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Kassem Taher Saleh (r.) mit Plauens Direktkandidat Olaf Horlbeck und der Europaabgeordneten Anna Cavazzini.

© Felix Hackenbruch

Anfeindungen und schlechte Ergebnisse: Warum sich die Grünen im Osten so schwer tun

Die Grünen wollen bei der Wahl das Kanzleramt erobern, doch im Osten kommt die Partei nicht an. Ein Deutsch-Iraker kämpft in Sachsens Provinz um Zustimmung.

Kassem Taher Saleh steht in der Fußgängerzone seiner sächsischen Heimatstadt Plauen und lässt sich von Passanten anpöbeln. „Ich mag dich nicht“, sagt ein Mann mit FC-Bayern-Maske und Alkoholfahne. Er habe einen „super Diesel“, den er sich von den Grünen ganz sicher nicht wegnehmen lasse. Er schaut noch etwas bedrohlich, dann schlingert der Mann davon.

Andere Fußgänger sind an diesem sonnigen Vormittag etwas höflicher, aber Taher Salehs Partei nicht viel wohlgesonnener. „Von den Grünen nehme ich bestimmt keinen Flyer“, sagt eine Frau. Ein älterer Mann ruft schon von weitem: „Spart euch doch das Papier.“ „Die Grünen wollen doch auch nur Posten“, schimpft ein anderer. Seine Flyer wird Taher Saleh nur schleppend los. Trotzdem bleibt der 27-Jährige freundlich und lächelt. „Das A und O ist, dass wir hier sind und Präsenz zeigen.“ 

Plauen ist für die Grünen ein schwieriges Pflaster. Gerade einmal 3,8 Prozent hat die Partei bei der Bundestagswahl 2017 im Wahlkreis 166 erhalten. Damit wurde sie damals nur unter „Sonstige“ aufgelistet. Das Direktmandat ging im Vogtland mal wieder an die CDU, die AfD kam auf 26,4 Prozent. „Unser Ziel ist ein eigener Balken“, sagt der Grünen-Direktkandidat in Plauen Olaf Horbeck. Der Tischlermeister ist tief in der Region verwurzelt, soll Handwerker ansprechen, die sonst wenig mit seiner Partei anfangen können. Mehr Anerkennung für den Mittelstand, bessere Bezahlung für Fachkräfte und eine Entbürokratisierung für die Klimawende sind seine Themen. Dass er nicht in den Bundestag kommen wird, das weiß Horbeck selbst: „In meinem Wahlkampf steckt viel Idealismus.“

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In östlichen Bundesländern tun sich die Grünen traditionell schwer. Allein in Berlin hat man mehr Mitglieder als in allen ostdeutschen Bundesländern zusammen. In Sachsen-Anhalt sind die Grünen gerade aus der Regierung gefallen, in Thüringen schaffte man es 2019 ganz knapp in den Landtag, in Mecklenburg-Vorpommern nicht einmal das. Bei der Bundestagswahl 2017 holte die Partei in Sachsen nur 4,5 Prozent, nur in den Großstädten schnitt man gut ab. Die Ergebnisse im Freistaat sind für die Grünen besonders schmerzhaft. Mehr als vier Millionen Menschen leben zwischen Leipzig, Görlitz und Zwickau. Die Wahl, und damit auch die immer kleiner werdende Hoffnung auf das Kanzleramt, kann die Grünen im Osten nicht gewinnen, durchaus aber verlieren. 

Für Kassem Taher Saleh könnte es dennoch für einen Einzug in den Bundestag reichen. Er tritt in Dresden als Direktkandidat an, steht zudem auf Listenplatz vier. Schon seine Kandidatur ist ein Signal in Sachsen. Taher Saleh selbst nennt sie „historisch“. Er wäre die erste Person of Color mit Fluchterfahrung, die es aus dem Freistaat in den Bundestag schafft. „Viele Menschen mit Migrationsgeschichte zählen auf mich“, sagt er.

Fünf Jahre lebte er in Angst vor Abschiebung

Als zehnjähriger floh Taher Saleh mit seinen Eltern und Brüdern aus dem Nordirak. Fünf Jahre lebten sie in einer Unterkunft für Asylbewerber in Plauen. Beengt, isoliert und immer in Sorge vor einer Abschiebung. Taher Saleh gelang der Neuanfang trotzdem. Sein Schlüssel sei der Sport gewesen. Im Fußballteam lernt er Sprache, Kultur und Gemeinschaft kennen. Später bringt sich als Schülersprecher politisch ein, erhält verschiedene Stipendien und schafft das Abitur und ein Studium in Dresden als Bauingenieur. Als Bauleiter hat er zuletzt den Hochbunker auf Sankt Pauli begrünt und ausgebaut. 2018 wurde eingebürgert, 2019 trat er bei den Grünen ein. Ein Musterbeispiel für gelungene Integration.

