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Kurdische Kämpfer nach dem Sieg über das IS-Kalifat in Syrien.

© Souleiman / AFP

Als Alternative zur Rückkehr?: Syriens Kurden fordern UN-Tribunal für IS-Verbrecher

„Die gefährlichsten IS-Kämpfer überhaupt” sitzen in Camps in Nordsyrien, sagt die Kurdenführung beim Berlin-Besuch. Es geht um 7000 Dschihadisten.

Ein internationales Tribunal soll die Verbrechen des "Islamischen Staates" (IS) im Nahen Osten aufklären. Dafür plädierte die Führung der syrischen Kurden bei einem Besuch in Berlin - und forderte die Bundesregierung auf, ein mögliches UN-Sondergericht zu unterstützen. "Mit internationaler Hilfe könnten die gefangenen Dschihadisten in Nordsyrien angeklagt und verurteilt werden", sagte die PYD-Vorsitzende Aisha Hesso dem Tagesspiegel.

Die säkulare Partei PYD regiert seit 2012 die kurdische Autonomieregion in Nordsyrien. "Die bei uns gefangenen IS-Männer gehören zu den gefährlichsten überhaupt", sagte Hesso weiter: Die meisten von ihnen seien erst in den letzten Monaten des selbsternannten IS-Kalifats festgenommen worden; diese Dschihadisten zählten also zum harten und zu allem entschlossenen Kern der Terrormiliz.

Zuletzt hatte es Ausbruchsversuche von IS-Männern in dortigen Gefangenencamps gegeben. Daran waren auch Dschihadisten aus dem Westen beteiligt. Die kurdische Selbstverwaltung im Norden Syriens versorgt circa 7000 IS-Kämper in ihren Gefangenenlagern. Dazu kommen nach unbestätigten Angaben 80.000 Frauen und Kinder, die einst zum IS-Kalifat gehört haben sollen.

Berlin will Rücksicht auf die türkische Regierung nehmen

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat sich schon vor zwei Wochen für ein internationales Sondergericht ausgesprochen. "Das ist mir allemal lieber, als alle IS-Kämpfer deutscher Staatsangehörigkeit nach Deutschland zu holen", sagte Seehofer während des Treffens der G7-Innenminister in Paris vor zwei Wochen. Allerdings unterhält die Bundesregierung keine offiziellen Beziehungen zu Syriens Kurdenführung. Frankreich, Russland und die USA sprechen regelmäßig mit Syriens Kurden, auch mit PYD-Funktionären.

Berlin will Rücksicht auf die türkische Regierung nehmen. Ankara betrachtet die PYD als Schwesterpartei der auch in Deutschland verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei PKK: Die PKK kämpft seit 30 Jahren um kurdische Autonomie in der Türkei. Die Türkei bombardiert die Rojava genannte Kurdenregion in Syrien seit Jahren. Die dazugehörende Kurdenprovinz Afrin hatte Ankara 2018 zusammen mit islamistischen Verbündeten sogar besetzt. Nicht nur die Kurdenpartei PYD, auch christlich-assyrische und einige muslimisch-arabische Verbände befürchten einen großangelegten Einmarsch der Türkei.

Aisha Hesso, Ko-Vorsitzende der kurdischen Democratic Union Party (PYD) in Syrien.
Aisha Hesso, Ko-Vorsitzende der kurdischen Democratic Union Party (PYD) in Syrien.

© Promo

Sollte Ankara in Syrien erneut einmarschieren, drohen die kurdischen YPG-Verbände damit, den Kampf gegen die noch in der ganzen Region existenten IS-Zellen einzustellen. Die YPG sind die Hauptkraft in dem von den USA unterstützten Anti-IS-Militärbündnis SDF. Mehr als 11.000 Männer und Frauen des SDF sind im Anti-IS-Kampf gefallen. Neben der Sorge vor der Türkei fürchten viele Kurden auch, dass das Zentralregime von Baschar al Assad angreifen könnte. Ankara, Damaskus und Moskau beraten sich derzeit darüber, wie mit der kurdischen Autonomiezone umzugehen sei. Noch stehen US-Soldaten in Syrisch-Kurdistan, was syrische und türkische Truppen abschrecken dürfte.

Dschihadisten über Irak nach Deutschland ausliefern?

US-Präsident Donald Trump hatte die Staaten Europas schon im Februar aufgefordert, Kämpfer aus ihren Ländern zurückzuholen und vor Gericht zu stellen. Frankreich ist dem in Einzelfällen nachgekommen. Die Bundesregierung in Berlin hat wohl auch einige Dschihadisten aus Irak abholen lassen. Die kurdische Regionalregierung dort wird international anerkannt. Die PYD-Kurden in Syrien bieten an, deutsche Dschihadisten nach Erbil in Nordirak zu überstellen, damit sie von dort nach Deutschland geflogen werden können. Auch in Irak sind viele über den laxen Kurs der Deutschen verwundert.

Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte, die aus dem Exil die Lage beobachtet, teilte kürzlich mit: Viele IS-Mitglieder seien mit europäischen Reisedokumenten über die Türkei nach Syrien gekommen. Es wäre unverantwortlich, die autonome Selbstverwaltung in Nordsyrien mit Identifizierung und Verurteilung dieser Dschihadisten alleine zu lassen. Schließlich habe das Nato-Land Türkei maßgeblich dazu beigetragen, dass sich so viele Europäer dem IS anschließen konnten.

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