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Er ist der Kompromss: Alexander Gauland.

© Julian Stratenschulte/dpa

Update

AfD-Bundesparteitag in Hannover: Alexander Gauland wird Parteichef neben Jörg Meuthen

Wahlkrimi beim AfD-Parteitag: Nach einem Patt ziehen Georg Pazderski und Doris von Sayn-Wittgenstein zurück. Meuthen bekommt nur 72 Prozent, Gauland noch weniger.

Der Machtkampf in der AfD hat am Samstagabend zu einer überraschenden Doppelspitze geführt. Jörg Meuthen und Alexander Gauland führen die AfD künftig als Bundesvorsitzende. Das ist das Ergebnis eines Wahlkrimis beim Parteitag in Hannover. Gauland war der Kompromisskandidat um den Posten des zweiten Bundessprechers. In zwei Durchgängen gab es keine Entscheidung zwischen dem Berliner Landeschef Georg Pazderski und einer Überraschungskandidatin aus Schleswig-Holstein, der dortigen Landesvorsitzenden Doris von Sayn-Wittgenstein.

Der Parteitag wurde daraufhin auf Antrag Gaulands unterbrochen, die Kandidatenliste wieder geöffnet. Nach der Beratungspause zogen beide ihre Bewerbung zurück, während der Vorsitzende der Bundestagsfraktion sich als Kandidat zur Verfügung stellte. Er bekam am Ende 68 Prozent, noch etwas weniger als Meuthen. Dieser war zuvor von lediglich 72 Prozent der Delegierten im Amt des ersten Bundessprechers bestätigt worden. Für Pazderski reichte es dann nur noch zu einem Vize-Posten.

Als weitere Stellvertreter konnten sich die Bundestagsabgeordneten Kay Gottschalk und Albrecht Glaser durchsetzen. Gottschalk war auf dem Weg zum Parteitag nach eigenen Angaben von AfD-Gegnern attackiert worden. Er trug die rechte Hand in einer Schlinge und sagte in einer wütenden Rede, die beiden Angreifer - ein Mann und eine Frau - hätten ihn „mit stumpfen Blicken“ angeschaut.

Glaser sagte bei seiner Bewerbung, es könne keinen Islam ohne Scharia geben, so wie es auch „keine Nuss-Schokolade ohne Nüsse“ geben könne. Glaser war bei der Wahl zum Bundestagsvizepräsidenten von den Abgeordneten aller anderen Parteien wegen früherer Äußerungen über Religionsfreiheit und den Islam abgelehnt worden.

"Die Deutschen waren immer stark, wenn sie einig waren"

Sayn-Wittgenstein verhalf dem rechten Parteiflügel um Björn Höcke zu einem Erfolg, indem sie den als gemäßigt geltenden Berliner Vorsitzenden Pazderski an der Bundesspitze verhinderte. Die 63-Jährige bekam viel Beifall für ihre Bewerbungsrede. Sie ist erst seit 2016 in der AfD. "Vorher erschien mir diese Partei als Lucke-Partei nicht vielversprechend." Sayn-Wittgenstein sprach sich für eine Versöhnung der Parteiströmungen aus. "Die Deutschen sind in ihrer Geschichte immer stark gewesen, wenn sie einig waren." Zugleich sendete sie Signale an den rechten Flügel, indem sie an den Stolz der Partei appellierte: "Ich wünsche nicht, dass ich Koalitionsgespräche anbieten muss, sondern dass die anderen um Koalitionsgespräche betteln."

Damit reagierte sie direkt auf ihren Kontrahenten Pazderski. Der hatte zuvor ein Plädoyer für die Regierungsfähigkeit der AfD gehalten. "Ich stehe für eine AfD, die sich auf den Tag X vorbereitet", sagte der 66-Jährige. "Mittel- und langfristig" müsse die Partei koalitionsfähig werden, was sich vermutlich zuerst in den östlichen Bundesländern realisieren lasse - "weil wir dort auf Augenhöhe stehen und aus einer Position der Stärke heraus Koalitionsverhandlungen führen können". Das quittierten Delegierte mit Jubel, allerdings hatte Pazderski das auch erst auf Nachfrage so deutlich formuliert. Während der Rede war der Beifall verhaltener als bei Sayn-Wittgenstein.

