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Die "Alan Kurdi" während eines Einsatzes im Juni.

© Pavel Vitko/AFP

Update

„Alan Kurdi“ und „Open Arms“ auf Irrfahrt: Italien weist Flüchtlinge ab, Malta nimmt sie auf

Die Irrfahrten im Mittelmeer gehen weiter: Italien verweigert erneut zwei Schiffen mit Flüchtlingen die Aufnahme. Malta hilft am Abend zumindest einem.

Erneut haben mindestens zwei europäische NGO-Schiffe der Seenotrettung Probleme, Schiffbrüchige in einen sicheren EU-Hafen zu bringen, die sie im Mittelmeer an Bord genommen haben. Die „Alan Kurdi“ der Regensburger Hilfsorganisation Sea-Eye hatte wegen der Weigerung Italiens, sie ankern zu lassen, mit 40 Flüchtlingen an Bord Kurs auf Malta genommen und erreichte dessen Hoheitsgewässer am Samstagnachmittag.

Nach Angaben von Sea-Eye verhandelt das Auswärtige Amt mit der Regierung in La Valletta. Am Abend kündigte Maltas Regierungschef Joseph Muscat auf Twitter an, dass sein Land die Migranten der „Alan Kurdi“ aufnehmen werde, bis sie auf andere EU-Staaten verteilt werden. Die deutsche Regierung und die EU-Kommission hätten die Verteilung aller Personen auf die Mitgliedsstaaten vereinbart. Zuvor hatte sich die italienische Regierung geweigert, selbst eine schwangere Frau und drei kleine Kinder mit ihren Eltern auf der Insel Lampedusa an Land zu bringen.

Leyen will das seit Jahren umstrittene Dublin-System ändern

Die unter spanischer Flagge fahrende „Open Arms“ des Rettungsvereins „Pro Activa Open Arms“ steuert unterdessen weiter Richtung Italien. Die „Open Arms“ hat 123 Geflüchtete an Bord, die sie aus zwei Booten vor der libyschen Küste aufgenommen hatte. Zwei im achten und neunten Monat schwangere Frauen hat die italienische Küstenwache inzwischen an Land gebracht. Bei einer der Frauen hatten die Wehen nach Angaben der NGO bereits eingesetzt. 69 der Geretteten trügen „schreckliche Spuren von Gewalt“.

Viele derer, die von Libyen aus Richtung Norden ablegen, werden nach übereinstimmenden Berichten von UN-Kommissionen, von Diplomaten sowie Ärzte- und Menschenrechtsorganisationen in Lagern libyscher Warlords misshandelt, ausgebeutet und vergewaltigt.

Dennoch tobt seit mehreren Jahren ein politischer Krieg um die Aufnahme der Boat People im Mittelmeer. Pro Activa gab an, inzwischen sogar in ihrer spanischen Heimat mit Zwangsgeld bedroht zu werden, falls die Organisation weiter Einsätze vor Libyen fährt. Besonders hart verweigert Italiens Innenminister Matteo Salvino von der rechtsextremen Legat-Partei seit einem Jahr NGO-Schiffen das Anlegen.

Offenbar haben an dieser Haltung, die Salvini Zustimmungswerte in Italien auf etwa 60 Prozent hochschießen ließen, auch Angebote der europäischen Partnerländer nichts geändert. Während eines informellen Gipfels im Juli in Paris erklärten sich nach den Worten von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron die Hälfte der EU-Staaten bereit, gerettete Bootsflüchtlinge künftig untereinander zu verteilen, um vor allem Italien und Malta zu entlasten. Doch Salvini fordert nun auch, dass andere in Italien gestrandete Geflüchtete im EU-Norden aufgenommen werden.

Bei einem Besuch der künftigen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Rom zeigte er sich nicht. Leyen wirbt gerade für eine neue Politik. Nach einem Gespräch mit Ministerpräsident Giuseppe Conte am Freitag sagte sie: „Wir müssen die Dublin-Regeln anpassen“, Spanien, Griechenland und Italien seien besonders stark belastet. Die seit Jahren umstrittenen Dublin-Regeln besagen unter anderem, dass das Land für Asylverfahren zuständig ist, das Schutzsuchende in der EU zuerst betreten.

"Salvinis Gesetz ist eine Aufforderung zum Rechtsbruch"

Das will zwar auch Salvini ändern. Die Zeitung „La Repubblica“ kommentierte am Wochenende, Salvini habe aber offenbar verstanden, dass sein „Armdrücken“ mit den anderen Regierungen nicht mehr funktioniere und setze nun darauf, dass ein NGO-Schiff nach dem andern in italienische Hoheitsgewässer einlaufe, damit er es dort beschlagnahmen lassen könne. Das war vor Wochen der Kapitänin der Sea Watch, Carola Rackete, geschehen. Sie hatte eine Notlage für ihr Schiff reklamiert und sich deswegen über Salvinis Einfahrtverbot hinweggesetzt. Die Sea Watch ist seither beschlagnahmt, Rackete erwartet ein Verfahren in Italien. Die Regensburger „Sea Eye“ erklärte, dass sie auf Malta ausweiche – ihre Nahrungsmittel und Treibstoff reichten dazu noch aus.

Dafür, dass Salvini womöglich kein Interesse an Deeskalation hat und deshalb die EU-Angebote nicht annimmt, boten am Samstag auch Aussagen des Bürgermeisters von Lampedusa Anhaltspunkte. In einem Radio-Interview warf Salvatore Martello dem Minister vor, der habe sich auf der Insel, seit er im Amt ist, nie gezeigt: „Ich habe ihn als Bürgermeister gebeten, sich mit mir zu treffen und mir zu sagen, was zu Lampedusa geplant ist, aber ich bekam nie eine Antwort.“

Martello, der auch der Fischervereinigung seiner Insel vorsteht, warf der Regierung in Rom außerdem vor, mit dem gegen die NGOs gerichteten „Sicherheitsdekret“ auch die gesamte Meereswirtschaft zu treffen. „Seenotrettung leisten nicht allein und ausschließlich die NGOs, sondern auch Transportunternehmen, Fischer, Seeleute, alle, die irgendwo einen Ankerplatz haben. Sie riskieren Beschlagnahme. Das Dekret ist eine Aufforderung zum Gesetzesbruch, weil es das Seerecht tangiert.“ Zudem sei die politische Aufmerksamkeit auf ein Scheinproblem gerichtet: „In den letzten Tagen sind 200 Menschen bei uns gelandet, aber wegen eines NGO-Schiffs wird der Weltuntergang ausgerufen“, sagte Martello.

Neben den EU-Asylregeln diskutieren Juristen inzwischen auch eine Modernisierung des Seerechts. Die Verpflichtung der Seenotrettung sei „nicht konstruiert, um Migrationsströme zur See in den Griff zu bekommen“, sagte der Kieler Rechtsprofessor Uwe Jenisch der Nachrichtenagentur epd.

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