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Leeres Impfzentrum in Erfurt. Nach dem Astrazeneca-Impfstopp fallen in Thüringen Tausende Termine aus.

© Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dpa

Ärzte-Verband nach Astrazeneca-Impfstopp: „Wir müssen jetzt viel mehr Biontech für die Jüngeren nehmen“

Der Astrazeneca-Stopp hat die Impfzentren kalt erwischt – ein medizinischer Leiter plädiert im Zuge der dritten Welle für eine neue, unkonventionelle Strategie.

Dr. Dirk Heinrich ist Bundesvorsitzender des Virchowbundes und medizinischer Leiter des Hamburger Impfzentrums. Der Virchowbund vertritt laut eigenen Angaben die Interessen von 144.000 niedergelassenen Haus- und Fachärzten.

Im Interview mit dem Tagesspiegel macht Heinrich Vorschläge für eine neue Impfstrategie und erklärt, warum er - nach einer Fortsetzung der Astra-Impfungen für einen Einsatz des Vakzines vorrangig für Ältere statt für Jüngere plädiert.

Herr Heinrich, in Hamburg lief es bisher besser mit Astrazeneca als anderswo, wie kam das?
Wir haben zum Start der Astra-Impfungen eine kleine „Rock n‘ Roll-Aktion“ gemacht und über Social Media kommuniziert, dass wir die Gruppe der Arztpraxen mit ihren medizinischen Fachangestellten auch ohne Termin an einem Samstag und einem Sonntag drannehmen. Und dann kamen an dem Samstag 1.000 und am Sonntag 1.700 Ärzte und Ärztinnen mit ihren medizinischen Fachangestellten und haben sich von uns bereitwillig mit Astrazeneca impfen lassen. Das ging durch die Presse und so war das Thema durch. Anschließend hatten wir kein Problem mehr mit Astrazeneca-Terminen, die wurden alle gebucht. Hier sind keine Dosen liegen geblieben.

Hat es Sie überrascht, dass der Impfstoff jetzt erst einmal ausgesetzt worden ist?
Ich hatte schon damit gerechnet, dass Deutschland den vielen anderen europäischen Ländern folgen wird. An dem Morgen, an dem dann die Niederlande das Impfen mit Astrazeneca ausgesetzt hat, war mir klar, jetzt wird es in Deutschland auch passieren.

Und was passiert nun mit den Impfterminen?
Wir müssen keine Termine absagen. In Hamburg wurden Astrazeneca-Termine ohnehin nur für die nächsten 14 Tage geplant. Hinzu kam das Problem, dass die Astrazeneca-Lieferungen um die Hälfte gedrosselt worden sind. Da jetzt der Abstand zwischen Erst- und Zweitimpfung bei Moderna und Biontech auf sechs Wochen Abstand gestreckt wurde, besteht die Möglichkeit, diese Termine mit diesen Impfstoffen zu ersetzen. Wir werden keinen Termin absagen müssen.

Was passiert mit den Zweitimpfungen bei denen, die Astrazeneca schon bekommen haben?
Hier ist ja der Abstand zwischen Erst- und Zweitimpfung auf zwölf Wochen verlängert worden. Ich gehe davon aus, nachdem ja die EMA und auch die WHO sagen, es gäbe aus ihrer Sicht kein Problem und sich jetzt nochmal alle Daten anschauen, dass der Impfstoff weiter zugelassen wird.

Vertritt die niedergelassenen Ärzte Virchowbund-Chef Dirk Heinrich er ist auch medizinischer Leiter des Hamburger Impfzentrums.
Vertritt die niedergelassenen Ärzte Virchowbund-Chef Dirk Heinrich er ist auch medizinischer Leiter des Hamburger Impfzentrums.

© Virchowbund

Aber gesetzt den Fall, er würde nicht wieder zugelassen oder es gibt Warnhinweise für bestimmte Gruppen wie jüngere Frauen. Was dann?
Wenn man die zweite Impfung nicht mehr geben könnte, dann wäre die nächste Frage an das Paul-Ehrlich-Institut: Sollen wir die zweite Impfung mit einem anderen Impfstoff vornehmen? Das ist ja durchaus in der Diskussion. Es gibt ja auch Stimmen, die sagen, eine Mischung wäre sowieso gar nicht so verkehrt, weil jeder Impfstoff löst eine etwas andere Immunreaktion aus und die Wirkung könnte dadurch sogar besser sein, wenn es erst mit dem einen, dann mit dem anderen Impfstoff durchgeführt würde.

