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Der Mann hinter Juncker: der Generalsekretär der EU-Kommission, Martin Selmayr (rechts).

© Julien Warnand/DPA

Ärger um Chefposten bei EU-Kommission: EU-Parlament rügt Verfahren zur Selmayr-Beförderung

Das Europaparlament erklärt in einer Resolution, dass die Beförderung des Deutschen Martin Selmayr zum Generalsekretär der EU-Kommission als „putschartige Aktion“ gesehen werden könnte.

Das Europaparlament hat die umstrittene Doppelbeförderung des Deutschen Martin Selmayr zum höchsten Beamten der EU-Kommission gerügt und eine neue Bewerbungsrunde für den Posten gefordert. Die Art von Selmayrs Ernennung „könnte als putschartige Aktion gesehen werden, die die Grenzen des Rechts dehnt oder sogar überdehnt“, heißt es in einer am Mittwoch in Straßburg verabschiedeten Resolution.

Diese fiel nach wochenlangen Diskussionen und Nachfragen zu der als Postenschieberei kritisierten Beförderung aber zahmer aus als von einigen Abgeordneten gewünscht. Etliche Änderungsanträge zur Verschärfung wurden abgelehnt – auch einer, der den sofortigen Rücktritt Selmayrs forderte.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte laut Medienberichten sein politisches Schicksal an das von Selmayr geknüpft, den er persönlich für den Spitzenposten des Generalsekretärs der Kommission vorgeschlagen hatte. Wenn Selmayr gehe, gehe er auch, soll Juncker im März gesagt haben.

Blitzbeförderung am 21. Februar

Selmayr ist seit 1. März als Generalsekretär der EU-Kommission der oberste Chef der rund 32.000 Beamten in der Brüsseler Behörde. Zuvor war er drei Jahre lang Junckers Kabinettschef gewesen. Juncker, dessen Amtszeit als EU-Kommissionschef Ende des kommenden Jahres endet, hatte Selmayrs Berufung nach einer Kommissionssitzung am 21. Februar vor Journalisten in Brüssel verkündet. Zuvor hatte das Kommissarskollegium die Berufung des 47-Jährigen auf den Brüsseler Chefposten abgenickt. Während der Kommissionssitzung gab es eine Art Blitzbeförderung für Selmayr: Zunächst wurde er auf den Posten des stellvertretenden Generalsekretärs berufen. Wenige Minuten später wurde seine Berufung zum Generalsekretär durch Juncker vom Kommissarskollegium gebilligt. Fast alle Mitglieder im 28-köpfigen Kommissarskollegium waren überrascht angesichts der Nachricht, dass der bisherige Generalsekretär Alexander Italianer seinen Posten räumt und Selmayr sein Nachfolger wird. Das Verfahren habe das Ansehen der Kommission beschädigt, heißt es in dem Beschluss dem Europaparlaments vom Mittwoch.

Zu denen, die vor der entscheidenden Kommissionssitzung Ende Februar über die Beförderung Selmayrs zum Generalsekretär informiert waren, gehört EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger. Nach der Verabschiedung der Resolution durch das Europaparlament erklärte Oettinger am Mittwoch, die Kommission habe bei der Ernennung Selmayrs zum Generalsekretär „die Regeln sowohl dem Geiste als auch dem Buchstaben getreu befolgt, so wie es im Beamtenstatut festgelegt ist, das gleichermaßen für alle Institutionen gilt“. Die Kommission sei nicht von ihrem internen Rechtsrahmen oder der Geschäftsordnung abgewichen und habe auch nicht gegen die bestehenden Verfahren verstoßen, die seit vielen Jahren befolgt werden, erklärte der Haushaltskommissar weiter. Die letzten drei Generalsekretäre der Kommission seien auf der Grundlage des exakt gleichen Verfahrens ernannt worden. Zudem stünden die Eignung und die Qualifikation Selmayrs für die Stelle des Generalsekretärs „außer Frage“, so Oettinger.

Oettinger: Berufung Selmayrs wird nicht widerrufen

Laut der Erklärung Oettingers begrüßt die Kommission darüber hinaus, dass in der Entschließung des Europaparlaments anerkannt werde, dass alle EU-Institutionen autonom sind, wenn es um Angelegenheiten geht, die ihre Organisation und Personalpolitik betreffen. „Außerdem hält die Entschließung zu Recht fest, dass die Entscheidung der Kommission, ihren neuen Generalsekretär zu ernennen, nicht widerrufen werden kann und wir werden das auch nicht tun, da wir das Beamtenstatut respektieren“, so Oettinger. Nach den Worten des EU-Kommissars stehe die Brüsseler Behörde aber zur Verfügung, um zusammen mit dem EU-Parlament und den anderen Institutionen zu überprüfen, wie die gegenwärtigen Regeln und Verfahren künftig besser angewendet werden können. „Zu diesem Zweck habe ich vorgeschlagen, möglichst bald einen interinstitutionellen Runden Tisch zu organisieren“, erklärte Oettinger.

Im vergangenen Monat hatte „Spiegel Online“ berichtet, dass Oettinger während einer Veranstaltung des Verbandes der Deutschen Automobilindustrie (VDA) in Brüssel eine Reihe von Unionsabgeordneten im Europaparlament angesichts der Diskussion um die Beförderung Selmayrs beschworen habe, nicht auf Selmayrs Rücktritt hinzuarbeiten. „Das könnt ihr nicht machen“, habe Oettinger gesagt und hinzugefügt: „Ohne Selmayr ist Juncker hilflos.“ Diese Einschätzung habe die Runde der Unionsabgeordneten dem Bericht zufolge geteilt.

„Die Besetzung des höchsten Postens in der Verwaltung der EU-Kommission im Schnellverfahren und ohne Ausschreibung widerspricht allen Transparenzstandards, die in einer öffentlichen Behörde nötig sind“, kritisierte am Mittwoch der SPD-Europaabgeordnete Arndt Kohn. „Die EU-Kommission sollte den Ruf der Europäischen Union nicht mit solchen Mauscheleien beschädigen."

Die Forderung der Grünen und der Linken nach dem sofortigen Rücktritt Selmayrs lehnte die Mehrheit des Plenums in Straßburg ab. „Die EU-Kommission dehnt die Regeln mit der Ernennung Selmayrs bis aufs Äußerste, sie bricht sie aber nicht. Dem Europäischen Parlament fehlt schlicht und einfach eine Rechtsgrundlage, um einen Rücktritt durchzusetzen“, erklärte Kohn dazu.

Grünen-Abgeordneter Giegold fordert neues Auswahlverfahren

Der Grünen-Europaabgeordnete Sven Giegold erklärte: „Mit der Blitzbeförderung von Martin Selmayr schadet Jean-Claude Juncker dem Ansehen der Europäischen Kommission und der Glaubwürdigkeit der Europäischen Union. In Zeiten von Skepsis und Misstrauen gegenüber der Europäischen Union haben Jean-Claude Juncker und Martin Selmayr Öl ins Feuer gegossen und den Eindruck der Europäischen Union als Selbstbedienungsladen befeuert.“ Juncker müsse „mit einem neuen Auswahlverfahren den Anspruch auf Integrität und Transparenz erfüllen“, forderte Giegold. (mit dpa)

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