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Gesundheitsminister Karl Lauterbach beim G7-Treffen.

© IMAGO/photothek

Affenpocken bisher oft bei homosexuellen Männern: Das Virus lädt zum Stigmatisieren ein – und der Minister macht mit

Das neue Virus sei keine Krankheit von Schwulen, sagt die WHO, aber Karl Lauterbach warnt genau die vor „anonymem Sex“. Das nährt Ressentiments. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ingo Bach

Eine neue Viruserkrankung kommt in USA, Kanada und Europa an, auch in Deutschland gibt es erste Fälle – und mit ihnen eine Debatte um die Stigmatisierung von Menschen.

Die Krankheit, um die es geht, nennt sich derbe „Affenpocken“. Sie ist vom Tier auf den Menschen übergesprungen. Fälle gab es immer wieder in West- und Zentralafrika. Wie genau das Virus nach Europa gelangte, wird noch erforscht, wahrscheinlich auch durch Sexualkontakte. Doch die genauen Verbreitungswege und Gefährdungsgruppen stehen noch nicht fest.

Trotzdem hat es die Wortkombination „Affenpocken“ und „Schwule“ in den vergangenen Tagen schon in viele Überschriften und Social-Media-Posts geschafft und viele Reaktionen ausgelöst. Es ging dabei um die Frage, ob homo- und bisexuelle Männer über den Umweg Affenpocken erneut eine Art Igitt-Etikett angeheftet bekommen, mit dem sie abgewertet werden können – so wie schon einmal in den 1980er Jahren mit Aids.

Das RKI brachte früh ein Bulletin heraus

Dass es dazu kam, liegt auch am Robert-Koch-Institut (RKI). Das Institut veröffentlichte am 19. Mai eine frühe Reaktion auf die ersten Fälle von Affenpocken in Europa. Das entsprechende Bulletin enthält neben Empfehlungen an Ärztinnen und Ärzte, welche Menschen bei „differenzialdiagnostischen Überlegungen einbezogen werden sollten“, nur einen Satz, der sich direkt an eine Personengruppe wendet: Männer, die Sex mit Männern haben („MSM“ abgekürzt), sollten, wenn sie ungewöhnliche Hautveränderungen an sich beobachten, „unverzüglich eine medizinische Versorgung aufsuchen“. Das wurde so weiterverbreitet – und für manche war damit schnell klar: Nur Schwule kriegen das.

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War es richtig oder voreilig, aus den da noch sehr wenigen Fällen, von denen die meisten „MSM“ waren, eine solche gruppenspezifische Aufforderung abzuleiten? Natürlich müssen Übertragungswege und Risikogruppen einer Infektionskrankheit benannt werden. Wenn die denn feststehen. Die Erkenntnisse zu den Übertragungswegen von Affenpocken aber geben bisher einen Fokus auf nur eine Personengruppe nicht her. Auch das RKI-Bulletin verweist auf viele verschiedene Übertragungswege. Doch wer zu früh eine Gruppe besonders herausstellt, riskiert, dass sich alle nicht Genannten womöglich zu Unrecht sicher fühlen.

Der Name der Krankheit ist ein Problem

Die Gefahr einer Stigmatisierung ist zudem groß. In diesem Fall kommt der Name der Erkrankung hinzu: Bei Affenpocken werden Menschen mit einer primitiv konnotierten Krankheit in Verbindung gebracht, das löst negative Assoziationen und womöglich Ablehnung aus.

Das erste Ausbruchsgeschehen in Europa mag vorwiegend zwischen MSM entstanden sein. Dieses Geschehen ist jedoch Vergangenheit. Besonders gefährdet sind nun alle Menschen, die engen körperlichen Kontakt mit Infizierten haben.

schreibt NutzerIn derverwalter

Die Gesellschaft heute ist sicherlich bei Stigmatisierungs- und Diskriminierungsthemen viel sensibler als in den 1980er Jahren. Aber dass die Gefahr, eine neue Abwertungsgruppe zu definieren, keinesfalls als gebannt gelten sollte, hat sich nicht zuletzt in der Corona-Pandemie gezeigt. Statt neue Varianten nach den Gegenden, wo sie erstmals auffielen, als „indische“ oder „südafrikanische“ zu unterscheiden, änderte man ihre Bezeichnung und benannte sie mit griechischen Buchstaben. Man wollte keine Vorbehalte nähren, und im Nachhinein lässt sich sagen, dass das eine gute Idee war.

Sprachsensibilität setzt sich durch

Auch bei den Affenpocken macht sich Sprachsensibilität bemerkbar. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler benutzen immer öfter die wissenschaftliche Bezeichnung MPXV. Und der stigmatisierungsverdächtige Satz aus dem RKI-Bulletin ist inzwischen verschwunden. Man kam wohl zu dem Schluss, dass der zu missverständlich war. Auch die WHO betont: „Das ist keine Schwulenkrankheit.“

Nur der Bundesgesundheitsminister blieb dabei. Auf dem G7-Treffen am Montag in Genf wiederholte Karl Lauterbach die zuvor vom RKI gestrichene Empfehlung und sprach zudem noch „anonymen Sex“ an. Er malte damit das ressentimentbeladene Bild vom lasterhaften „MSM“- Leben aus. Dem Thema bringt die Aussage keinen weiteren Nutzen, eher richtet sie Schaden an.

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