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In Deutschland gibt es im Jahr 2017 weniger Neuinfektionen mit dem Aidserreger HIV.

© Fredrik von Erichsen/dpa

Aids-Bekämpfung in Deutschland: Die Zahl der Neuinfektionen geht zurück

Die Zahl der Neuinfektionen geht in Deutschland zurück. Doch Unwissen ist nach wie vor das größte Problem bei der Bekämpfung von Aids.

340 Menschen haben sich in Berlin im Jahr 2017 nach Schätzungen des Robert-Koch-Instituts neu mit HIV infiziert. Das ist für jeden einzelnen der Betroffenen eine schlechte, statistisch gesehen aber eine gute Nachricht: Im Vorjahr lag die Zahl noch um 30 Fälle höher. Vor allem Neuinfektionen, die durch Übertragung der Viren beim Sex zwischen Männern sowie Mann und Frau verursacht wurde, sind zurückgegangen. Eine leichte Zunahme messen die Epidemiologen hingegen bei der Übertragung der Viren über Spritzen beim Drogengebrauch. Insgesamt leben in Berlin etwa 14.900 Männer und Frauen mit HIV, allerdings wissen mehr als 10 Prozent (etwa 1600) davon (noch) nichts. Das bedeutet, dass diese Menschen nicht mit der gängigen, die Viren kontrollierenden „antiretroviralen“ Therapie behandelt werden und etwa bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr prinzipiell infektiös sind.

Auch bezogen auf ganz Deutschland, wo das RKI 86.100 Infizierte zählt, sank die Zahl der Neuinfizierten gegenüber dem Vorjahr um 200 auf 2700. Insgesamt wissen in der Bundesrepublik 11.400 Menschen nicht, dass sie HIV-infiziert sind.

Ganz andere Dimensionen hat die HIV-Epidemie inzwischen in Osteuropa und Zentralasien erreicht. Dort haben sich die Neuinfektionszahlen seit 2006 jährlich fast verdoppelt, etwa 130.000 bis 190.000 neue Fälle waren es 2017, unterschiedlichen Schätzungen zufolge. 80 Prozent davon betreffen Russland, wo bereits 2016 über eine Million HIV-Infizierte lebten. Einer der Gründe ist die dortige Diskriminierung und Verfolgung von Homosexuellen, Prostituierten und Drogenabhängigen. Die gesellschaftliche Ächtung führt dazu, dass sich viele nicht oder erst spät auf HIV testen, geschweige denn behandeln lassen – zumal die Therapie auch nicht jedem zugänglich ist.

Das Wissen über den richtigen Umgang mit Infizierten muss in den Köpfen bleiben

Das einzige Mittel, sich seines HIV-Status bewusst und dann behandelt zu werden, sind HIV-Tests. Eine Anfrage der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus zufolge ließen sich bei den verschiedenen Anlaufstellen in Berlin – freien Trägern wie der Berliner Aids-Hilfe oder Mann-O-Meter – im vergangenen Jahr 12.868 Menschen testen. Dabei schlug der Test 92 Mal an. Das zeigt, dass über die Testangebote der freien Träger nur etwa 35 Prozent der Neuinfektionen entdeckt werden, während das Gros in den Praxen niedergelassener Ärztinnen und Ärzte diagnostiziert wird. Dennoch will der Senat das Angebot erweitern, etwa durch Gründung des „Checkpoint BLN“ zwischen Neukölln und Friedrichshain-Kreuzberg, um die Testrate in der Gruppe der Männer zu erhöhen, die Sex mit Männern haben: „Immer noch sind mehr als 70 Prozent der Neuinfektionen epidemiologisch dieser Gruppe zuzuordnen, obgleich für diese Gruppe in den letzten Jahren eine Stagnation bzw. leichte Abwärtsentwicklung der Neuinfektionen zu registrieren ist“, sagt Boris Velter von der Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung in der Beantwortung der Grünen-Anfrage.

Wissen die Infizierten erst um ihren Status, lassen sie sich den RKI-Schätzungen zufolge auch behandeln. Wie erfolgreich der Medikamentencocktail inzwischen ist, zeigt die geringe Zahl der Todesfälle unter HIV-Infizierten. Während Mitte der 1980er Jahren noch jährlich bis zu 800 Menschen in Berlin an den Folgen der Immunschwäche starben, weil sich die Viren ungestört vermehren und wesentliche Teile des Immunsystems lahmlegen konnten, sind 2017 nur noch 35 Verstorbene mit HIV registriert worden (450 waren es bundesweit). Insgesamt sind in Deutschland seit Beginn der Epidemie Anfang der 1980er Jahre etwa 29.000 Menschen, davon 4700 in Berlin, mit oder aufgrund von HIV gestorben.

Aus medizinischer und epidemiologischer Sicht ist HIV in Deutschland weitgehend unter Kontrolle – was allerdings dazu führt, dass das Wissen über Ansteckungsgefahren und das richtige Verhalten gegenüber HIV-Infizierten allmählich verschwindet. Zum einen führt das zu Sorglosigkeit beim Sex mit Fremden. Zum anderen müssen Infizierte immer häufiger mit längst überwunden geglaubten Vorurteilen kämpfen. Laut Deutscher Aids-Hilfe geben drei Viertel der Betroffenen an, im vergangenen Jahr aufgrund ihrer Erkrankung diskriminiert worden zu sein – sogar bei der Versorgung in medizinischen Einrichtungen. So verweigern etwa Zahnärzte mitunter die Behandlung, nicht wissend, dass HIV-Infizierte unter erfolgreicher retroviraler Therapie nicht ansteckend sind und simple Schutzmaßnahmen eine Infektion ohnehin wirksam ausschließen. Eine gefährliche Entwicklung, da gesellschaftliche Ausgrenzung nachweislich zu geringeren Testraten und zur Verbreitung von HIV führt. Daher muss, so wie das Virus nach Deutschland kam und blieb und bleiben wird, auch das Wissen über HIV und den richtigen Umgang mit Infizierten in den Köpfen bleiben.

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