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Annalena Baerbock (Grüne) und Olaf Scholz (SPD) fordern im Wahlkampf die Union heraus.

© Kay Nietfeld/dpa

„Ambitionslos“, „chaotisch“, „unseriös“: So rüsten SPD und Grüne auf zum Wahlkampf gegen die Union

In Umfragen stabilisiert die Union ihren Vorsprung. Interne Papiere zeigen, wie Grüne und SPD nochmals angreifen wollen. Dabei werden sie auch mal persönlich.

Paul Ziemiaks Einladung an die politische Konkurrenz war ein bisschen vergiftet: "Wir werden die inhaltliche Auseinandersetzung in den kommenden Wochen in den Mittelpunkt stellen und ich hoffe, dass die anderen Parteien mitmachen und sich nicht nur mit sich selbst beschäftigen", hatte der Generalsekretär der CDU unlängst bei der Vorstellung der Wahlkampagne seiner Partei gesagt. Tatsächlich fährt der 35-Jährige auch selbst gerne mal Attacken jenseits der Inhalte auf die Konkurrenz.

Was seinen Wunsch nach inhaltlicher Auseinandersetzung angeht, scheinen ihm den die anderen Parteien nun zu erfüllen. Dem Tagesspiegel liegen mehrere sogenannte "Argumentationshilfen" von SPD und Grünen vor, die aus den Parteizentralen an die Wahlkämpfer der Parteien versandt wurden. Daraus geht hervor, wie man die Union nochmal einholen will - und auch, wie die Arbeit einzelner Minister und Kandidaten bewertet wird.

Vor allem die SPD, die in Umfragen seit vielen Monaten nur auf Platz drei liegt, muss vorankommen, will sie mit Olaf Scholz doch noch das Kanzleramt erreichen. Dazu haben die Sozialdemokraten aus dem Willy-Brandt-Haus gleich ein ganzes dutzend Argumentationspapiere für ihre Mitglieder erarbeitet. Darunter sind Dokumente, die die Schwächen der anderen Parteien offenlegen sollen, auch vermeintliche Schwachstellen in der Bilanz aller CDU- und CSU-Minister wurden genau herausgearbeitet. Und die sind teils ziemlich harsch formuliert.

Karliczek "ambitionslos", Bär ohne "Durchsetzungskraft"

Über Wissenschaftsministerin Anja Karliczek (CDU) heißt es beispielweise: "Ambitionslos, ideenlos, empathielos, chaotisch. Sie hat keine bildungspolitischen Ziele – und deshalb auch kein Thema mit Leidenschaft vorangetrieben." Von der Ministerin werde "nicht viel" in Erinnerung bleiben.

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Über Digitalstaatsministerin Dorothee Bär (CSU) heißt es in einem anderen Briefing: "Viele Aufrufe, Appelle, Forderungen, nette Tweets und bunte Bilder, aber eben keine Durchsetzungskraft." Zwar greife sie oft Themen und Schlagworte auf, heißt es im SPD-Papier, doch dies geschehe eher wahllos und ohne Strategie. "Am Ende ist oft Kanzleramtschef Helge Braun zuständig und übernimmt Themen, Bär schaut in die Röhre."

Auch Bärs CSU-Parteifreund, Verkehrsminister Andreas Scheuer, kommt in den Dokumenten des Koalitionspartners schlecht weg: "Seine Amtszeit war geprägt von Effekthascherei und blindem Aktionismus", lautet die Bilanz.

Die Arbeit von Dorothee Bär und Andreas Scheuer bewertet die SPD vernichtend.
Die Arbeit von Dorothee Bär und Andreas Scheuer bewertet die SPD vernichtend.

© Imago/Frederic Kern

SPD: "CDU Gefahr für den Wohlstand"

In den Argumentationshilfen der sozialdemokratischen Strategen über die Union heißt es in einem sechsseitigen Dokument, die Konservativen hätten das Regierungshandwerk verlernt: "Sie behindern den Fortschritt und sind zu einer Gefahr für den Wohlstand und die Arbeitsplätze in Deutschland geworden."

Inhaltliche Stiche wollen die Sozialdemokraten offenbar beim Thema Mindestlohn setzen, den die Union - anders als die SPD - nicht erhöhen möchte. Zudem wirft das Papier der Union vor, die Mieter im Stich gelassen zu haben. "CDU und CSU standen bei diesen Vorhaben stets knallhart auf die Seite der Immobilienlobby", heißt es.

