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Zwei Fäuste für Amerika: Präsident Trump fährt das außenpolitische Engagement der USA runter.

© REUTERS

Amerikas müde Krieger: Warum die USA nicht länger Weltpolizist spielen wollen

Die Sehnsucht in den USA, der Welt den Rücken zu kehren, gibt es nicht erst seit Trump. Die Antwort muss mehr sein als Phrasen von Verantwortung. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Sigmar Gabriel

Sigmar Gabriel war SPD-Vorsitzender und mehrfach Bundesminister. Er ist Autor der Holtzbrinck-Gruppe, zu der auch der Tagesspiegel gehört. Gabriel ist außerdem Vorsitzender der Atlantik-Brücke.

Seit Donald Trump entschieden hat, die amerikanischen Truppen aus dem Norden Syriens zurückzuziehen, wird er – nicht zuletzt in Europa – wieder als Isolationist bezeichnet. Dabei wird häufig vergessen, dass Trump mit seiner Politik des Rückzugs und seiner Abkehr vom Weltpolizistendasein der USA keinen neuen Weg beschreitet, sondern an ältere amerikanische Traditionen anknüpft. Es wird ebenso vergessen, dass er mit seinen Vorstellungen in den USA nicht allein ist: Auch das linke demokratische Lager befürwortet eine Politik des Rückzugs. Es gibt in den USA eine neue Sehnsucht, der Welt den Rücken zuzudrehen. Daraus ergeben sich Folgen für die europäische Außenpolitik.

Im Jahr 1821 sagte der damalige amerikanische Außenminister und spätere Präsident John Quincy Adams in einer Rede anlässlich des Unabhängigkeitstages: „Die Vereinigten Staaten von Amerika ziehen nicht in die Fremde auf der Suche nach Monstern, um sie zu zerstören. Sie sind der Gratulant der Freiheit und der Unabhängigkeit aller. Sie sind Verfechter und Verteidiger nur ihrer selbst.“ Bis heute ist der ansonsten eher vergessene John Quincy Adams ein Referenzpunkt für jene, die den Rückzug der USA befürworten – auf beiden Seiten des politischen Spektrums. Erst diesen Sommer gründete sich in Washington ein neuer Thinktank für Außen- und Sicherheitspolitik – das Quincy Institute for Responsible Statecraft.

Soros und Koch sind mit dabei

Das Geld kommt von zwei Großspendern, deren Weltansichten unterschiedlicher nicht sein könnten: George Soros, einem sozialliberalen Globalisten, und dem konservativ-libertären Charles Koch, den US-Präsident Donald Trump wohl einen Patrioten nennen würde. Die Gründung des Quincy Institutes wurde in den USA heiß diskutiert, nicht nur wegen seiner prominenten Förderer.

Das neue Institut hat es sich zur Aufgabe gemacht, „Amerikas endlose Kriege zu beenden“. Der Begriff der „endlosen Kriege“ (und die Sehnsucht nach einem Rückzug daraus) taucht aber längst nicht nur im Gründungsmanifest des Quincy Institutes auf. Es war Bernie Sanders, der den Terminus „Amerikas endlose Kriege“ wieder ins Gespräch brachte. Gleich mehrere Bewerber um die demokratische Präsidentschaftskandidatur arbeiten damit: „Wir müssen den endlosen Krieg beenden“, sagte Pete Buttigieg während einer Fernsehdebatte der Demokraten. Elizabeth Warren gilt ebenfalls als Verfechterin der Idee des Rückzugs.

Es reicht eben nicht, irgendwo einzumarschieren, alles über den Haufen zu schmeißen und dann das Land sich selbst zu überlassen. Für die Welt kann es durchaus von Vorteil sein, wenn sich nicht mehr eine Großmacht berufen fühlt, überall ihr Verständnis von Zivilgesellschaft durchzusetzen.

schreibt NutzerIn Gophi

Der Isolationismus ist so alt wie die USA, und er liegt in ihrer schwierigen transatlantischen Geschichte begründet. Es war vor allem der Wunsch der europäischen Einwanderer in diesem Land, das nur kurze Zeit vor Quincys Präsidentschaft seine Unabhängigkeit von der einstigen Kolonialmacht erklärt hatte, sich herauszuhalten aus den Wirren des europäischen Kontinents. Der Isolationismus wurde das Leitmotiv der Außenpolitik. Dies änderte sich erst mit dem Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg.

