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Zusammenstoß auf dem Hongkonger Flughafen

© Thomas Peter/REUTERS

„Alles ist im Moment außer Kontrolle“: Die Stimmung in Hongkong kippt

Sie fesseln vermeintliche Verräter und blenden Polizisten mit Lasern: Einige Aktivisten in Hongkong weichen vom friedlichen Protest ab, die Aggression nimmt zu.

Auch am Dienstag haben die Hongkonger Demokratie-Aktivisten den Flughafen auf der Insel Lantau zum Schauplatz ihrer Demonstrationen gemacht. Wie am Vortag blockierten sie dabei die Zugänge zu den Abfluggates und Check-In-Schaltern, weshalb ab Nachmittag alle Abflüge ausfallen mussten. „Entschuldigen Sie die Unannehmlichkeiten, aber wir kämpfen für die Zukunft unserer Heimat“, hatte einer der höflicheren Demonstranten auf ein Plakat geschrieben.

Doch am Abend eskalierte die Lage. Die Polizei wollte einen Mann befreien, der von den Demonstranten als Undercover-Agent Chinas angesehen wurde. Er war wohl in Ohnmacht gefallen, doch die Menge ließ lange Zeit keine Sanitäter zu ihm.

Nach Angaben der „South China Morning Post“ kam es dann zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Demonstranten und der Bereitschaftspolizei, die Pfefferspray und Gummiknüppel einsetzte und mindestens zwei Personen festnahm. Ein Polizist zückte nach einer Auseinandersetzung mit Demonstranten seine Waffe.

Die Demonstranten hatten auch einen weiteren Mann zwischenzeitlich an einen Gepäckwagen gefesselt. Er hatte eine Presseweste getragen, besaß aber keinen Presseausweis. Dafür trug er in seiner Tasche ein T-Shirt mit der Aufschrift „Ich liebe die Hongkonger Polizei“.

Dieses soll in den vergangenen Tagen auch von einem prochinesischen Schlägertrupp getragen worden sein. Später wurde er als Reporter der staatlich kontrollierten chinesischen Zeitung „Global Times“ identifiziert. „GT-Reporter Fu Guohao ist von der Polizei gerettet worden und ins Krankenhaus gebracht worden“, schrieb „Global Times“-Chefreporter Hu Xijin auf Twitter.

Stimmung schlägt um

Lange hatten die meisten Demonstranten vor allem friedlich und kreativ für Demokratie und gegen Polizeigewalt demonstriert. Doch am Dienstag schlug die Stimmung nach Augenzeugenberichten in Aggressivität um. Womöglich agierten die Aktivisten auch deshalb so hochnervös, weil sich am Sonntag als Demonstranten getarnte Polizisten unter sie gemischt hatten.

Die Bilder vom Flughafen dürften jedoch die chinesische Sicht nur verstärken, wonach die Demonstranten Chaos und Gewalt über die Stadt bringen. China hatte bereits am Montag in seiner Sonderverwaltungszone „Zeichen von Terrorismus“ gesehen. In Shenzhen an der Grenze zu Hongkong stehen nach übereinstimmenden Medienberichten paramilitärische Polizeieinheiten bereit.

„Alles ist im Moment außer Kontrolle“, sagte der 21 Jahre alte Demonstrant Jamie dem „Wall Street Journal“ über die Ereignisse vom Dienstag, „diese Bewegung hat keine Anführer, jeder macht, was er will.“

Das war eigentlich ein Vorteil gegenüber der gescheiterten Demokratie-Bewegung von 2014. Deren Anführer wie Joshua Wong waren zu Gefängnisstrafen verurteilt worden, Ray Wong und Alan Li flohen nach Deutschland und erhielten politisches Asyl. Die Führungslosigkeit macht es allerdings auch schwieriger, mit den Demonstranten zu verhandeln. Joshua Wong sieht sich inzwischen in einer „Hilfsrolle“.

Verschlüsselte Kommunikation

Die Demonstranten verabreden sich vor allem über soziale Medien, mitunter verschlüsselt. Weshalb die Hongkonger Polizei nach einem Bericht der „New York Times“ vermehrt versucht, Zugriff auf die Smartphones von Verhafteten zu bekommen, um ihre digitalen Aktivitäten zu verfolgen und Beweise zu sammeln.

Die Demonstranten wiederum reagieren darauf, indem sie die Gesichtserkennung der Handys ausschalten oder unbenutzte Smartphones mitnehmen. Um auf der An- oder Abfahrt zu einer Demonstration keine Spuren auf ihrer digitalen Fahrkarte zu hinterlassen, kaufen viele Demonstranten Einweg-Tickets mit Bargeld.

Mit Helmen, überdimensionalen Brillen und Masken schützten sich die Demonstranten nicht nur gegen Tränengas, sondern auch gegen die Gesichtserkennungssoftware der Polizei. Gelegentlich setzen sie festmontierte Überwachungskameras außer Gefecht, indem sie Farbe darauf sprühen oder einen Regenschirm davor platzieren.

Oder sie blenden Kameras der Polizisten mit Laserpointern, sodass diese keine Aufnahmen machen können. Am Dienstagabend im Flughafen richteten sie die Laserpointer auch auf die Gesichter der Polizisten. Die „Global Times“ hatte zuvor davor gewarnt, dass diese Strahlen dauerhafte Schäden an den Augen verursachen könne. Die Zeitung erwähnte jedoch nicht, dass am Sonntag eine Demonstrantin offenbar durch ein Polizeigeschoss tatsächlich das Licht auf einem Auge verloren hat.

Hongkongs pekingfreundliche Regierungschefin Carrie Lam hatte den Flughafenbesetzern am Morgen vorgeworfen, die Stadt in „den Abgrund stürzen zu wollen.“ Auf die Forderungen der Demonstranten und die Polizeigewalt ging sie mit keinem Wort ein.

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