Kompromisskandidat Gauland beruft sich auf die FPÖ

Eher auf Koalitionen vorbereiten - oder unbeirrt den bisherigen Weg gehen? Die Partei ist gespalten zwischen diesen Positionen. Das zeigte sich bei der Abstimmung über die beiden Kandidierenden. Der Beifall für Sayn-Wittgenstein trog nicht: Im ersten Durchgang bekam sie 285 Stimmen (49,4 Prozent) und lag damit knapp vor Pazderski, der 273 Stimmen erhielt (47,3 Prozent). Zwölf Nein-Voten eingerechnet, fehlte Sayn-Wittgenstein bei 285 von 570 Stimmen nur eine Stimme für einen Sieg. Die Leitung des Parteitags veranlasste deshalb eine Stichwahl - in der plötzlich Pazderski vorn lag: mit 284 zu 275 Stimmen, was jedoch ebenso wenig für einen Sieg genügte, da es 13 Nein-Stimmen gab.

Gauland präsentierte sich daraufhin als der Mann gegen Polarisierung - jedenfalls innerparteilich. Fraktion und Partei sollten "verzahnt" bleiben, die unterschiedlichen Flügel der AfD ebenso, sagte er in seiner Bewerbungsrede. "Das sind unsere beiden Füße: auf der einen Seite Teil der Bürgerbewegung, auf der anderen Seite konservativ-liberale Reformpartei." In einem Punkt aber setzte er sich, wie schon Sayn-Wittgenstein, von Pazderski ab: "Erst wenn wir so stark sind wie die anderen oder fast so stark, haben wir eine Chance, Verantwortung zu übernehmen. Als Vorbild nannte er ausdrücklich die FPÖ in Österreich. Deren Chefs Heinz-Christian Strache und Norbert Hofer hätte ihm geraten: "Geht nicht zu früh in die Verantwortung, da werdet ihr nur über den Tisch gezogen."

In ähnlicher Weise hatte auch Meuthen bei seiner Vorstellung versucht, eine Brücke zu schlagen - mit deutlichen Sympathiebekundungen für den rechten Rand, der sich selbst "Flügel" nennt. "Ich stehe zum 'Flügel'", sagte Meuthen, "der ist für mich ein integraler Bestandteil unserer Partei. Aber deswegen bin ich doch kein 'Flügler'." Dass er zweimal das "Kyffhäuser-Treffen" der Parteirechten besucht habe, liege an seiner Eigenschaft als Parteivorsitzender. Allerdings habe er sich dort "wohlgefühlt", sagte Meuthen.

Zugleich betonte er seine Unabhängigkeit: Er sei "ein Sprecher, der sich durch nichts und niemanden vereinnahmen lässt", sei "marktwirtschaftlich geprägt" und "dezidiert konservativ", außerdem "patriotisch" und "bürgerlich bis ins Mark" - und im Gegensatz zu Claudia Roth und Ralf Stegner gern "spießig". Das trug ihm dann Begeisterung aus dem Saal ein.

Er wollte verzichten - hielt sich aber eine Hintertür offen

Im Laufe des Tages hatte sich zunächst ein anderer Kompromiss angedeutet. Nach Informationen der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ wollte Gauland auf den Parteivorsitz verzichten. Zunächst hatte es geheißen, er wolle möglicherweise kandidieren, um den Berliner Landeschef Georg Pazderski zu verhindern. Doch dann hatte es offenbar eine Einigung gegeben.

Der Kompromiss, der bereits am Vorabend diskutiert wurde, sah demnach vor, dass Pazderski nicht für die Führung der Bundesgeschäftsstelle zuständig sein sollte. Der bisherige Parteichef Meuthen hatte wohl Sorge, dass Pazderski sich diese "unter den Nagel reißen" könnte, wie es in Parteikreisen heißt. Gauland selbst bestätigte diese Informationen am Samstag vorerst nicht. Damit behielt sich der 76-Jährige eine Hintertür offen - durch die er nach dem Patt zwischen Pazderski und Sayn-Wittgenstein ging.

Um die beiden Sprecherposten bewarben sich zunächst vier Mitglieder: Der 56-jährige Meuthen trat zur Wiederwahl an. Gegen ihn wollte sich Matthias Vogler aus dem Kreisverband Nürnberg zur Wahl stellen, der sich jedoch nach Meutens Bewerbungsrede zurückzog. Pazderski reichte seine Kandidatur für das Amt des zweiten Sprechers ein, ebenso wie Sayn-Wittgenstein.

Poggenburg zieht Antrag für eine Einzelspitze zurück

Der rechte Parteiflügel, der eher Meuthen als Pazderski unterstützt, gab während des Treffens in einem anderen Punkt klein bei. Sachsen-Anhalts Landeschef Andre Poggenburg, ein Vertrauter Björn Höckes, zog einen Antrag zurück, mit dem auch eine Einzelspitze möglich gewesen wäre. Zwar wurde kurz darüber diskutiert und auch abgestimmt. Allerdings erhielt er nicht die für eine Satzungsänderung erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit. Damit war der Weg für eine Beibehaltung der Doppelspitze frei.

