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Das Logo der AfD auf einem Flyer.

© picture alliance/dpa/Christophe Gateau

Aktion des „Zentrums für politische Schönheit“: Wie die AfD um fünf Millionen Flyer betrogen wurde

Eine fiktive Firma wird von der AfD mit der Verteilung ihrer Wahlkampfflyer beauftragt. Doch die Handzettel landen im Müll.

Auf den ersten Blick wirkt die Homepage des Familienunternehmens "Flyerservice Hahn" seriös. Die Firma hat sich darauf spezialisiert, bundesweit Flyer und Handzettel für ihre Auftraggeber zu verteilen. Geworben wird mit einem etablierten Verteil-Netzwerk und unschlagbaren Preisen gegenüber der Konkurrenz. Die hohe Kundenzufriedenheit wird auf der Website des niedersächsischen Mittelständlers stolz erwähnt. All das klingt recht ansprechend und hat offenbar auch zahlreiche Kreisverbände der AfD in der heißen Phase des Bundestagswahlkampfes angesprochen.

Insgesamt 85 Aufträge soll der "Flyerservice Hahn" von der rechtspopulistischen Partei erhalten haben, darunter sind Kreisverbände aus Bayern, Rheinland-Pfalz, Brandenburg, Hessen, Schleswig-Holstein, Baden-Württemberg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Mitarbeiter des Flyer-Verteilservice holten das Wahlkampfmaterial bei den jeweiligen Kreisverbänden ab und sollten es mithilfe der vielfach beworbenen Verteilstruktur des Unternehmens in die Briefkästen der Wähler und Wählerinnen bringen.

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Nur dazu kam es nie. Die AfD fiel auf eine fingierte Firma herein, die ihre Website nur aus einem einzigen Grund aufsetzte: ein professionelles Außenbild, dem auch die Rechtspopulisten vertrauen sollten. Dahinter steckt das Künstlerkollektiv "Zentrum für politische Schönheit", die schon dem Thüringischen AfD-Vorsitzenden Björn Höcke einen Nachbau des Berliner Holocaustmahnmals in den Nachbargarten setzen.

Diesmal sammelten die Aktionskünstler in der gesamten Bundesrepublik AfD-Wahlkampfmaterial ein, um es schließlich zu einer zentralen Mülldeponie zu bringen. Seit Dienstagmorgen erklärt das "Zentrum für politische Schönheit" auf der neu eingerichteten Website "afd-muell.de" den Hintergrund der Aktion.

[Mehr zum Thema: AfD stärkste Kraft in Sachsen, fast alle Direktmandate: „Diese Ergebnisse sind ein ehrliches Bild der Lage“ (T+)]

Dort heißt es unter anderem, dass der "Flyerservice Hahn" Weltmarktführer im "Nicht-Verteilen von Nazi-Flyern" sei. Fünf Millionen Handzettel hätten die Aktivisten und Aktivistinnen eingesammelt, das entspreche etwa "72 Tonnen AfD-Müll".

Gleichzeitig wehrt sich das Zentrum gegen die Behauptung, dass es der AfD Wahlkampf-Material gestohlen hätte. Man habe der Partei lediglich das Angebot gemacht, die Verteilung zu übernehmen, heißt es auf der Website. Nach wie vor sei man davon überrascht, wie viele AfD-Verbände trotz fehlender Steuernummer, Handelsregistrierung und fälschlicher Adresse auf den "Flyerservice Hahn" reingefallen seien. Kein einziger Auftrag sei formell bestätigt oder durch einen unterzeichneten Vertrag besiegelt worden, teilen die Künstler:innen mit.

Ob die AfD wirklich so naiv war, auf eine fingierte Firma ohne Steuernummer und Handelsregistrierung reinzufallen, ist nach Recherchen des ARD-Journalisten Daniel Laufer alles andere als gesichert. Demnach wurde die Website des “Flyerservice Hahn” im Nachhinein vom “Zentrum für politische Schönheit” bearbeitet.

So wurde zuvor tatsächlich zuvor eine Registriernummer und eine Steuernummer im Impressum der Website angegeben. Zusätzlich war das Unternehmen mit angeblichen Kunden wie der FDP und der “Deutschen Post” als Kooperationspartner. Laufer kommt zu dem Schluss, dass die Fälschung, auf welche die AfD hereinfiel sehr viel professioneller war, als es das “Zentrum für politische Schönheit” jetzt aussehen lässt.

Aktionskünstler rufen zum Spenden auf

Bereits am vergangenen Freitag war die AfD-Spitze an die Presse getreten, um von dem verschwunden Wahlkampfmaterial berichtet. Bundessprecher Tino Chrupalla hatte zu diesem Zeitpunkt das "Zentrum für politische Schönheit" als Verantwortliche ausgemacht. Laut Chrupalla versuche das Zentrum, der AfD im Wahlkampf "vorsätzlich zu schaden - und das mit einem hohen Maß an betrügerischer Energie."

Am Dienstag teilte die AfD auf Tagesspiegel-Anfrage mit, dass die Rechtsabteilung ihrer Bundesgeschäftsstelle derzeit eine Strafanzeige vorbereite. Diese solle dem AfD-Bundesvorstand am Freitag zur Unterschrift vorgelegt werden. Die Strafanzeige basiere auf den Vertragsunterlagen, E-Mail-Korrespondenzen und Fotos, die von den betroffenen AfD-Kreisverbänden und Mandatsträgern zu dem Sachverhalt an die AfD-Bundesgeschäftsstelle geschickt wurden.

Derweil rufen die Aktionskünstler:innen auf ihrer Website zu Spenden auf. Dort heißt es: "Leider ist unser einziger Kunde extrem sauer und will uns nicht nur um die vertraglich vereinbarte Vergütung prellen, sondern auch noch Schadenersatz und strafrechtliche Konsequenzen. Werde Sie deshalb jetzt Gesellschafter:in des Flyerservice Hahn!" Innerhalb weniger Stunden kamen bereits über 22.000 Euro bei dem Künstlerkollektiv an.

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