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Machthaber Baschar al Assad kontrolliert wieder ein Großteil Syriens.

© dpa/Sergei Grits

Acht Jahre Krieg: Was wird aus Assads Syrien?

Am 15. März 2011 begann der Aufstand gegen Syriens Machthaber. Der Krieg ist zwar militärisch entschieden – doch Frieden liegt in weiter Ferne. Eine Analyse.

Acht Jahre. Oder 96 Monate. Oder 416 Wochen. Oder 2920 Tage. So lange herrscht in Syrien bereits Krieg. In einigen Teilen des geschundenen Landes mag es heute weniger Gefechte, weniger Leid und weniger todbringende Luftangriffe geben als noch vor einem Jahr. Doch das ändert wenig daran, dass Syrien von Frieden weit entfernt ist.

Immer noch sind Kämpfe und Gewalt allgegenwärtig. Und damit einhergehende schwere Menschenrechtsverstöße. Erst vor wenigen Tagen kam eine Kommission der Vereinten Nationen zu der Einschätzung, dass an eine Rückkehr der Vertriebenen nicht zu denken sei.

Der von Kriegsverbrechen gekennzeichnete Konflikt halte an – einschließlich des Beschusses von zivilen Einrichtungen wie Schulen und Kliniken. In den von Machthaber Baschar al Assad zurückeroberten Provinzen würden die Grundrechte eklatant missachtet. Folter, Verschleppungen und willkürliche Festnahmen schaffen ein Klima der Angst.

Dort, wo noch Aufständische das Sagen haben, sieht es für die Zivilbevölkerung kaum besser aus. Allein zwischen Juli 2018 und Januar 2019 sind nach Schätzungen der UN anderthalb Millionen Syrer zu Flüchtlingen geworden.

Das syrische Drama, es hat noch kein Ende gefunden, auch wenn zumindest der „Islamische Staat“ militärisch besiegt scheint. Das „Kalifat“ der mörderischen „Gotteskrieger“ als territoriales Gebilde gehört der Vergangenheit an. Noch ist unklar, ob ihnen ein Comeback gelingt, wenn der Anti-Terrorkampf womöglich nach Amerikas angekündigtem Rückzug nachlässt.

Was jedoch schon heute klar ist: Baschar al Assad hat den Krieg – der innerhalb kurzer Zeit von einem lokalen Aufstand zu einem Weltkonflikt mutierte – zwar noch nicht beenden können, aber für sich entschieden. Dem Diktator ist damit etwas gelungen, was viele Beobachter lange Zeit ausgeschlossen hatten: Er hat überlebt, politisch ebenso wie physisch.

Andere arabische Despoten wie Libyens Muammar al Gaddafi oder Iraks Saddam Hussein endeten durch Kugeln oder den Galgen. Assad dagegen hat nach wie vor das Sagen, darf weiter regieren – trotz mehr als 550.000 Toten, fast 13 Millionen Flüchtlingen und brutaler Unterdrückung.

Lange Zeit sah es allerdings nicht danach aus, dass sich das Regime würde halten können. Im Sommer 2015 rückten die Rebellen sogar Richtung Latakia vor, Assads Kerngebiet. Der Herrscher erklärte damals, seine Soldaten seien nicht in der Lage, alle Gebiete zu verteidigen. Einige müssten aufgegeben werden, um andere Orte besser schützen zu können – ein Eingeständnis der Schwäche.

Mit Russland Kampfjets kam die Kriegswende

Dann jedoch betrat eine Großmacht das Schlachtfeld: Moskau eilte seinem bedrängten Schützling in Damaskus zu Hilfe. Ende September 2015 schossen russische Jets im Namen des Kampfes gegen den Terrorismus ihre ersten Raketen ab. Das war die politisch-militärische Wende im Krieg. Nach und nach eroberte das Regime die von der Opposition kontrollierten Regionen zurück – gestützt am Boden auf vom Iran befehligte und ausgestattete Schiitenmilizen wie der Hisbollah.