Poggenburg sagte, der Antrag, statt wie bislang zwei oder drei Vorstandssprecher künftig einen oder drei zuzulassen, sei aus einer "Notsituation" entstanden. Damals habe es ein "Kompetenzgerangel" an der Spitze gegeben. Die Bundespartei wurde seinerzeit von Frauke Petry und Jörg Meuthen gemeinsam geführt. Ziel seines Antrages sei es gewesen, einen Vorstand zu wählen, in dem die Mitglieder tatsächlich miteinander arbeiten wollten, sagte Poggenburg.

Später musste der Parteitag darüber befinden, ob es eine Zweier- oder Dreierspitze geben soll. Das sieht die Satzung vor. Die Versammlung entschied sich mehrheitlich für die (bis zum Ausscheiden Frauke Petrys) bisherige Variante: zwei Parteivorsitzende. Damit zeichnet sich eine Doppelspitze von Meuthen und Pazderski ab. "Sie lässt für uns einiges offen", kommentierte Poggenburg diese Entwicklung. Pazderski sei "bis zum letzten Tag" Petry gefolgt. "Ich weiß jetzt nicht, wie er in Zukunft ins Innere der Partei hineinwirken will, wie er integrieren will."

Tausende demonstrieren, Polizei setzt Wasserwerfer ein

Gegen den Parteitag formierte sich massiver Widerstand. Er begann deshalb mit einiger Verspätung. Vor Beginn war es am Samstagmorgen zu Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Demonstranten gekommen. Dabei wurde nach Angaben der Polizei ein Wasserwerfer eingesetzt. Die Demonstranten hätten trotz mehrfacher Aufforderung eine Zufahrtsstraße zu dem Kongresszentrum nicht geräumt, sagte ein Polizeisprecher.

Zudem habe es seit 7 Uhr morgens wiederholt Störaktionen und auch Angriffe auf Polizisten gegeben. Mehrere Polizisten und mindestens ein Demonstrant wurden bei den Auseinandersetzungen verletzt. Zehn Demonstranten wurden nach Polizeiangaben in Gewahrsam genommen.

Rund 6000 AfD-Gegner zogen nach Polizeiangaben am Nachmittag vom Tagungsort, dem Kongresszentrum, in Richtung Stadtzentrum. Ihre Kundgebung stand unter dem Motto „Unser Hannover - bunt und solidarisch! - Protest gegen Rechtsextremismus und Rechtspopulismus“.

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Der Parteitag ist der erste seit dem Einzug der AfD in den Bundestag. Wichtigster Tagesordnungspunkt ist die Wahl einer neuen Parteispitze. Bei seiner Rede zu Beginn des Parteitags dämpfte Parteichef Meuthen, der wiedergewählt werden möchte, die Erwartungen: "Einen Showdown à la Essen 2015 erwarten Sie von uns auf diesem Parteitag bitte nicht."

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Für den umstrittenen Thüringer Landesvorsitzenden Höcke ging der Tag nicht gut los: Zunächst stimmte der Parteitag für eine Änderung der Tagesordnung. Diese sah vor, dass viele Anträge nicht verhandelt werden – darunter auch der Antrag zur sofortigen Einstellung des Parteiausschlussverfahren gegen Höcke.

Kurz danach verlor Höcke auch einen ersten Stimmungstest: Als sich eine Debatte darüber entspann, ob Höckes Parteifreund Armin Paul Hampel, der niedersächsische Landeschef, ein Grußwort halten soll, ging Höcke ans Mikrofon. „Hallo Hannover“ sagte er. Es sei eine Selbstverständlichkeit, dass der Landesvorsitzende ein Grußwort halte. Doch der Parteitag stimmte gegen die Befassung mit dem Antrag. Höcke forderte eine Abstimmung mit den elektronischen Stimmgeräten. Doch auch die ergab kein anderes Bild: Knapp 60 Prozent waren dagegen.

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Höcke hatte sich in den letzten Wochen eine Kandidatur für den Bundesvorstand offen gelassen. Doch er scheint die Mehrheit auf diesem Parteitag nicht hinter sich zu haben. (mit AFP, dpa, Reuters)

Wer übernimmt in der AfD das Ruder? Lesen Sie hier unseren Vorbericht zum AfD-Bundesparteitag.

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