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Dabei will Taher Saleh vor allem als Fachpolitiker wahrgenommen werden. Abfall- und Kreislaufwirtschaft, Solardächer, begrünte Gebäude – das sind seine Themen. Aber er weiß auch, dass er ein Symbol ist. „Plauen ist eine meine Heimatstadt“, sagt Taher Saleh am Wahlstand und klopft sich auf sein Herz. Hinter ihm steht ein kleines Fußballtor, am Sonnenschirm weht eine Fahne der Grüne und eine in Schwarz-Rot-Gold. Was für ihn selbstverständlich ist, ist es für viele andere in Sachsen nicht. Erst am Vortag ist er in Dresden an seinem Wahlstand wieder rassistisch beleidigt worden, weil er auf seinem T-Shirt in arabischen Schriftzeichen Habibi – Liebling - stand. Er gehöre nicht dazu, habe ihm der Mann, ein Lehrer, gesagt und schlimmeres.

In Plauen ist der rechtsextreme Dritte Weg erfolgreich

„Das beschäftigt mich dann schon noch den halben Tag“, sagt Taher Saleh. Entmutigen lässt er sich nicht. Seine Erfahrung in der Schule, im Fußballverein, im Alltag sei, dass der erste Kontakt entscheide. „Wenn das Eis einmal gebrochen ist, sind die Vogtländer extrem loyal.“

Doch es gibt viele Menschen, bei denen Taher Saleh das Eis niemals brechen wird. In Plauen hat die rechtsextreme Partei der Dritte Weg 2017 bundesweit sein erstes Bürgerbüro eröffnet. Hier werden unter anderem Kampfsportkurse und Hausaufgabenhilfen für Schüler angeboten. 125 Mitglieder hat die Partei, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird, inzwischen. 2019 zogen 500 Rechte mit Fackeln und Trommeln durch Plauen.

Teilnehmer eines rechten Aufmarsches der Partei "Der dritte Weg" in Plauen.
Teilnehmer eines rechten Aufmarsches der Partei "Der dritte Weg" in Plauen.

© Robert Michael/dpa

Warum es rechte Parteien in Plauen und vielen anderen Orten Sachsen so leicht und die Grünen so schwer haben, wird auf einer Tour durch die Stadt klar. Viele Häuser stehen leer, sind mit Brettern vernagelt und verkommen langsam. 65.000 Einwohner hat Plauen, die meisten davon Rentner. Seit dem Zweiten Weltkrieg ist die Stadt von zeitweise 100.000 Einwohnern kontinuierlich geschrumpft. Bis 2040 rechnet die Stadt nur noch mit 55.000 Einwohner. Die leerstehenden Immobilien sind billig – und dadurch attraktiv für Kleinparteien wie den Dritten Weg.

Seit der Wende verlässt vor allem die Jugend Plauen. Es gibt zwar eine kleine Berufsakademie, doch wer studieren will, geht meistens nach Leipzig, Dresden oder Jena. Eine Fachhochschule oder eine Berufsschule hat Plauen nicht. Wer einmal weg ist, kommt oft nicht mehr. Die Löhne sind deutlich niedriger als im nahen Bayern, in den vielen Dörfern kommt der Bus nur selten. Nur etwas über 100 angemeldete Elektroautos gibt es im Vogtlandkreis. Die Vision der Grünen scheint weit weg.

Am Wahlkampfstand hat ein älterer Mann mit blauem Hemd und Mütze angehalten. „Ich bin nicht so ganz überzeugt“, sagt er zu Taher Saleh. Seit mehr als 50 Jahren wohnt er in Plauen und macht sich Sorgen. Vor kriminellen Flüchtlingen aus Afghanistan und vor höheren Benzinpreisen. Taher Saleh versucht ihn zu beruhigen. Wer sich nicht gesetzestreu verhalte, müsse nach den Gesetzen verfolgt und bestraft werden. Das gelte auch für Afghanen. Und der Benzin-Preis? „Den CO₂-Preis hat die Bundesregierung bereits beschlossen. Da sind wir Grüne überhaupt nicht beteiligt gewesen“, sagt er und erklärt, dass seine Partei mit dem Klimageld eine Kompensation von 75 Euro pro Kopf pro Jahr vorschlägt. Der ältere Mann hört lange zu, schaut skeptisch, doch zum Abschied nimmt er den Flyer und grüßt freundlich.

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