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Recep Tayyip Erdogan mit seiner Frau Emine am Montag bei der Ankunft am Parlament.

© AFP

Amtseid in Ankara: Erdogans Türkei – die gelenkte Demokratie

Mit der Vereidigung von Präsident Erdogan wird die Macht in der Türkei neu verteilt. Das Parlament muss Befugnisse abgeben. Erdogan kann per Dekret regieren.

Schon in den ersten Minuten der türkischen Präsidialrepublik am Montag wurde im Parlament von Ankara für alle sichtbar, wie tief gespalten die Türkei ist. Als Recep Tayyip Erdogan das Plenum betrat, um den Amtseid abzulegen, erhoben sich die Abgeordneten seiner Regierungspartei AKP und der verbündeten Rechtspartei MHP. Die Abgeordneten auf den Oppositionsbänken blieben demonstrativ sitzen und rührten nach der Vereidigung keine Hand zum Applaus. Erdogan mag ab sofort als Präsident eine große Machtfülle besitzen – doch er hat nur gut die Hälfte des Landes auf seiner Seite.

Die Regierung inszenierte die Vereidigung wie eine Inthronisierung mit großem Pomp. Bei Erdogans Fahrt vom Präsidentenpalast zum Parlamentsgebäude vor dem Amtseid warfen Zuschauer am Straßenrand Rosenblätter auf das Fahrzeug des Staatschefs. Zu einem abendlichen Empfang wurden rund 10.000 Gäste in Erdogans Palast erwartet, darunter rund 50 Staats- und Regierungschefs sowie andere ranghohe Politiker aus dem Ausland, aber auch türkische Normalbürger wie Bergleute, Ärzte oder Lehrer. Aus Anlass der Vereidigung ließ die Regierung Sondermünzen prägen und Sonderbriefmarken drucken.

Mit der Vereidigung in Ankara beginne die Zweite Türkische Republik, schrieb der Kommentator Murat Yetkin. Fast ein Jahrhundert nach Gründung der modernen Türkei durch Mustafa Kemal Atatürk 1923 wird die Macht in Ankara neu verteilt. Das Amt des Ministerpräsidenten wird abgeschafft, das Parlament büßt Befugnisse ein. Der 64-jährige Erdogan, der die Türkei seit 15 Jahren beherrscht wie kaum ein Politiker vor ihm, kann ab sofort schalten und walten, wie er will.

Erdogan kann per Dekret regieren

Das wird auch dann gelten, wenn der seit dem Putschversuch von 2016 bestehende Ausnahmezustand kommende Woche ausläuft. Erdogan kann in seinem neu gestärkten Amt mindestens bis zur nächsten Wahl im Jahr 2023 auch ohne Ausnahmezustand per Dekret regieren und Minister oder Beamte entlassen, ohne die Erlaubnis des Parlaments einholen zu müssen. Laut Medienberichten ist zudem eine Verschärfung der Terrorgesetze möglich.

Deutschland wurde bei der Feier von Altbundeskanzler Gerhard Schröder vertreten, einem persönlichen Freund von Erdogan, der als Mittelsmann zwischen der Bundesregierung und der Führung in Ankara fungiert – einen aktiven Regierungspolitiker wollte Berlin nicht entsenden, weil dies als Beifall für Erdogans autokratischen Regierungsstil hätte verstanden werden könnte. Auch andere westliche Staaten hielten sich zurück; einziger aktiver EU-Regierungschef bei der Zeremonie war der ungarische Premier Viktor Orban. Die Gästeliste umfasste auch den wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen gesuchten sudanesischen Präsidenten Omar al Baschir und den venezolanischen Staatschef Nicolas Maduro.

Unterdessen ging der Umbau des Staates in Erdogans Sinne voran. Per Erlass wurden mehrere Ministerien aufgelöst – die Zahl der Kabinettsposten sinkt von 26 auf 16 – und die rechtlichen Grundlagen wichtiger Institutionen geändert. So wurde der Generalstab in seiner bisherigen Form abgeschafft; die hohen Militärs werden Erdogan künftig als eines von acht Direktoraten beraten. Am Abend sollte das neue Kabinett vorgestellt werden.

Erdogans Regierung steht in der Wirtschaftspolitik vor schwierigen Herausforderungen. Die Türkische Lira hat seit Jahresbeginn rund 16 Prozent an Wert verloren, die Inflation liegt bei 15 Prozent, das Außenhandelsdefizit wächst.

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