Diesem Vernichtungsfeldzug einschließlich Aushungern, Einsatz von Giftgas und gezielter Dauer-Bombardierung hatten Assads Gegner nichts entgegenzusetzen. Wo die Einheiten des Machthabers wüteten, wie in Aleppo oder Ost-Ghuta, hinterließen sie verbrannte Erde.

Doch Assads verhinderter Sturz dürfte den Herrscher einiges kosten. Denn jene, die ihm zur Seite stehen, fordern ihren Lohn ein – sie werden die Zukunft des Landes mitbestimmen. Der Präsident bleibe formal an der Macht, „ist aber ein Gefangener seiner Verbündeten“, schreibt Syrien-Kennerin Kristin Hellberg.

Gemeint sind damit Russland und der Iran als ausländische Akteure sowie lokale Warlords und regimenahe Unternehmer. Sie alle wollen von der Nachkriegsordnung profitieren.

Die Führung in Moskau will aus der Ferne schalten und walten, also ihre starke Stellung in der Region sichern. Gleiches gilt für die Mullahs in Teheran. Sie möchten Syrien als Basis nutzen, um ihren Einfluss im Nahen Osten auszuweiten.

Und die syrischen Kriegsherren und Wirtschaftsbosse? Die einen sind als Kriminelle reich geworden mit Plünderungen, Entführungen und Erpressung. Sie haben wenig Interesse an einem Ende des Krieges. Die anderen sind durch lukrative Geschäfte mit dem Assad-Clan zu Geld gekommen. „Keiner von ihnen interessiert sich für das öffentliche Wohl, die wirtschaftliche Wiederherstellung des Landes oder soziale Wiedergutmachung“, analysiert Kristin Hellberg.

Ein gespaltenes Volk

Genau das alles braucht Syrien allerdings, um endlich Ruhe zu finden. Nur: Kann das mit Assad an der Spitze überhaupt gelingen? Mit einem, der gegen sein eigenes Volk derart brutal vorgeht? Einem, der Syrien in Parteigänger und Gegner gespalten hat, in Jubler und jene, die sich rächen wollen?

Die Missstände, die den Aufstand auslösten – staatliche Gängelung, Behördenwillkür, Überwachung, Unterdrückung, Korruption – sind nicht verschwunden. Im Gegenteil. Syrien ist vielleicht mehr denn je eine totalitäre Diktatur.

Die Lesart des Regimes: Verrat

Im Klartext heißt das: Andersdenkende sind unerwünscht, überhaupt jede Form der Opposition. Die im März 2011 begonnene Revolte ist nach Lesart des Regimes nichts anderes als Verrat. Wer als Oppositioneller mitgemacht hat, brauche sich nicht mehr in Syrien blicken lassen, tönte vor einigen Monaten ein hochrangiger Vertreter des Militärs. „Zehn Millionen vertrauenswürdige Leute, die der Führung gehorsam sind“, seien besser als ein Land mit „30 Millionen Vandalen“, soll der Chef des Luftwaffengeheimdienstes gesagt haben.

Mehrere Millionen Menschen stehen nach Angaben von Aktivisten auf den Fahndungslisten der Behörden. Ihnen wird vorgeworfen, den Aufruhr unterstützt zu haben. Damit sind vor allem die Flüchtlinge gemeint.

Russlands Präsident Wladimir Putin (r.) hat seinem syrischen Amtskollegen Baschar al Assad das politische Überleben gesichert.
Russlands Präsident Wladimir Putin (r.) hat seinem syrischen Amtskollegen Baschar al Assad das politische Überleben gesichert.

© Sputnik/Mikhail Klimentyev/Reuters

Fast sechs Millionen Menschen haben im Ausland Schutz gefunden, die meisten in Nachbarstaaten wie der Türkei, dem Libanon und Jordanien. All diese Länder schultern damit eine enorme Last, mit der sie zuweilen überfordert sind. Die Geflüchteten wiederum sind enttäuscht, frustriert und verbittert. Sie hausen immer noch in behelfsmäßigen Unterkünften, finden keine Jobs, die Ersparnisse sind längst aufgebraucht, und ihre Kinder gehen viel zu selten zur Schule.

