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Angela Merkel sprach am Dienstag vor dem Europaparlament.

© AFP/Frederick Florin

Angela Merkel im EU-Parlament: Die Kanzlerin sorgt sich um Europa

Um Toleranz und Solidarität sei es schlecht bestellt in Europa, sagt die Kanzlerin vor dem Europaparlament. Und kritisiert damit indirekt Ungarn und Italien.

Sie führt das größte Land in der EU, sowohl was die Einwohnerzahl als auch was die Wirtschaftsleistung angeht. Kein Regierungschef der 28 EU-Länder ist länger dabei als sie. In kritischen Phasen der EU-Geschichte etwa bei der Griechenland- oder bei der Flüchtlingskrise haben sich viele Länder an dem Kurs orientiert, den die deutsche Kanzlerin vorUm gegeben hat. Und vermutlich gibt es keinen Politiker, der in Europa mehr Einfluss hat als sie. Und doch hat Angela Merkel auf europäischem Parkett nie die ihr eigene Zurückhaltung abgelegt. Es ist nicht ihr persönlicher Stil aufzutrumpfen. Und zum Selbstverständnis der deutschen Außenpolitik gehören auch eher die leisen Töne. 

Dennoch ist die Erwartung groß, als die deutsche Kanzlerin im Europa-Parlament in Straßburg an der Reihe ist, um ihre Vision von der Zukunft Europas darzulegen. Das haben vor ihr bereits elf andere Staats- und Regierungschefs getan. Wird Merkel endlich die Antwort aus Berlin geben auf die Initiativen für eine engere Zusammenarbeit auf EU-Ebene, die der französische Staatspräsident Emmanuel Macron angestoßen hatte? Das Europaparlament würde sich dafür als Ort anbieten. Womöglich bieten sich Angela Merkel jetzt, da sie ihren Rückzug vom Parteivorsitz eingeläutet hat, ganz neue Freiräume.

Sogar die Grüne Ska Keller hat die Hoffnung nicht ganz aufgegeben: „Bis jetzt war Merkel die lame duck in der EU, sie hat die Reform der Euro-Zone und viele andere Vorhaben blockiert.“ Wenn Merkel auf EU-Ebene noch etwas reißen wolle, müsse sie jetzt loslegen.

Merkel erfindet sich aber nicht neu. Als sie für 25 Minuten das Wort ergreift, zündet sie kein Feuerwerk von Ideen, wie dies etwa Macron an der gleichen Stelle getan hat. Es ist nicht Merkels Art, Pathos an den Tag zu legen. Stattdessen macht die Kanzlerin unmissverständlich deutlich, dass sie sich Sorgen um Europa macht. Sie stellt zwei für die europäische Einigung wichtige Tugenden ins Zentrum ihrer Rede: „Toleranz“ und „Solidarität“. Um beide Werte sei es schlecht bestellt. Ohne Ungarn und Italien namentlich zu erwähnen, übt sie deutliche Kritik an den Regierungen in Budapest und Rom. Attacken gegen das Prinzip der Rechtstaatlichkeit (wie etwa in Ungarn) fänden zwar vordergründig nur in diesen Ländern statt, „gefährden aber die Rechtstaatlichkeit von uns allen in Europa.“ Und wenn sich Länder (wie Italien) zu sehr verschulden, dann „wird so die Stabilität im ganzen Euro-Raum infrage gestellt“. Eindringlich warnt sie vor dem zerstörerischen Potenzial von Egoismus und Intoleranz. Sie erinnert an den „Völkerbund“, der nach dem Ersten Weltkrieg als Instrument des Multilateralismus geschaffen wurde, später aber zerbrach. „Wir sehen, was passiert ist, als der Völkerbund scheiterte: Es kam das noch größere Grauen.“

Von einer Merkel-Euphorie ist im Europaparlament nichts zu spüren

Merkel räumt ein, dass auch Deutschland in der EU nicht immer vorbildlich handle. So habe es unter ihrer Regierung vor 2015 nicht besser verstanden, dass die „Flüchtlingsfrage eine gesamteuropäische Aufgabe ist“. Für die Zukunft fordert Merkel, dass die EU in der Außenpolitik handlungsfähiger wird. Im Rat solle daher bei außenpolitischen Entscheidungen nicht mehr so häufig das Einstimmigkeitsprinzip gelten, sondern mehr mit Mehrheiten beschlossen werden. Sie stellt sich hinter die Forderung Macrons, eine „echte europäische Armee zu schaffen“.

Merkel bekommt durchaus viel Beifall. Von einer regelrechten Merkel-Euphorie im Europaparlament ist aber nichts zu spüren. In den Reaktionen im Anschluss an die Merkel-Rede fordern die Chefs der proeuropäischen Fraktionen im Europaparlament von der deutschen Kanzlerin einen größeren Einsatz aus Deutschland für den Reformprozess in der EU. Die Grüne Ska Keller wirft Merkel vor, Bremserin beim Klimaschutz zu sein. Udo Bullmann (SPD) mahnt: „Wir Deutschen haben nicht das Recht zu versagen. Jede Zögerlichkeit führt uns auf die falsche Fährte.“ Und Guy Verhofstadt, Fraktionschef der Liberalen, verlangt mehr Einsatz von ihr: „Sie können das, Frau Merkel, wir haben Ihren Mut in der Flüchtlingskrise erlebt. Wir brauchen einen Sprung nach vorn.“

Das Europaparlament setzt also weiterhin auf die deutsche Kanzlerin in Europa. In ihrer Antwort auf die Interventionen der Fraktionschefs macht Merkel deutlich, dass sie Deutschlands Rolle in Europa darin sieht, das Machbare nicht aus den Augen zu verlieren: „Sie wollen, dass wir Visionär sind - Sie wollen aber zugleich, dass im Rat die visionären Ideen auch angenommen werden.“ Das Spannungsfeld zwischen dem Visionären und dem, „was wir liefern“, dürfe aber nicht immer größer werden: „Die Menschen wollen auch, dass umgesetzt wird, was wir beschließen.“

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