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Gerhard Schroeder in seinem Altkanzler-Büro in Berlin im Jahr 2018.

© Fabrizio Bensch/Reuters

Altkanzler verklagt Bundestag: Was will Gerhard Schröder?

Kein Büro, keine Mitarbeiter: Der Altkanzler Schröder sieht sich willkürlich behandelt. Die Reaktionen im Parlament reichen von Schulterzucken bis Empörung.

Der Vorgang ist einmalig. Ein ehemaliger Kanzler verklagt den Bundestag. Gerhard Schröder, mittlerweile 78 Jahre alt, zwischen 1997 und 2005 im Amt an der Spitze einer rot-grünen Koalition, ist der Meinung, dass die Volksvertretung im Unrecht angetan hat. Er sieht sogar Willkür am Werk.

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Am Freitagmorgen veröffentlichte die Deutsche Presse-Agentur eine Erklärung des Hannoveraner Anwalts Michael Nagel, der die Klage beim Verwaltungsgericht Berlin eingereicht hat. Sie richtet sich dagegen, dass das Parlament – konkret der Haushaltsausschuss – Mitte Mai die Mittel für die Ausstattung seines Büros im Bundestag gestrichen hat. „Diese Entscheidung ist rechtswidrig“, heißt es in der Erklärung des Anwaltsbüros.

Was hatte der Haushaltsausschuss beschlossen? In der Sitzung vom 19. Mai verabschiedeten die Haushälter einen so genannten Maßgabebeschluss, in dem festgestellt wird, „dass Bundeskanzler a.D Schröder keine fortwirkende Verpflichtung aus dem Amt mehr wahrnimmt“. Dessen Büro werde daher „ruhend gestellt“.

Zu dem Zeitpunkt hatten die vier Mitarbeiter Schröders schon gekündigt. Genauer gesagt: Sie hatten darum gebeten, in anderen Funktionen verwendet zu werden. Formal sind sie dem Kanzleramt zugeordnet. Als Grund galt Schröders Haltung zum russischen Präsidenten Wladimir Putin nach Beginn des Überfalls auf die Ukraine und seine damals noch nicht ausgesetzte Tätigkeit für russische Energiekonzerne.

Keine Nachbesetzung

Der Haushaltsausschuss beschloss mit den Stimmen der Koalition und der Union bei Enthaltung von AfD und Linken, dass die Stellen nicht nachbesetzt werden sollten. Sein Personenschutz wurde ihm belassen. Zudem wurde der Bundesregierung aufgetragen, „sicherzustellen, dass die Amtsausstattung ehemaliger Bundeskanzlerinnen und Bundeskanzler nach der fortwirkenden Verpflichtung aus dem Amt erfolgt und nicht statusbezogen“. Will heißen: Ex-Regierungschefs sollten auch entsprechend etwas tun für das Geld, das sie kosten.

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Gesetzlich geregelt ist die Amtsausstattung von früheren Kanzlern nicht, auch fortwirkende Verpflichtungen sind nirgends definiert. Der Bundestag hat es den Altkanzlern quasi selbst überlassen, wie sie diese Aufgabe erfüllen – in der Erwartung, dass sie erfüllt wird.

Hier nun setzt Gerhard Schröder mit seiner Klage an. Er will sozusagen wissen, was konkret er eigentlich nicht mehr wahrgenommen hat.

In der anwaltlichen Erklärung heißt es, es werde in dem Beschluss des Ausschusses nicht festgelegt, was „nachwirkende Dienstpflichten“ überhaupt seien, „wie ihre Wahr- bzw. Nichtwahrnehmung zu ermitteln ist und welches Procedere es im Übrigen dabei einzuhalten gilt“. Der Ausschuss habe neue Regeln bestimmt, ohne sich dabei die Mühe zu machen, den „zugrunde gelegten Sachverhalt“ zu ermitteln.

„Nicht über die Medien“

Zwar heißt es in der anwaltlichen Erklärung, man gebe sie ab in der Hoffnung, „dass auch im Interesse der Beklagten die aufgeworfenen Rechtsfragen nur vor Gericht und nicht über die Medien erörtert werden“. Doch wird der Bundestag mit einem harten Vorwurf belegt.

