zum Hauptinhalt
AfD-Wahlkampf in Cottbus.

© picture alliance / Andreas Franke

„Allein am Kandidaten lag es nicht“: Parteienforscher erklärt Absturz der CDU im Osten

Die Wahlergebnisse seien für die CDU ein Warnsignal, sagt der Parteienforscher Eric Linhart. Auch die Linke habe an die AfD verloren.

Der Parteienforscher und Politikwissenschaftler Eric Linhart lehrt an der TU Chemnitz. Im Interview spricht er über die Bundestagswahlergebnisse im Osten.

Herr Linhart, die CDU hat bei der Bundestagswahl im Osten einen dramatischen Absturz erlebt. Wie konnte der Partei das passieren?
Dass die Partei im Osten schwächer abschneidet als im Westen, ist nicht neu. Erkennbar ist aber: Das aktuelle Wahldebakel hat viel mit der Bundespolitik zu tun. Es gab zum Beispiel Mitte September in Sachsen eine Umfrage. Da wurde die klassische Sonntagsfrage gestellt, es wurde aber auch gefragt: Wen würden Sie wählen, wenn am Sonntag Landtagswahl wäre? Für die Bundesebene kam die CDU auf 18 Prozent Zustimmung, für die Landtagswahl auf 31 Prozent.

Sie sagen also, die Fehler sind bei der CDU im Bund gemacht wurden. Welche waren es?
Laschet war ein Kanzlerkandidat, der nicht gezogen hat. Das haben alle Umfragen gezeigt. Im Osten zeichnete sich das schon ab, als er Parteivorsitzender und Kanzlerkandidat wurde. Da waren die CDU-Ostverbände immer für seinen jeweiligen Gegenkandidaten. Alleine am Kandidaten liegt der Absturz aber auch nicht. Schon bei der Europawahl 2019 kam die CDU im Osten nur auf knapp über 20 Prozent. Viele Menschen trauen der CDU nicht mehr zu, die drängendsten Probleme des Landes zu lösen.

Manche unken schon, die CDU könne zu einer reinen West-Partei werden…
Diese Prognose halte ich für verfrüht. Die SPD schnitt im Osten vor vier Jahren schlechter ab als die CDU in diesem Jahr und steht nun wieder deutlich besser da. Dennoch sind die Ergebnisse für die CDU ein Warnsignal.

Die CDU ist nicht die einzige Partei mit Problemen: Die Linken haben ihr Image als Ost-Partei verloren.
Nicht vollständig. Noch immer sind die Ergebnisse der Linken im Osten fast drei Mal so hoch wie im Westen. Aber es ist ein großes Problem für die Linke, dass sie schon 2013 und 2017 stark Wähler an die AfD verloren hat. Mit ihr muss sich die Linke jetzt die Rolle als Partei, die auch als Sprachrohr ostdeutscher Interessen wahrgenommen wird, teilen.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Auf den ersten Blick erscheint es überraschend, dass Wähler vom linken Ende des Spektrums ans rechte Ende wechseln. Wie lässt sich das erklären?
Die Linke hatte früher eine recht heterogene Wählerschaft. Neben Wählern, denen eine klassisch linke Politik wichtig war, gab es auch solche, die die Partei vorwiegend als eine Art Interessenvertretung der neuen Bundesländer sahen. Wieder andere drückten mit ihrer Stimme für die Linke primär ihre Unzufriedenheit damit aus, wie Demokratie in Deutschland organisiert ist. Die beiden letztgenannten Gruppen hatten mit den linken Inhalten der Partei gar nicht zwingend so viel am Hut. Da ist ein Wechsel zur AfD nicht so weit, wie er zunächst scheint.

Hat die Wählerwanderung damit zu tun, dass die Linke mittlerweile als etablierter wahrgenommen wird und deshalb zur Protestpartei nicht mehr so stark taugt?
Mit Sicherheit auch. Sobald irgendwo die AfD hohe Ergebnisse erzielt, rücken die neuen Bundesländer sofort in den Fokus. Dann wird gefragt: Was sind denn eure Sorgen? Dieser Mechanismus hat bei den Linken früher auch funktioniert. In den 1990er-Jahren wurde betroffen gefragt, wie denn die Ex-DDR-Bürger nach der Überwindung der Diktatur die PDS wählen können, obwohl die doch aus der SED hervorgegangen ist. Dieser Aufmerksamkeits-Mechanismus funktioniert bei der AfD heute viel besser als bei der Linken, weil die ihr Image als Schreckgespenst verloren hat. Sie ist schließlich in mehreren Bundesländern in Regierungsverantwortung.

Die Klammer ist also der Protest?
Die Klammer ist die Unzufriedenheit darüber, wie Politik in Deutschland funktioniert. Es gibt dabei gute Gründe, die Gegebenheiten im Osten zu monieren: dass Verkehrswege rückgebaut wurden, Schulen und Kindergärten geschlossen werden, dass die Löhne und Rentenniveaus immer noch nicht gleich hoch sind oder dass Ostdeutsche in den Vorständen von großen Unternehmen deutlich unterrepräsentiert sind. Diese Klammer, bei der Missstände legitim angeprangert werden, darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die AfD eine Gefahr für die Demokratie darstellt. Wozu es führen kann, wenn demokratische Institutionen und Prozesse diskreditiert werden, haben wir in den USA beobachten können. Und viele Wähler der AfD wählen diese Partei heute aus Überzeugung, nicht aus Protest.

Das heißt, die zurückzuholen ist schwierig?
Natürlich muss man sich um die gerade genannten Probleme im Osten kümmern. Aber ich warne davor zu glauben, dann ist alles gut. Fest verankerter Autoritarismus, Demokratieskepsis oder Ausländerfeindlichkeit, die in großen Teilen der AfD-Wählerschaft zu beobachten sind, werden nicht verschwinden, nur weil eine Bahnstrecke ausgebaut wird oder Rentenbeiträge steigen.

Was lässt sich denn dagegen tun?
Die Antworten wurden schon hundert Mal gegeben, nur leider nie umgesetzt. Ein Beispiel: Wir brauchen endlich politische Bildung im Schulunterricht, und zwar auch vom Umfang her so umfassend, dass die Menschen verstehen, wie Demokratie allgemein und unser politisches System speziell funktionieren. Das ist eine Möglichkeit, den Zerrbildern, die die AfD über unsere Demokratie zeichnet, etwas entgegen zu setzen. Bildung kann natürlich kein Allheilmittel sein, und wir werden höchstens mittelfristig Effekte spüren, aber da müssten Landesregierungen zum Beispiel endlich konkret ansetzen.   

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false