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Eine rote Ampel leuchtet vor dem Reichstagsgebäude bei Nacht.

© Christoph Soeder/dpa

Aerosolforscher kritisiert Notbremse: „Ausgangssperren verhindern minimale Anzahl an Infektionen“

Um die dritte Corona Welle einzudämmen, reagiert die Bundesregierung mit der Notbremse. Einigen Experten reicht das nicht, manche Maßnahmen sind unsinnig.

Von Thomas Sabin

Es sind winzig kleine Partikel. Sie schwirren durch die Innenräume, wabern durch die Luft: Aerosole sind 2000-mal kleiner als der Punkt in einer gedruckten Zeitung. Wer sich in geschlossenen Räumen aufhält, begibt sich diese Tage in große Gefahr. Draußen hingegen bestehe kaum ein Risiko. Davon ist Aerosolforscher Christof Asbach überzeugt. Nur der richtige Schutz und die Aufklärung der Bevölkerung können seiner Meinung nach das Infektionsgeschehen der dritten Welle eindämmen.

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Am Mittwoch melden die Gesundheitsämter in Deutschland dem Robert Koch-Institut (RKI) binnen eines Tages 21.693 Corona-Neuinfektionen. Hinzu kommen innerhalb von 24 Stunden 342 neue Todesfälle, so die Zahlen des RKI von Mittwochmorgen. Vor einer Woche sah das noch ganz anders aus. Das RKI verzeichnete binnen eines Tages 9677 Neuinfektionen und 298 Todesfälle.

Laut Christof Asbach, Präsident der Gesellschaft für Aerosolforschung, liegt dieser rasche Anstieg der Zahlen auch daran, dass die Menschen falsch informiert seien. „Ich glaube, dass man mit Ausgangssperren und der Maskenpflicht im Freien nur eine minimale Anzahl von Infektionen verhindert.“ Eine seiner Befürchtungen, weshalb er gemeinsam mit anderen Forschenden einen Offenen Brief an die Politik verfasst habe, sei, „dass mit solchen Maßnahmen falsche Akzente gesetzt würden“, erklärt er im Interview mit dem Tagesspiegel.

Ansammlungen großer Partikelwolken sollten gerade in Innenräumen in Zeiten der Corona-Pandemie verhindert werden. „Innen ist der kritische Bereich, nicht draußen“, mahnt Asbach an, der die häufigsten Fehler im falschen Lüften oder dem falschem Tragen von Masken in Innenräumen sieht.

[Mehr zum Thema: Aerosolforscher erklärt, wie man sich in Innenräumen richtig vor Corona schützt. Lesen Sie hier das gesamte Interview mit Christof Asbach. T+]

Doch auch der Politik macht er einen Vorwurf: „Von Seiten der Politik und den von ihr beschlossenen Maßnahmen haben wir den Eindruck, dass das nicht wirklich wahrgenommen wird“, sagt Asbach und bezieht sich dabei auf den Brief und ein im letzten Jahr verfasstes Positionspapier zu den Erkenntnissen der Aerosolforschung.

Seit März sind die Infektionszahlen in Deutschland fortlaufend gestiegen. Bund, Länder und der Berliner Senat hatten sich in zahlreichen Sitzungen auf eine Verlängerung des Lockdowns und einige Verschärfungen der Corona-Regeln verständigt. Die aktuelle vom Bundeskabinett beschlossene Änderung des Infektionsschutzgesetzes – die bundesweite Corona-Notbremse – reicht nach Ansicht von Fachleuten zum Kampf gegen die Pandemie allein nicht aus.

Christian Drosten und Karl Lauterbach reicht Notbremse nicht

So fordern unter anderem der Virologe Christian Drosten und SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach zusätzliche Maßnahmen zur Notbremse. „Ich erwarte jetzt nicht ohne weiteres, dass man damit die Situation in der Intensivmedizin kontrollieren kann“, sagte Drosten mit Blick auf die Entscheidung.

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach begrüßte die beschlossene Notbremse, sprach sich aber auch für eher schärfere Maßnahmen aus. „Ich befürchte sogar, dass das Gesetz in der Fassung, wie wir es jetzt haben, noch nicht einmal ausreichen wird“, sagte er am Mittwoch im Deutschlandfunk.

