zum Hauptinhalt
Hilfe naht - und zwar möglichst blitzschnell! Der ADAC sah sich lange als Anwalt der Schnellfahrer.

© imago images/Ralph Peters

ADAC nicht mehr gegen Tempo 130: Auch Andreas Scheuer kann dieses Votum nicht ignorieren

Der Autoclub gibt den Widerstand gegen Tempo 130 auf. Das erhöht den Druck auf die Politik – und da besonders auf Tempominister Scheuer. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Henrik Mortsiefer

Der größte Automobilclub des Autolandes Deutschland bricht mit einem Tabu: Fast die Hälfte (45 Prozent) der 21 Millionen ADAC-Mitglieder spricht sich für ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen aus. 45 Prozent sind zwar keine Mehrheit und der Club-Vorstand hätte daraus durchaus ein knappes Votum gegen die generelle Geschwindigkeitsbegrenzung machen können.

Doch die ADAC-Spitze hat sich anders entschieden und gibt eine jahrzehntealte Tradition auf: Der Autofahrer-Club ist „nicht mehr grundsätzlich“ dagegen, dass bei Tempo 130 Schluss ist. Ein wenig windet man sich noch, festlegen wolle man sich in der „emotional geführten Debatte“ nicht, heißt es. Doch der Geist ist aus der Flasche, der ADAC wird ihn nicht wieder einfangen.

Für die Verkehrspolitik ist das bedeutsam. Das Autofahrer-Parlament hat gewissermaßen gewählt und das Ergebnis sollte niemand ignorieren – auch nicht Andreas Scheuer (CSU). Der Bundesverkehrsminister hat sich gerade erst wieder gegen ein Tempolimit ausgesprochen, weil er sich bei jeder Gelegenheit gegen Verbote ausspricht. Das kann man modern finden. Tatsächlich war es im Fall des Tempolimits nichts anderes als Klientelpolitik – im Interesse deutscher Autohersteller und Autofahrer.

D als seltsamer Exot

Doch auf Letztere kann Scheuer nicht mehr setzen, die große Mehrheit, die sich laut Minister gegen Beschränkungen ausspricht, gibt es nicht mehr. Die „freien Bürger“, für die der ADAC einst „freie Fahrt“ forderte, lassen sich heute von anderen Zielen leiten: mehr Klimaschutz, weniger Verkehrstote, entspannteres (und flüssigeres) Vorankommen auf der Straße, weniger Drängelei.

56 Prozent der Führerscheinbesitzer halten ein Tempolimit für geeignet, die Verkehrssicherheit zu erhöhen. Feldversuche untermauern diese Auffassung. Und mag der Beitrag einer Geschwindigkeitsbegrenzung zum Klimaschutz auch klein sein, ein bis zwei Millionen Tonnen weniger CO2 pro Jahr wären ja schon etwas.

Der ADAC-Wettbewerber ACE, die Gewerkschaft der Polizei, der Verkehrssicherheitsrat, die Wissenschaft, die SPD, die Grünen und die Umweltverbände ohnehin – sie alle sind mit guten Gründen für ein Tempolimit. Ein Blick auf die Landkarte Europas zeigt überdies: Deutschland stünde nach einem Aus für die Tempofreizügigkeit nicht mehr als seltsamer Exot da.

E-Autos punkten ohnehin nicht mit Tempo

Kann das alles auch im Interesse der Automobilindustrie sein? Es kann. Das Label „Tested on German Autobahn“, mit dem Audi, BMW, Porsche und Mercedes gerne ihre PS-starken, schnellen Sport- und Oberklassewagen im Ausland verkauft haben, verliert an Anziehungskraft. Zugegeben, nicht überall und nicht bei jeder Zielgruppe.

Aber die Dinge kommen in Bewegung. Höchstgeschwindigkeit ist kein Kaufkriterium mehr, und schon gar nicht, wenn es um Elektroautos geht. Hier zählen Reichweite, Effizienz, Infrastruktur – und, ja, auch Fahrdynamik und Beschleunigung. Aber der Faktor Fahrspaß definiert sich in der Elektrowelt nicht mehr allein jenseits des Tempolimits, sondern auch diesseits.

Autobossen wie VW- Chef Herbert Diess, der ganz auf Elektromobilität setzt, muss man das nicht erklären. Nun darf man gespannt sein, ob Diess & Co. auch zum Tempolimit ein klares Wort finden. Dann wäre der verkehrspolitische Kurswechsel perfekt.

Zur Startseite