Offene Flanken sehen die Sozialdemokraten außerdem beim schleppenden Ausbau der Digitalisierung ("Geschwindigkeit eines Modems der 90er Jahre") und bei der Haushaltspolitik, die als "unseriös" bezeichnet wird. Zudem wird CDU-Chef und Kanzlerkandidat Armin Laschet attackiert: "Herr Laschet hat keinen Kompass für nichts - außer fürs Lavieren, Tricksen und Täuschen."

"Trickst und täuscht", findet die SPD: CDU-Chef Armin Laschet
"Trickst und täuscht", findet die SPD: CDU-Chef Armin Laschet

© Imago/Political Moments

Die Grünen: "Angriffslustig, aber nicht aggressiv"

Mit ihrer Strategie, die Union stellen zu wollen, ist die SPD nicht allein. Auch die Grünen, die wegen der Vorwürfe gegen Lebenslauf und Buch ihrer Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock seit Wochen in der Defensive sind, betonen in einem fünfseitigen Argumentationspapier, dass man in erster Linie auf die eigenen politischen Ideen und Inhalte setzen will: "Die positiven Botschaften, die für uns sprechen, stehen im Mittelpunkt unserer Kommunikation", heißt es in dem Papier, das in der Parteizentrale vom Team um Bundesgeschäftsführer Michael Kellner erarbeitet wurde. Man wolle aber auch die Konkurrenz stellen, jedoch mit Augenmaß: "Wir sind angriffslustig, aber nicht aggressiv."

[Lesen Sie bei Tagesspiegel Plus: Nacktbilder, Beleidigungen und Fakes: Wie der Hass im Netz gegen Baerbock eskalierte]

Vor allem an der Union wollen sich die Grünen abarbeiten, schließlich möchte man ein "Duell zwischen Grün und Schwarz" herbeiführen. CDU und CSU will die Ökopartei inhaltlich stellen. Deren Programm sei "unsozial und unsolide", heißt es in ihrem Papier. Konkret kritisieren die Grünen, dass die Union keine verbindlichen Schritte beim Klimaschutz formuliere: "kein schnellerer Kohleausstieg, keine Solarpflicht und keinen Fahrplan für den Ausstieg aus dem fossilen Verbrennungsmotor". Auch beim Thema Finanzen ("viele Versprechen statt solider Haushaltspolitik") sehen die Grünen Potenzial zum Angriff.

Grüne über Laschet: Sagt nur, was die Leute hören wollen

Auch am Personal der Union wollen sich die Grünen-Wahlkämpfer nach dem Willen der Geschäftsstelle abarbeiten. So fehle CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet der "Kompass, der dringend gebraucht wird, um uns gut durch die nächsten Jahre zu führen". Er habe in der Corona-Pandemie einen "Zick-Zack-Kurs" gefahren und drücke sich nun weg. "Statt zu sagen was ist, sagt er, was die Leute von ihm hören wollen", heißt es.

Auch vor dem früheren Chef des Verfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen, mögen die Wahlkämpfer warnen. Er verbreite rechte Verschwörungsmythen und hinterfrage die Pressefreiheit. "Wer Laschet wählt, wählt auch Maaßen", heißt es als prägnante Argumentationshilfe.

Die SPD finden die Grünen "ausgelaugt"

Doch auch die anderen Parteien bekommen in dem Grünen-Strategiepapier ihr Fett weg. Die SPD sei "ausgelaugt", von ihr sei "kein Aufbruch zu erwarten". SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz versuche die Regierungsbilanz zu "verschleiern" und habe "jede Verantwortung" beim Wirecard-Skandal von sich gewiesen. Auch inhaltlich würden die Sozialdemokraten abfallen: "Der SPD fällt leider beim Klimaschutz nicht viel ein", schreiben die Autoren des Grünen-Strategie-Papiers.

Argumentationshilfen sind keine Seltenheit in Wahlkämpfen. Fast alle Parteien erstellen sie für ihre Mitglieder, die sich im Wahlkampf auf der Straße und auf Podien immer wieder behaupten müssen. Die kurzen Papiere sind mitunter sehr zugespitzt und provokativ formuliert.

Nachdem die Grünen im Mai den ersten Entwurf ihres Parteiprogramms vorgestellt hatten, verschickten die CDU-Strategen aus der Parteizentrale im Konrad-Adenauer-Haus ebenfalls einen Strategie-Spickzettel. Darin wurde das Programm mit einem Fliegenpilz verglichen: "Sieht schön aus, ist aber ungenießbar." Nur Inhalte genügen offenbar auch CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak nicht.  

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