Das Bundeskabinett und die Koalitionsfraktionen hatten am Dienstag den Gesetzentwurf zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes beschlossen, der die Notbremse ab einem Inzidenzwert von 100 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in einer Region bundeseinheitlich festschreiben soll. Kommende Woche sollen die Neuerungen erst vom Parlament beschlossen werden und dann den Bundesrat passieren.

Was beinhalten die neuen Corona-Maßnahmen?

  • Harter, regionaler Lockdown bei Überschreiten des Schwellenwerts von 100 an drei aufeinanderfolgenden Tagen
  • Private Zusammenkünfte werden auf die Angehörigen eines Haushalts und eine weitere Person beschränkt (einschließlich Kinder bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres).
  • Ausgangssperren von 21 bis 5 Uhr, mit Ausnahmen für Notfälle oder aus beruflichen Gründen. 
  • Sport ist nur noch sehr begrenzt und maximal zu zweit oder mit den Angehörigen eines Haushalts möglich.
  • Auch alle Geschäfte müssen dichtmachen – mit Ausnahme des Lebensmittelhandels, Apotheken, Drogerien, Tankstellen, Buchhandlungen und Gartenmärkte.
  • Schulen und Kitas dürfen nur bei Inzidenz unter 200 offen bleiben. Selbst dann dürfen Schüler nur am Unterricht teilnehmen, wenn sie sich zweimal pro Woche testen. Auch das Lehrpersonal muss sich testen.
  • Die Versammlungsfreiheit sowie Zusammenkünfte, die der Religionsausübung dienen, fallen nicht unter die Beschränkungen.

Mit einigen Maßnahmen dürfte Aerosolforscher Christof Asbach einverstanden sein, andere hingegen gehen in die falsche Richtung. „Generell kann man sehr deutlich festhalten, dass draußen die Gefahr um ein Vielfaches geringer ist, weil sich Viren nicht ansammeln können. Wind und auch thermische Luftbewegung tragen Virenpartikel weg“, sagte er im Tagesspiegel-Interview. Joggen oder Fußballspielen im Freien sind seiner Meinung nach problemlos möglich.

[Mehr zum Thema: „Ein harter Lockdown, noch in dieser Woche!“ Lesen Sie hier das gesamte Interview mit Steffen Weber-Carstens. T+]

Aerosolwolken würden sich vor allem in schlecht durchlüfteten Innenräumen ansammeln. „Dort ist es wichtig, die Kontakte einzuschränken“, sagte Asbach. Maßnahmen wie eine Ausgangssperre könnten nur dann erfolgreich sein, wenn sie dazu führten, dass weniger Leute im Innenraum zusammenkämen. „Ich denke aber, das ist nicht das richtige Mittel“, so der Forscher. Hinzu komme, dass man nur mit einer FFP2-Maske nicht absolut sicher sei. Nur Raumluftreiniger oder nur lüften allein seien auch nicht ausreichend. „Die Kombination macht es.“

Asbach glaubt zudem, dass man mit den Maßnahmen, die draußen gelten, nur eine minimale Anzahl von Infektionen verhindern könne. „Durch einige Maßnahmen könnten die Menschen denken, dass draußen die Gefahr lauert.“ Und das sei kontraproduktiv.

Rekordauslastung der Berliner Krankenhäuser

Dass es jetzt jedoch harte und wirksame Maßnahmen braucht, zeigt unter anderem auch die Rekordauslastung der Berliner Krankenhäuser in der Corona-Pandemie. Dort ist der Aufwand kaum noch zu bewältigen, sagt Charité-Intensivmediziner Steffen Weber-Carstens dem Tagespiegel. Auch er fordert schnelle Maßnahmen.

Am Dienstag äußerte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in einem Pressestatement zur Notbremse. Die Ergänzung des Infektionsschutzgesetzes sei nach Ansicht von Merkel „ein wichtiger sowie dringender Beschluss“, wie es in der Corona-Pandemie weitergehen soll.

Die wichtigste Änderung sei, dass die Notbremse bundesweit umgesetzt werde. Die Unklarheiten, was in welcher Region gelte oder nicht gelte seien dann vorbei, sagte Merkel in Berlin.

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