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Angela Merkel: Die zeitlose Kanzlerin

Angela Merkel sitzt tief im Sattel. Stabil und solide regiert sie durch. Wie wird man sich in der Zukunft an diese Frau erinnern? Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Pascale Hugues

In der National Portrait Gallery in London stand ich diese Woche plötzlich vor Margaret Thatcher. Eine in Öl gemalte Riesin musterte mich mit ihren stechenden blauen Augen. Sie wirkte entschlossener denn je. Ich erschrak. Ist Margaret Thatcher zurückgekommen, um den Brexit anzuführen? Auferstanden von all den berühmten Toten, die die Wände des Museums tapezieren? Ein Albtraum.

Als ich wieder auf dem Trafalgar Square stand, dachte ich an die Frauen, die in ihren Jahren an der Macht unsterblich wurden. An den Wänden der National Gallery ist Margaret Thatcher übrigens in guter Gesellschaft, nahe bei Königin Elizabeth (64 Jahre seit ihrer Krönung im Jahr 1952), und nicht fern von Queen Victoria (63 Jahre, sieben Monate und zwei Tage als Monarchin). So weit ist Angela Merkel noch lange nicht. Neben den Großtaten der englischen Königinnen sieht ihre Bilanz eher bescheiden aus. Aber wenn nicht in letzter Minute ein plötzlicher Umschwung passiert, wird sie in den Club der Ich-klammere-mich-fest-und-bleibe-so-lang-wie-möglich eintreten. Heute ist sie zwölf Jahre an der Macht. Wird sie 16 Jahre erreichen? Und wird sie es in der nächsten Legislaturperiode schaffen, den monumentalen Helmut Kohl zu entthronen, für den sie das schüchterne „Mädchen“ war?

Leidet Merkel am Gorbatschow-Syndrom?

Ganz bestimmt will ich keine Parallelen ziehen: hier die Bewohnerin der Downing Street, Verfechterin des Wirtschaftsliberalismus, des enthemmten Privatinteresses, und dort die Bewohnerin des Kanzleramts, Vertreterin der sozialen Marktwirtschaft nach deutscher Art, die ihr Land Hunderttausenden von Flüchtlingen geöffnet und sich, mit Verspätung, für die Homo-Ehe eingesetzt hat. Beide waren sie die ersten Regierungschefinnen in Ländern, in denen bis dahin nur Männer dieses Amt ausgeübt hatten. Beide waren sie Außenseiterinnen, Provinzlerinnen aus dem Nirgendwo, auf die niemand gewartet hatte. Da hört das Gleiche schon auf. Die Iron Lady und Mutti: wenig schmeichelhafte Spitznamen, die an den beiden Frauen kleben und die Unterschiede in ihren Persönlichkeiten ausdrücken.

Für die durch den Brexit verunsicherten Briten und noch mehr für die Franzosen steht Angela Merkels Wiederwahl außer Frage: Sie ist stabil und solide. Wenn sie ihre Sache so gut macht, warum sollten die Deutschen ihre Kanzlerin überhaupt austauschen wollen? Diese Antwort hört man, stellt man die Frage im Ausland. Denn wenn es nicht rundläuft, richten die Blicke sich auf Berlin. Wie denkt sie darüber? Was sagt sie dazu? Was wird sie tun? Ohne sie geht gar nichts. Leidet Angela Merkel womöglich am Gorbatschow-Syndrom – von einem Teil der Landsleute abgelehnt, im Ausland verehrt?

Wie dem auch sei, der Wahlkampf trägt seinen Namen zu Unrecht. Er erinnert eher an eine Meditationssitzung. Nur Gerhard Schröders neuer Job hat ein paar Zuckungen ausgelöst. Davon abgesehen herrscht die Ruhe des Zen, das Wahlergebnis steht praktisch fest. Im Übrigen frage ich mich, wie das Ölporträt von Angela Merkel aussehen wird, das eines Tages neben dem von Gerhard Schröder im Kanzleramt hängen wird.

Aus dem Französischen übersetzt von Elisabeth Thielicke.

Am 10. September um 11 Uhr stellt Pascale Hugues ihr neues Buch „Deutschland à la française“ (Rowohlt Verlag) im Cinema Paris, Kurfürstendamm 211, 10719 Berlin, vor. Karten im Vorverkauf bei der Buchhandlung Ferlemann & Schatzer (Tel. 030/86396067) und im Cinema Paris. Eintritt zehn Euro

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