Bill Clinton sprach noch von der "indispensable nation"

Es ist Woodrow Wilson, der für das andere außenpolitische Leitmotiv der Vereinigten Staaten steht, den Interventionismus. Demnach sind es die Aufgabe und das Interesse der USA, sich für eine Welt der Freiheit, Unabhängigkeit und des Friedens zu engagieren. Mit Bill Clinton fand diese Doktrin einen Höhepunkt – er bezeichnete die USA als die „indispensable nation“, als die unabdingbare Nation. Sein Nachfolger George W. Bush stand ebenso in dieser Tradition und führte das Land in zwei Kriege, die heute synonym für Amerikas endlose Kriege stehen: Afghanistan und Irak. Es war ein zentrales Wahlkampfversprechen Barack Obamas, den militärischen Fußabdruck der USA in der Welt zu verkleinern, vor allem aber, die Missionen im Nahen und Mittleren Osten zu einem Ende zu bringen – und die Truppen zurück in die USA. Er versuchte, das entstandene Vakuum durch multilaterale Verträge zu füllen und forderte von den Partnern der USA, sie sollten mehr Verantwortung für die eigene Sicherheit übernehmen.

Donald Trump ist mit seiner „Nation zuerst“-Doktrin ebenfalls bestrebt, sich aus den militärischen Einsätzen im Nahen und Mittleren Osten zurückzuziehen. Aber er ist kein Isolationist, wie es der konservative amerikanische Publizist Robert Kagan zu Recht anmerkte. Der derzeitige US-Präsident will sich sehr wohl in die Welt einmischen, aber nicht um eine „liberal order“ als „indispensible nation“ aufrechtzuerhalten, sondern um amerikanische Partikularinteressen mithilfe der wirtschaftlichen Dominanz des Dollar durchzusetzen – notfalls auch gegen die Partner und Alliierten der USA. „Mission defines coalition“ ist die Devise: Wer den Interessen der USA dient, ist Partner. Je nach „mission“ können die Partner von heute morgen Gegner sein und umgekehrt. Das ist das Gegenteil des alten Westens.

Das Thema Rückzug wird bleiben

Auch wenn Trump damit in der eigenen Partei und in der interventionistisch geprägten Washingtoner Blase viel Kritik hervorruft, ist diese Politik in Grundzügen eben doch in viele Richtungen in den USA anschlussfähig. Die Gründung des Quincy-Instituts jedenfalls hat im Sommer die Debatte darüber entfacht, wie „Amerikas endlose Kriege“ beendet werden können. Es muss davon ausgegangen werden, dass auch nach Donald Trump die Idee des „Rückzugs“ der USA politisch attraktiv bleiben wird. Das Volk ist der vielen Kriege müde.

Es wäre ebenso leicht wie töricht, aus deutscher und europäischer Sicht, aus den Signalen, die der wachsende Trend des Isolationismus über den Atlantik sendet, ein Gefühl der Überlegenheit abzuleiten, nach dem Motto: „Haben wir ja schon immer gesagt: weniger Militär – mehr Frieden“. Auch dass Deutschland nun, da die USA sich militärisch nicht mehr engagieren, internationale Verantwortung vorrangig durch den Einsatz militärischer Mittel übernehmen sollte, ist falsch. Es geht darum, eine eigene Vorstellung von Außen- und Sicherheitspolitik zu entwickeln. Das schließt das Militär zwar ein, geht aber weit darüber hinaus.

Verantwortung übernehmen! Schöne Phrase

Hier zeigt sich in der deutschen Debatte eine Parallele zum US-Diskurs. Auch hier herrscht eine Konsensblase, das Motto: „Mehr Verantwortung übernehmen“. Der Begriff der „Verantwortung“ hat den Vorteil, dass er von allen Seiten im entsprechenden Interesse interpretiert werden kann. Internationale Verantwortung kann militärische Zurückhaltung ebenso sein wie verstärktes militärisches Engagement. Am schönsten aber ist, dass die Bekundung, man übernehme von nun an „mehr Verantwortung“, das gute Gefühl hervorruft, dass man ja bereits etwas tue. Dabei treten wir seit Jahren auf der Stelle.

Klar ist: Deutschland wird mehr in Sicherheit investieren müssen – die eigene, aber vor allem die im Bündnis, europäisch wie transatlantisch, denn davon war und bleibt Deutschlands Sicherheit abhängig. Sie liegt in unserem Interesse. Dazu gehört auch der Umgang mit dem militärischen Instrument. Wir sind aus guten Gründen zurückhaltend in dieser Frage. Zurückhaltung darf aber nicht mit Verdrängung verwechselt werden. Nur weil es schwer und unangenehm ist, dürfen wir uns dieser Frage nicht entziehen. Und nur weil man sie stellt, bedeutet dies nicht, dass man einer verantwortungslosen Militarisierung der deutschen Politik den Mund redet.

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