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Politik: Afghanistan: Wo Hunger Konflikte schürt

Afghanistan kennt kein Bankensystem, keine Industrie, keinen Export. Jahrzehnte des Bürgerkrieges haben das Land wirtschaftlich lahmgelegt.

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Afghanistan kennt kein Bankensystem, keine Industrie, keinen Export. Jahrzehnte des Bürgerkrieges haben das Land wirtschaftlich lahmgelegt. Die Menschen, die nun vor dem Krieg über die Grenze nach Pakistan fliehen, lassen ein Land zurück, das hauptsächlich von der Landwirtschaft lebt. Oder besser gesagt: lebte. Denn nach einem Bericht der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO), der kurz vor den Luftangriffen auf Afghanistan erstellt wurde, sind etwa 7,5 Millionen Afghanen vom Hunger bedroht, etwa jeder vierte Einwohner des Landes.

Zum Thema Online Spezial: Kampf gegen Terror Schwerpunkt: US-Gegenschlag, Nato und Bündnisfall Schwerpunkt: Osama Bin Laden Schwerpunkt: Afghanistan Schwerpunkt: Islam & Fundamentalismus Schwerpunkt: Innere Sicherheit Chronologie: Terroranschläge in den USA und die Folgen Fotostrecke: Bilder des US-Gegenschlags Umfrage: Bodentruppen nach Afghanistan? An diesem Montag will die FAO ihren Weltbericht zu Hunger und Unterernährung vorstellen - mit der alarmierenden Aussage, dass die Zahl der Hungernden weltweit langsamer sinkt als bisher angenommen. An Ländern wie Afghanistan, Nordkorea oder dem Irak zeigt sich, wie sehr Bürgerkriege und politisch-ökonomische Krisen zum Hungerelend beitragen. Josef Schmidhuber von der FAO-Abteilung für globale Studien sagt: "Meist sieht man nur, dass Konflikte Hunger erzeugen. Wir sagen auch: Hunger erzeugt Konflikte." Migration könne in Ländern mit Hungersnot nicht in Schach gehalten werden, soziale Spannungen würden steigen. Gerade in den ärmsten Ländern müsse deshalb der Landwirtschaft das "absolute Primat" eingeräumt werden.

Afghanistan aber ist von der Außenwelt isoliert, humanitäre Hilfsorganisationen haben das Land weitgehend verlassen müssen, und der Nachschub an Düngemitteln aus Pakistan, Iran und Turkmenistan bleibt aus. In dieser Notlage kommt die FAO zu dem Schluss: "In den kommenden Monaten wird die Rettung von Menschenleben die internationale Gemeinschaft vor eine ernsthafte Herausforderung stellen." Auch der Vorsitzende von Unicef Deutschland, Reinhard Schlagintweit, warnt: "Für Hunderttausende Kinder in Afghanistan geht es jetzt ums nackte Überleben."

Im Mai haben Mitarbeiter der FAO und des Welternährungsprogramms (WFP) Afghanistan besucht. Bereits zu diesem Zeitpunkt begegneten die Helfer ersten Anzeichen einer großflächigen Hungersnot: Rapide steigende Getreidepreise, zunehmende Verarmung und ein anschwellender Flüchtlingsstrom. In den kommenden Monaten, so schätzt die FAO, dürfte die Zahl der im Landesinneren herumirrenden Menschen die Millionengrenze erreichen. Zahlreiche Afghanen befinden sich ausgerechnet zu einem Zeitpunkt auf der Flucht, da die Weizensaat für das kommende Jahr ausgebracht werden müsste. Zwischen 1998 und 2001 ist die Getreideproduktion in Afghanistan um die Hälfte zurückgegangen.

Der Zusammenhang zwischen dem Kampf gegen den Hunger und der Bekämpfung des Terrorismus wird inzwischen von der Politik weithin anerkannt. Bei der Eröffnung der Lebensmittelmesse Anuga sagt Bundeskanzler Gerhard Schröder am Samstag in Köln, Hunger und Unrecht bildeten "ein gefährliches Umfeld, in dem Terrorismus und Fanatismus gedeihen können". Ob zwei Millionen Lebensmittelpakete, die von amerikanischen Transportflugzeugen über Afghanistan abgeworfen werden sollen, die Not wirklich lindern können, bleibt äußerst umstritten. Die FAO will die Aktion nicht kommentieren. Entwicklungshelfer sprechen eine deutliche Sprache. "Es ist Unfug", sagt etwa Rupert Neudeck vom Notärzte-Komitee Cap Anamur: "Eine reine Publicity-Aktion."

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