Hatten sie noch in den ersten Jahren die Hoffnung, bald zurückkehren zu können, prägt heute vorrangig Perspektivlosigkeit und Armut ihren Alltag. Die düstere Ahnung der Vertriebenen, dass sie heimatlos bleiben werden, wird zur Gewissheit. Zumindest, wenn Assad Präsident bleibt.

Daran dürfte sich in absehbarer Zeit nichts ändern. Jeder Versuch, diesen verwirrenden Vielfrontenkrieg friedlich und einvernehmlich zu lösen, ist gescheitert. Mehrere Vermittler der Vereinten Nationen haben desillusioniert das Handtuch geworfen.

"Nichts ist mit Syrien vergleichbar"

Der damalige UN-Gesandte Staffan de Mistura sagte Mitte 2017 dem Tagesspiegel: „Nichts ist mit Syrien vergleichbar. Die Komplexität ist einmalig.“ Der Westen einschließlich der USA und Europa hat sich denn auch mit Assads Verbleib im Amt arrangiert. Russland und der Iran stützen ihn. Denn er dient ihnen als Vehikel, um ihre Interessen durchzusetzen.

Für das Land könnte das zur Folge haben, dass es in vier Teile zerfällt: ein Assad-Gebiet unter Kontrolle des Regimes, Russlands und Irans; eine weitgehend autonome Kurdenregion im Nordosten; ein von der Türkei besetztes Territorium und eine sunnitisch geprägte Zone im Osten. Syrien bleibt ein Spielball fremder Mächte.

Tag für Tag müssen sich Menschen vor Gefechten und Luftangriffen in Sicherheit bringen. Sie werden zu Flüchtlingen.
Tag für Tag müssen sich Menschen vor Gefechten und Luftangriffen in Sicherheit bringen. Sie werden zu Flüchtlingen.

© Omar Haj Kadour/AFP

Die Menschen treibt allerdings derzeit etwas anderes um: der Wiederaufbau. Städte, Dörfer, ja, ganze Landstriche liegen in Schutt und Asche. Die Kriegsschäden zu beseitigen, könnte Schätzungen zufolge zwischen 250 und 400 Milliarden Dollar kosten und ein Jahrzehnt dauern.

Aber woher sollen die Mittel dafür kommen? Russland will den Westen zur Kasse bitten. Der sträubt sich, solange Assad nicht zu Reformen bereit ist. Doch danach sieht es nicht aus.

Diktatur statt Demokratie

Und was ist aus dem zivilgesellschaftlichen Engagement geworden? Als vor acht Jahren Hunderttausende gegen das Assads Regime protestierten, schlossen sich überall im Land Syrer zusammen, organisierten friedliche Proteste, dokumentierten Menschenrechtsverletzungen, schufen Organisationen zur Unterstützung der Opfer des Regimes, schlossen sich in Fraueninitiativen zusammen oder schufen Räume für offene Diskussionen über Syriens Zukunft.

Es ging um Freiheit, Demokratie und Würde für alle. „Aufgrund der militärischen Entwicklungen haben die syrischen Aktivistinnen und Aktivisten ihre Hoffnungen auf ein Ende der Diktatur aufgeben müssen“, sagt Ansar Jasim, Projektleiterin für die syrische Zivilgesellschaft bei der deutsch-syrischen Menschenrechtsorganisation Adopt a Revolution.

Doch mit dem Aufstand von 2011 habe sich die syrische Gesellschaft grundlegend verändert. „Doch viele Menschen engagieren sich weiterhin für eine demokratischere Gesellschaft. Sie zeigen damit: Es gibt eine Alternative zu Diktatur und Milizenherrschaft.

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