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Tagesspiegel-Kolumnistin Barbara John

© imago stock&people

Älter werden in Deutschland: Freiwilliges Weiterarbeiten im Rentenalter muss möglich sein

Der Koalitionsvertrag reduziert das Älterwerden auf Krankheit und Pflege, findet unsere Kolumnistin. Ältere brauchen aber auch mehr Teilhabechancen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Barbara John

Der Koalitionsvertrag von CDU, SPD und CSU widmet den „Seniorinnen und Senioren“ 47 Zeilen von insgesamt 8368. Es ist nicht die Kürze des Textes, die aufhorchen lässt, es ist der Inhalt. Genauer, das abgenutzte In-Würde-altern-Konzept, mit dem ältere Menschen bedacht werden: Fürsorglich, barmherzig und hilfsbereit will der Staat sich um sie kümmern, damit sie „selbstbestimmt“ alt werden können, in einer guten alters- und krankheitsgerechten Infrastruktur. Schön und gut. Doch was sagt das der Altengeneration, die nicht gebrechlich und siech ist und eine längere aktive Phase vor sich hat als jede Generation davor?

Wir brauchen nicht nur mehr Heimplätze, sondern auch mehr Teilhabechancen für Senioren

Altern ist nicht Besonderes, wir alle kennen das von Geburt an. Das Besondere für Lebensältere ist heute, dass sie ihre gute körperliche und geistige Verfassung nicht nur innerhalb der Familie einsetzen können und wollen, sondern auch in Gesellschaft und Wirtschaft. Da werden sie mit ihrer Erfahrung, nicht nur aufgrund des Mangels an Arbeitskräften, gebraucht. Außerdem hängt Gebrauchtwerden mit Gesundheit zusammen. Es geht also in erster Linie nicht mehr um mehr Heimplätze und Krankenbetten, sondern um mehr Teilhabechancen. Das gilt für die zurzeit jüngeren Generationen erst recht. Alt geworden, werden sie noch mehr leistungsfähige Jahre haben. Politische Aufbruchsignale für mehr Teilhabe gibt es allerdings keine. Stattdessen: Ruhestand in würdevoller Bequemlichkeit.

Wie könnte Teilhabe gehen, ohne höheres Renteneintrittsalter für alle? In anderen Ländern gibt es einen Rechtsanspruch auf freiwillige Weiterarbeit im Beruf nach Erreichen des Rentenalters. Warum nur Zeitungen austragen oder 400-Euro-Jobs? Bei uns ist es immer noch so, dass Arbeitsverträge auf das reguläre Renteneintrittsalter befristet sind. Das ist indirekt eine Kündigung aus Altersgründen, obwohl verboten mit dieser Begründung. Seit 2014 dürfen Mitarbeiter im Rentenalter immerhin befristet weiterbeschäftigt werden – allerdings nach Belieben des Arbeitgebers. Ein Land, das heutzutage noch seine Alten mit fürsorglichem Getue ins Aus stellt, schadet allen.

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