Aber man kann doch nicht einfach die mRNA-Impfstoffe nehmen, oder?
Doch, das wäre vermutlich möglich. Der Impfstoff löst dann wieder eine Immunreaktion aus, wenn Sie zum Beispiel Biontech hinterherspritzen. Jeder Impfstoff hat eine eigene Reaktion. Die mag jeweils ein bisschen anders ausfallen. Das heißt, die Immunzellen geben dann eine etwas andere Immunantwort. Diese Immunantwort ist aber vermutlich genauso wirksam und vielleicht sogar wirksamer, weil mehr Immunreaktionen ausgelöst werden. Das ist aber wissenschaftlich noch nicht endgültig erforscht. Dann muss nur überlegt werden, ob anschließend eine dritte Impfung gegeben werden muss, also zwei Impfungen mit dem anderen Impfstoff.

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Was bedeutet das für die Einbindung der Hausärzte, hier sollte ja vor allem Astrazeneca zum Einsatz kommen, weil es weniger gekühlt werden muss.
Diese Diskussion war für mich sowieso eine etwas absurde, weil um die Impf-Geschwindigkeit eines Impfstoffs gestritten wurde, den es gar nicht in ausreichender Menge gibt. Wenn die Impfzentren noch nicht einmal ausgelastet sind, dann kann ich ja den Impfstoff nicht dadurch vermehren, wenn ich noch mehr Impfstellen ausrufe. Das war für mich unlogisch. Was natürlich durchaus Sinn macht, ist, wenn es Arztpraxen gäbe, die impfen könnten, um Menschen die nicht so mobil sind, den Weg in das Impfzentrum zu ersparen. Oder aus der Prioritätengruppe 2 bestimmte Menschen, die jünger sind mit entsprechenden Vorerkrankungen oder Dialysepatienten. Das wird auch in Hamburg passieren. Vielleicht nehmen wir dann dafür Moderna. Das ist ein Impfstoff, der zumindest etwas einfacher zu handhaben ist, als Biontech, weil er nicht verdünnt werden muss. Moderna ist vom Kühlverhalten einfacher und es ist so viel im Fläschchen drin, dass man auch problemlos zehn Dosen rauskriegt.

Wenn Astrazeneca wieder zugelassen werden sollte, wird es noch ehr Akzeptanzprobleme geben. Sind Sie wie Markus Söder dafür, Astrazeneca einfach für alle freizugeben?
Nein, davon halte ich nichts. Was haben wir bisher für Erfahrungen? Wir haben die beiden sehr gut verträglichen Impfstoffe Biontech und Moderna. Da sehen wir kaum Reaktionen, vor allen keine schwerwiegenden. Bei Biontech wir wissen jetzt auch, dass die Übertragung des Virus und leichte Infektionsverläufe zu einem hohen Prozentsatz verhindert werden. Das sind ganz neue Daten aus Israel.

Das bedeutet, dass Geimpfte das Virus nicht übertragen können, was ein entscheidender Punkt ist, um den Bürgern ihre Grundrechte zurückzugeben…
Richtig.

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Begehrtes Gut, aber die Dosen von Astrazeneca werden vorerst nicht weiter verimpft. Foto: Daniel Karmann/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Begehrtes Gut, aber die Dosen von Astrazeneca werden vorerst nicht weiter verimpft. Foto: Daniel Karmann/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

© dpa

Aber bei Astrazeneca scheint es etwas weniger gut zu laufen.
Wir sehen irgendwann vermehrt Reaktionen, die dann dazu führen, dass sich Menschen mitunter zwei Tage krank melden müssen. Wir haben auch mehr allergische Reaktionen gesehen. Wir wissen jetzt, möglicherweise gibt es ein Problem mit jüngeren Frauen und Sinusvenenthrombosen. Wir wissen aus Großbritannien, dass Astrazeneca zu 100 Prozent die Hospitalisierungen und den Tod verhindern kann. Auch bei älteren Menschen. Wenn man das alles zusammennimmt, wäre es für mich die rationalste Lösung, zu sagen, Astrazeneca ist der Impfstoff, der für die ältere Bevölkerung der geeignetste ist.

Warum? Erst hatte die Ständige Impfkommission den Stoff ja sogar mangels Studiendaten für ältere Bürger gar nicht empfohlen…
Wir sehen bei älteren Menschen weniger allergische Impf-Reaktionen. Er ist hoch wirksam, um genau das zu verhindern, was wir bei den Älteren wollen: die Hospitalisierung und den Tod. Wir müssen jetzt viel mehr Biontech für die Jüngeren nehmen, weil wir wissen, dass der Impfstoff eine Übertragung verhindern kann.  Und das ist doch genau die Bevölkerungsgruppe, die das Virus am ehesten überträgt, etwa Kita-Mitarbeiter, Lehrer, Ärzte, Krankenschwestern, Pflegekräfte, alle, die aktiv mit Menschen in Kontakt ist. Das wäre für mich mit dem Wissen, was wir jetzt haben, der rationale Umgang mit den beiden Impfstoffen.

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