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Waffenbesitz ist ein Grundrecht – so sieht es zumindest der Supreme Court.

© Brittainy Newman/AP/dpa

Amerikas Gewaltenfrage: Urteil zu Waffenrecht in den USA – was daraus folgt

Das Oberste Gericht lockert das Waffenrecht, der Kongress will es verschärfen – dabei sterben immer mehr Menschen durch Schüsse.

Als am späten Abend die Nachricht von der Einigung im US-Senat über die Bildschirme eilte, war das Supreme-Court-Urteil schon zwölf Stunden alt. Eigentlich liegen keine 500 Meter zwischen den beiden amerikanischen Institutionen. Am Donnerstag waren es Welten.

Der Supreme Court hatte am Morgen entschieden, dass es ein Grundrecht der US-Bürger ist, eine Waffe zu tragen. Damit kippten die Obersten Richter ein Gesetz des Bundesstaats New York, das seit mehr als einem Jahrhundert in Kraft war und die Bürger dazu verpflichtete, eine Lizenz zu erwerben sowie einen stichhaltigen Grund dafür anzugeben, wenn sie eine (verdeckte) Handfeuerwaffe zur Selbstverteidigung bei sich tragen wollen.

Im gleichen Staat hatte ein 18-Jähriger fünf Wochen zuvor zehn Menschen an einem Supermarkt in Buffalo getötet, offenbar aus rassistischen Gründen. Der Schütze hatte sein Sturmgewehr legal gekauft.

Als Reaktion auf Buffalo und das Massaker an einer Grundschule in der texanischen Kleinstadt Uvalde eine Woche später, bei dem ein ebenfalls 18-Jähriger mit einem Sturmgewehr 19 Kinder und zwei Lehrerinnen ermordet hatte, war der Kongress in Washington tätig geworden.

Eine überparteiliche Gruppe aus Demokraten und Republikaner erarbeitete einen Gesetzentwurf, der etwa ausgeweitete Hintergrundüberprüfungen bei Waffenkäufern unter 21 Jahren sowie Milliardenbeträge für die Sicherheit in Schulen und eine bessere psychiatrische Versorgung im Land vorsieht.

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Ein Verbot des Verkaufs von Sturmgewehren, wie es US-Präsident Joe Biden im Wahlkampf gefordert hatte, ist zwar nicht enthalten. Dennoch wäre das Gesetz, dem im Senat immerhin 15 Republikaner zustimmten und das am Freitag 234 zu 193 Stimmen das Repräsentantenhaus passierte, die größte Waffenrechtsreform seit 28 Jahren. Nun muss es noch von US-Präsident Joe Biden unterzeichnet werden.

US-Präsident Biden äußerte sich besorgt

Dem steht nun das Supreme-Court-Urteil entgegen, das bei vielen Amerikanern Entsetzen auslöste. Biden äußerte sich „schwer enttäuscht“ und „besorgt“. New Yorks demokratischer Bürgermeister Eric Adams, früher ein Polizist, erklärte, die Entscheidung mache das Leben jedes Einzelnen unsicherer und ignoriere das Problem der grassierenden Waffengewalt.

Die ebenfalls demokratische Gouverneurin des Bundesstaats, Kathy Hochul, kündigte an, schnell ein neues Gesetz auf den Weg zu bringen.

In New York, Washington und vielen anderen amerikanischen Städten hat die Waffengewalt in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Hochuls Vorgänger Andrew Cuomo hatte im Sommer 2021 den Katastrophenfall ausgerufen, nachdem sich die Schusswaffengewalt im ersten Pandemiejahr 2020 im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt hatte.

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Auch landesweit wurden 2020 fast 35 Prozent mehr Menschen erschossen als 2019. Dazu kommt, dass immer mehr Waffen verkauft werden, unter anderem auch an Frauen, die sich damit selbst verteidigen wollen. 2020 wurden in den USA mehr Pistolen und Gewehre erworben als je zuvor. Geschätzt sind rund 390 Millionen Waffen im Umlauf – mehr, als das Land Einwohner hat.

Die Antwort der Republikaner auf Massaker: Mehr Waffen

Aber der Lösungsvorschlag vieler Republikaner, die sich auf den zweiten Verfassungszusatz berufen, lautet nach Massakern wie in Buffalo und Uvalde in der Regel: Mehr Waffen bringen mehr Sicherheit. Nach Schulschießereien wird dann oft gefordert, Lehrer zu bewaffnen.

Auf die Verfassung beriefen sich auch die sechs konservativen Richter im Supreme Court, die mit ihrer große Mehrheit das Potenzial haben, das Zusammenleben in Amerika massiv zu verändern – nicht nur mit diesem Urteil, sondern auch in der Abtreibungsfrage.

Gesetze in mindestens sechs Bundesstaaten stehen nun auf der Kippe

Nach dem Aus für das New Yorker Gesetz wird nun erwartet, dass ähnliche Regelungen in mindestens sechs Bundesstaaten fallen könnten beziehungsweise überarbeitet werden müssen, unter anderem in Washington DC.

Der erzkonservative Richter Clarence Thomas, der das Urteil schrieb, erklärte: „Jeder Einzelne hat das Recht, eine Pistole zur Selbstverteidigung außerhalb des Hauses mit sich zu führen.“ Im eigenen Haus ist dies bereits seit einem Grundsatzurteil im Jahr 2008 erlaubt.

Seitdem Ex-Präsident Donald Trump durch die Ernennung von insgesamt drei Richtern das Gewicht des Supreme Courts nach rechts verschoben hat, sinkt das Ansehen des Gerichts. Sowohl beim Waffenrecht als auch beim erwarteten Urteil in der Abtreibungsfrage agiert das Oberste Gericht gegen den Mehrheitswillen der Amerikaner.

Das Vertrauen in den Supreme Court sinkt

In einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Gallup erklärten nur noch 25 Prozent der Befragten, großes Vertrauen in das Gericht zu haben, ein historischer Tiefstand. Im Vorjahr waren es noch 36 Prozent.

Auch die Spannungen im Gericht selbst nehmen offenbar zu, berichtet wird von erregten Diskussionen. Die drei Richter, die sich der Mehrheitsmeinung nicht anschlossen, bezogen sich explizit auf Buffalo und Uvalde, als sie vor den Auswirkungen des Urteils warnten. Der konservative Richter Samuel Alito erklärte daraufhin, das New Yorker Gesetz habe den Täter offensichtlich ja auch nicht gestoppt.

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