Regierungen einiger EU-Mitgliedsstaaten, insbesondere Frankreichs und Spaniens, reagierten bereits mit spontanen Hilfsprogrammen und der Deckelung des Gas- und Strompreises. In Deutschland sind die Folgen weniger dramatisch. Das liegt auch daran, dass die Preise im Großhandel weniger schnell in Letztverbraucherpreise übertragen werden und das Sozialsystem die höheren Kosten zumindest für die ärmsten Haushalte teilweise auffängt.

Die momentane Energiekrise darf nicht zu langfristig falschen Entscheidungen führen

Was ist jetzt zu tun? Wichtig ist: Die kurzfristigen Antworten auf die Energiepreiskrise dürfen nicht den langfristigen Bestrebungen im Rahmen des Green Deal entgegenstehen, die sinnvolle Rahmenbedingungen der Märkte mit Blick auf den Klimaschutz vorsehen. Insbesondere darf der europäische Energiemarkt nicht irreparabel beschädigt werden. Direkte Markteingriffe wie Preisobergrenzen, Preisbildung anhand der Durchschnittskosten oder Entkopplung von Märkten sind mit wettbewerblich organisierten Energiemärkten unvereinbar. Die Subventionierung von Energiepreisen verhindert notwendige Energieeinsparungen. Alle diese Maßnahmen hebeln zudem die Wirkung CO2-Bepreisung aus. So würde der Klimaschutz deutlich gebremst.

Der europäische Strommarkt funktioniert und wird für die Erreichung der Klimaneutralität dringend gebraucht. Augenblicklich sind fossile Kraftwerke zur Deckung der Stromnachfrage notwendig, und die Erzeugung von Strom ist durch die hohen Preise für fossile Energieträger, insbesondere für Erdgas, sehr teuer geworden. Diese Bestandsaufnahme gilt auch für Länder mit höherem Anteil von Erneuerbaren und Kernkraftwerken.

Das illustriert der vergangene Winter: Bedingt durch eine Kältewelle stieg die Stromnachfrage in Frankreich stark an, wo oft mit Strom geheizt wird. Die Kernkraftwerke konnten die Nachfrage nicht decken, und es musste viel Strom auch aus Deutschland importiert werden. Ad-hoc-Eingriffe in die wettbewerbliche Preisbildung dürften dazu führen, dass für die Versorgungssicherheit notwendige Investitionen in Kraftwerks- und Speicherkapazitäten künftig zurückgehalten werden. Denn die erfolgen auf der Basis der Preiserwartungen. Es ist für die Transformation zur Klimaneutralität daher essenziell, marktliche Anreize zu schärfen, statt sie zu verwässern.

Lösungen müssen langfristig gedacht werden

Das gilt besonders für die CO2- Bepreisung. Kurzfristige, unvorhersehbare Energiepreisschocks sind kein Ersatz für eine langfristige, planbare Verteuerung fossiler Energieträger. Durch die Energiepreiskrise drohen falsche Weichenstellungen. Deutschland muss konsequent dafür eintreten, dass die wettbewerbliche Ausgestaltung der Energiemärkte nicht untergraben und der Strommarkt durch die Schaffung des sektorenübergreifenden europäischen Emissionshandels auf den Klimaschutz ausgerichtet wird.

Richtig ist es, kurzfristig umsetzbare Maßnahmen zu ergreifen, um Lasten für die besonders Betroffenen schnell abzufedern. Als Sofortmaßnahme könnte in Deutschland die Abschaffung der EEG-Umlage Haushalte und Unternehmen entlasten. Dies wirkt einerseits wie ein „Energiegeld“, trägt aber gleichzeitig in großem Umfang zum Bürokratieabbau bei und macht die Sektorenkopplung attraktiver. Auch die Reaktionsfähigkeit der sozialen Sicherungssysteme zur Linderung des Problems ist zu überprüfen.

Die EU braucht Klarheit und ein Gesamtkonzept

Mittelfristig sollte dafür gesorgt werden, den Ausbau der erneuerbaren Energien deutlich zu beschleunigen, auch in der Wärmeversorgung stärker auf sie zu setzen und die Bemühungen bei Energieeffizienzmaßnahmen zu steigern. Eine (möglichst europaweite) Beschleunigung des Ausbaus der Infrastruktur für den Energietransport unterstützt zusätzlich den schnelleren Umstieg auf erneuerbare Energien, der Strompreisanstiegen in Zukunft entgegenwirkt.

Um größere Unabhängigkeit von temporären Engpässen beim Gasangebot zu erlangen, sollte die Lagerbewirtschaftung verbessert werden. All dies sind Maßnahmen, die ohnehin für die Erreichung der Ziele des Klimaschutzgesetzes unumgänglich sind. Die aktuelle Situation verdeutlicht nur nochmals drastisch ihre Dringlichkeit.

Für die Erreichung der Klimaziele ist ein schlüssiges Gesamtkonzept entscheidend, das die regulatorische Unsicherheit deutlich reduziert und Investoren Klarheit verschafft über die Attraktivität von nachhaltigen Geschäftsmodellen in der Zukunft. Dies gilt für Deutschland ebenso wie für die EU. Die Politik darf die Chance nicht verstreichen lassen, die sich mit dem Green Deal und den klugen Vorschlägen zur Weiterentwicklung des Emissionshandels eröffnet. Regulierende Eingriffe je nach Lage erodieren ein Energie-Handelssystem, das durch klare Preissignale europaweit die Transformation in eine klimaneutrale Wirtschaft auslösen kann. Die Antwort auf die Energiepreiskrise wird die Klimapolitik in Europa bestimmen. Es steht viel auf dem Spiel.

Veronika Grimm, Andreas Löschel

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