„Solcherart Entscheidungen, die im Hinblick auf die Art und Weise ihrer Entstehung eher an einen absolutistischen Fürstenstaat erinnern, dürfen in einem demokratischen Rechtsstaat keinen Bestand haben. Die Entscheidung ist willkürlich. Deren bloße Akzeptanz und ungeprüfte Hinnahme kann nicht in Betracht kommen.“

Schröder sei weder Gelegenheit zur Stellungnahme vor der Entscheidung noch rechtliches Gehör gewährt worden, heißt es weiter. Das Verfahren müsse endlich nach rechtsstaatlichen Grundsätzen geführt werden.

Schröders Anwalt Nagel, der auch schon den früheren Bundespräsidenten Christian Wulf in dessen Korruptionsverfahren vertreten hat (es endete 2014 mit einem Freispruch), fügte im Norddeutschen Rundfunk hinzu, der Umfang mit Schröder sei „ein klarer Verstoß gegen die Menschenwürde“.

Ziel ist es, dass Schröder wieder ein Büro samt Mitarbeiterstellen bekommt. Für Personalausgaben in Schröders Büro waren im vergangenen Jahr mehr als 400.000 Euro eingeplant gewesen. Sein Ruhegehalt in Höhe von 8300 Euro erhält Schröder weiterhin.

„Soll er ruhig mal klagen“

Die Reaktionen im Parlament schwankten am Freitag zwischen Schulterzucken und Empörung. Die stellvertretende Vorsitzende des Haushaltsausschusses, die Sozialdemokratin Bettina Hagedorn, sagte dem Tagesspiegel: „Der Beschluss des Haushaltsausschusses zu Schröder ist Teil des Bundeshaushalts 2022. Der wurde vom Bundestag als Gesetz beschlossen. Einem Kanzler a.D. sollte es nicht an dem erforderlichen Respekt gegenüber dessen demokratischen Beschlüssen fehlen. Die Beurteilung obliegt jetzt dem Gericht.“

Der FDP-Haushälter Otto Fricke verteidigte den Beschluss: „Haushälter haben dafür zu sorgen, dass Steuermittel nur für Aufgaben ausgegeben werden, für die sich auch vorgesehen sind“, sagte er dem Tagesspiegel. „Und sie kontrollieren danach, ob sie auch entsprechend ausgegeben wurden.“

Recht deutlich wurde Stephan Thomae, der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion. Die Amtsausstattung sei dafür gedacht, dass Kanzler auch nach ihrer Amtszeit Aufgaben für das Land wahrnehmen könnten, sagte er. „Bei Herrn Schröder ist das genaue Gegenteil der Fall, er agiert klar gegen die Interessen Deutschlands.“

Der Grünen-Haushälter Sebastian Schäfer meinte kurz: „Auch einem ehemaligen Kanzler steht der Rechtsweg offen. Soll er ruhig mal klagen.“

Mit Folgewirkung

Will Schröder nun tatsächlich detailliert klären lassen, was fortwirkende Verpflichtungen sind? Und zwar von einem Gericht? Eine Entscheidung würde Wirkung nicht nur für ihn haben, sondern für Ex-Kanzlerin Angela Merkel, für Olaf Scholz, wenn der aus dem Amt scheidet, und für alle weiteren Nachfolger.

Zudem ließe sich das auf alle ehemaligen Bundespräsidenten und Bundestagspräsidenten anwenden – auch diese haben nach dem Ende ihrer Amtszeit Anspruch auf Büros und Mitarbeiter zur Fortführung repräsentativer oder anderer Aufgaben, die sich aus ihrer Amtszeit herleiten.

Bemerkenswert ist, dass Schröder über die Erklärung des Anwaltsbüros eine Art Stillschweigen anbietet. Eine Kommunikation über die Medien solle „nicht weiter stattfinden“. Ist er an einer Art Vergleich interessiert? In der anwaltlichen Erklärung ist davon die Rede, dass in der Sache „gegebenenfalls“ das Gericht entscheiden müsse.

Zuletzt hatte Schröder mit einem großen Interview im Magazin „Stern“ Aufsehen erregt – die Schlagzeile lautete: „Wofür soll ich mich entschuldigen?“ Am Montag hatte er wieder Schlagzeilen gemacht: Die SPD in der Region Hannover entschied, dass er Mitglied in der Partei bleiben kann. Die Klage gegen den Bundestag wirkt da wie ein weiterer Versuch, sich vollends rehabilitieren zu lassen.

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