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Politik: „Allein können wir nichts ausrichten“

Schwedens Außenministerin Freivalds will in ihrem Land für Europa werben – und die Position der EU stärken

Frau Freivalds, Sie sind die Nachfolgerin der populären Anna Lindh. Ist es ein schweres Erbe?

Mit Blick auf die Umstände bekommt es eine besondere Dimension, ihre Nachfolgerin im Amt zu sein. Denn Anna existiert weiter in unserer Erinnerung, in der Politik. Das wäre kein Problem, wenn es nicht kombiniert wäre mit dieser tiefen Trauer. Und natürlich beeinflusst das die Situation.

Sie sind jetzt seit knapp einem halben Jahr im Amt. Was betrachten Sie als Ihren Schwerpunkt?

Einer der wichtigsten Punkte ist sicherlich die Zusammenarbeit in der EU und die Vorbereitungen für die Ausweitung der Union auf 25 Mitgliedsländer. Ich sehe es als zentrale Aufgabe an, die schwache außenpolitische Position der EU zu verbessern. Außerdem ist Schweden sehr engagiert in verschiedenen Friedensmissionen in der Welt. Wir haben eine lange Tradition, uns an verschiedenen Konfliktlösungen zu beteiligen.

Sie sprechen von einer Schwäche der EU. Was muss verbessert werden?

Wir müssen mehr von dem, was wir diskutieren auch umsetzen – und zwar in der praktischen täglichen Zusammenarbeit. Heute diskutieren wir viele der großen Fragen in der EU, aber das führt selten zu aktivem, gemeinsamem Handeln. Alle gehen zurück in ihre Länder und agieren zwar auf Grund eines gemeinsamen Standpunktes, aber doch alle in eigener Regie. Und das macht die EU schwach.

Also braucht die EU einen gemeinsamen Außenminister?

Organisatorische Fragen sind natürlich wichtig, aber ich denke, es ist mehr eine Frage des Willens. Schon mit den Strukturen, die wir heute in der Union haben, könnte die EU ein viel stärkerer Akteur sein – wenn die Mitgliedsstaaten das wirklich wollten.

Sie selbst stammen aus Lettland, einem der neuen Mitgliedsländer. Nun kündigt ein Land nach dem anderen – auch Schweden – an, den Zugang zum heimischen Arbeitsmarkt zu beschränken. Warum?

Man muss realistisch sehen, dass die zehn neuen Länder einen anderen Lebensstandard haben als die 15 alten Mitgliedsstaaten. Und das ist der Grund dafür, dass es zu Situationen kommen kann, die auch den schwedischen Arbeitsmarkt negativ beeinflussen. Außerdem könnte es sein, dass Arbeitnehmer aus den neuen Ländern ausgenutzt werden. Wir müssen dazu beitragen, diese Länder so schnell wie möglich zu entwickeln, so dass die wirtschaftlichen Unterschiede verringert werden, denn sie sind das eigentliche Strukturproblem.

Aber die Menschen auf der anderen Seite der Ostsee sprechen von einer EU erster Klasse und zweiter Klasse…

Es ist nicht so, dass die Übergangsregeln für den Arbeitsmarkt eine Zwei-Klassen-Einteilung vornehmen. Es sind die grundlegenden Unterschiede in den Lebensstandards, die wir gemeinsam verbessern müssen. Der bei vielen vorhandene Ärger rührt daher, dass man das nicht von Anfang an gesagt hat. Wir hätten auf eine sachliche Weise deutlich machen müssen, dass eine Rücksichtnahme auf die Verhältnisse sowohl in den alten wie den neuen Ländern notwendig ist. Man bekam den Eindruck, dass es keine Übergangsregeln geben würde, und dann plötzlich werden sie eingeführt. Durch die Art und Weise, wie man vorgegangen ist, sind bedauerlicherweise falsche Erwartungen geweckt worden. Auf der sachlichen Ebene gibt es kein Problem.

Wir hören da viel Selbstkritik, denn Schweden kam mit seiner Ankündigung ja sehr spät…

Ja, absolut. Wir müssen zugeben, es wäre besser gewesen, das von Anfang an klar zu machen.

Ministerpräsident Göran Persson hat in diesem Zusammenhang den Begriff „Sozialtourismus“ benutzt. Kann das nicht falsch interpretiert werden?

Ich glaube nicht, dass irgendjemand diesen Ausdruck weiter verwenden wird. Er ist nicht mehr relevant.

Am 13. Juni finden die Europawahlen statt. In Schweden hat sich mit der Juni-Liste eine neue Organisation gegründet, die für den Austritt aus der EU plädiert. Wird die Wahl einmal mehr eine gegen die Europäische Union?

Ohne Zweifel werden die EU-Gegner dies versuchen. Aber alle anderen wollen natürlich, dass es um politische und ideologische Inhalte geht, genauso wie bei unseren Wahlen zum Reichstag. Und wir werden dafür arbeiten, dass die Menschen verstehen, dass es wichtig ist, dass wir Politiker nach Brüssel schicken.

Fehlt den Schweden nicht manchmal das europäische Bewusstsein?

In der Tat ist es wichtig, dass wir versuchen, dies zu stärken. Wir müssen den Bürgern in Schweden klar machen, dass wir keine Macht von Stockholm nach Brüssel abgeben, sondern wir in Brüssel an der Macht beteiligt sind. Die Menschen müssen einsehen, dass es Fragen gibt, die der schwedische Reichstag nicht beschließen kann. Er kann zwar formell neue Gesetze schaffen, aber in vielen Bereichen sind die wirkungslos. Wir bekommen keine bessere Qualität des Wassers in der Ostsee, wenn sich nicht alle Anrainerstaaten daran beteiligen und die gleichen Gesetze verabschieden. Das gilt auch für die grenzüberschreitende Kriminalität wie Menschenhandel und Prostitution. Die Menschen müssen begreifen, dass Schweden alleine nichts ausrichten kann. Das muss in Brüssel geschehen.

Das Gespräch führten Sven Lemkemeyer und Helmut Steuer.

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