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Es ist wahrscheinlich, dass das Unwahrscheinliche passiert - ein Leitsatz des Historikers Andreas Rödder.

© Bert Bostelmann

Andreas Rödder: Historiker der Stunde

Brexit, Trump im Weißen Haus, Zulauf für Populisten - viele Zeitdiagnostiker sind sprachlos. Ein Historiker aber hat mit Überraschungen gerechnet.

Von Hans Monath

Die meisten deutschen Intellektuellen haben auf die ersten Wochen von Donald Trump im Weißen Haus entsetzt und hilflos reagiert, nur ein Zeitdiagnostiker scheint daran fast Gefallen zu finden: Andreas Rödder. Der Professor für Geschichte an der Universität Mainz konstatierte zwar kürzlich: "Wir stehen vor den Trümmern unserer Erwartungen", doch den streitbaren Wissenschaftler deprimiert diese Einsicht nicht - er fühlt sich im Gegenteil in seiner Skepsis gegenüber der Vorstellung bestätigt, wonach sich die Gegenwart ganz sicher in eine immer bessere Zukunft verwandeln lasse.

Der Durchbruch in der öffentlichen Wahrnehmung gelang dem bekennenden Konservativen im vergangenen Jahr mit seinem viel gepriesenen Buch "21.0 – Eine kurze Geschichte der Gegenwart". Darin analysiert er mit weitem Blick und analytisch scharf komplexe Phänomene wie Globalisierung, Digitalisierung und Wandelbarkeit des Nationalstaats. Lange vor Brexit und Trump-Wahlsieg zitierte er damals zustimmend Aristoteles ("Es ist wahrscheinlich, dass das Unwahrscheinliche geschieht") und sagte voraus, die Zukunft werde "in doppeltem Sinne anders sein: anders als die Gegenwart und anders als gedacht". In gewisser Weise macht ihn diese Haltung zum Historiker der Stunde für all jene, die nun weder Oswald Spenglers "Untergang des Abendlandes" hervorziehen noch die Selbstheilungskräfte der USA und des Westens angesichts der Herausforderungen umso entschiedener beschwören. Denn Rödder plädiert stets dafür, geschlossenen Denksystemen zu misstrauen und bereit zu bleiben, unvermutete Chancen zum Besseren zu nutzen.

Der 49-Jährige, der 2016 im Schattenkabinett der rheinland-pfälzischen CDU-Spitzenkandidatin Julia Klöckner als Kultusminister antrat, kämpft schon lange gegen Zeitphänomene, die er für gefährlich hält - etwa das "Gender Mainstreaming“. Die Kultur der Postmoderne samt den politischen Ableitungen von Diversität, Antidiskriminierung und Gleichstellung habe in den vergangenen Jahren "geradezu moralisierende, ideologisch überhöhte Züge gewonnen, ja Züge einer repressiven Toleranz", klagt er und macht diese Entwicklung mitverantwortlich für den Erfolg von Rechtspopulisten. Menschen, denen man bestimmte Denk- oder Sprachweisen vorgebe, würden die Freiheit "umso vehementer einfordern".

Voraussagen für die Zukunft will Rödder keine abgeben. Im Interesse seines eigenen Fachs hat der Mainzer aber eine ganz klare Präferenz. Nicht Ruhe wünscht er sich im Welttheater, sondern weitere spektakuläre Entwicklungen. Für den Historiker, so sagte er kürzlich, sei es "besser, wenn es funkt und kracht".

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