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Bundesverfassungsrichter:innen bei der Arbeit. Nur wenige kennen die Urteile vorab.

© Uli Deck / dpa / AFP

Exklusiv

AfD verklagt Bundesverfassungsgericht: „Geheime“ Öffentlichkeitsarbeit kommt vor Gericht

Die Partei sieht durch vertrauliche Vorab-Informationen über Urteile an ausgewählte Journalisten ihr Recht auf faire Verfahren in Karlsruhe verletzt.

Die AfD geht juristisch gegen die umstrittene Praxis des Bundesverfassungsgerichts vor, einen Kreis von Journalisten vorab und vertraulich über seine Urteile zu informieren. Wie das Verwaltungsgericht Karlsruhe am Dienstag bestätigte, ist eine entsprechende Klage der Partei eingegangen (3 K 606/21). Die AfD will feststellen lassen, dass ein solches Vorgehen vor einer Urteilsverkündung im vergangenen Sommer zu Äußerungsbefugnissen von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) rechtswidrig war und die AfD in ihrem Recht auf ein faires Verfahren verletzt hat.

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In der Klageschrift, die dem Tagesspiegel vorliegt, heißt es, der „Verrat“ des Gerichts verletze zudem das allgemeine Persönlichkeitsrecht von Parteimitgliedern, die vor dem Bundesverfassungsgericht als Kläger auftreten. Das Gericht habe ihnen gegenüber eine Fürsorgepflicht. Der beste Weg sei ein „Totalverbot“ einer solchen Praxis, wie es auch an anderen Gerichten gelte. Seehofer wurde mit dem Karlsruher Urteil im Juni 2020 nach einem so genannten Organstreit untersagt, ein AfD-kritisches Presse-Interview mit ihm auf der Homepage des Ministeriums zu veröffentlichen.

Eingeweihte müssen bis zur Verkündung Stillschweigen bewahren

Wenige Tage vor der Verkündung berichtete der Tagesspiegel erstmals über die seit Jahren bestehende, aber von allen Beteiligten bis zu diesem Zeitpunkt geheim gehaltene Praxis der gerichtlichen Vorab-Information. Demnach erhalten nur Mitglieder eines Vereins von in Karlsruhe tätigen Justizkorrespondenten, der „Justizpressekonferenz“, die Pressemitteilungen zu Urteilen vorab; die Journalisten, darunter zahlreiche von ARD und ZDF, können damit ihre Berichterstattung vorbereiten, müssen sich aber verpflichten, bis zur offiziellen Verkündung darüber Stillschweigen zu bewahren.

Die AfD rügt ein Ungleichgewicht zwischen ihren Mitgliedern, die als Prozessbeteiligte häufiger vor dem Verfassungsgericht auftreten, und den auf diese Weise vorab informierten Journalistinnen und Journalisten. Diese würden die Politiker teilweise noch unmittelbar vor Urteilsverkündungen vor laufenden Kameras befragen. Es könne dabei leicht der Eindruck entstehen, dass die Befragten den „überlegen informierten“ Medienleuten „intellektuell wie rechtskundlich nicht das Wasser reichen“. Der Informationsvorsprung würde „im Fernsehen ausgeschlachtet und genüsslich präsentiert“, um prozessierende AfD-Vertreter als „unkundig, uninformiert, überfordert und mit dem Verfassungsrecht fremdelnd hinzustellen“.

Das Eilverfahren in der Sache ging für die AfD verloren  

Im Sommer hatte es die AfD zunächst mit einem Eilantrag beim Verwaltungsgericht versucht, war aber gescheitert. Ein Nachteil im politischen Wettbewerb sei durch die Vorabinformation nicht erkennbar, hieß es damals. Im Eilverfahren wird ein Fall jedoch nur summarisch geprüft und nicht im Einzelnen untersucht. Die Partei hatte damals auf eine Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht verzichtet und strengt stattdessen jetzt ein so genanntes Hauptsacheverfahren an.

Neben der AfD hatten damals Grüne und FDP die Vorab-Informationen kritisiert. Auch der CDU-Abgeordnete Heribert Hirte wies darauf hin, dass Prozessbeteiligte durch die Praxis „vorgeführt“ würden. Der Presserat rief dazu auf, Medien bei der Vergabe gerichtlicher Informationen grundsätzlich gleich zu behandeln. Der Deutsche Journalisten-Verband nannte das Vorgehen „befremdlich und nicht mehr zeitgemäß“.

Dennoch entschied sich das Verfassungsgericht nach einer internen Abstimmung, an seinem Vorgehen festzuhalten. Auch eine Anfrage des Tagesspiegels, ohne Mitgliedschaft in der „Justizpressekonferenz“ an Vorab-Informationen beteiligt zu werden, wurde zurückgewiesen. Die Beschränkung auf einen Kreis „besonders fachkundiger und vertrauenswürdiger Journalisten“ sei gerechtfertigt. Wer als Medienvertreter ebenfalls einen privilegierten Zugang erhalten will, muss zunächst Vereinsmitglied werden. Voraussetzung dafür ist wiederum, in Karlsruhe regelmäßig präsent zu sein.

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