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Kurdische Demonstranten in Beirut (Libanon).

© dpa

Abstimmung zur Unabhängigkeit: Oberstes Gericht im Irak ordnet Aussetzung von Kurden-Referendum an

Seit Jahrzehnten träumen die Kurden im Nordirak von einem eigenen Staat. In einem Referendum sollten sie darüber entscheiden.

Der Oberste Gerichtshof des Irak hat die Aussetzung des geplanten Unabhängigkeitsreferendums in der autonomen Kurdenregion im Nordirak angeordnet. Die Vorbereitung des für den 25. September geplanten Referendums solle gestoppt werden, bis das Gericht Klagen geprüft habe, wonach das Referendum verfassungswidrig sei, teilte die höchste juristische Instanz des Landes am Montag mit.

Das Parlament der Kurdenregion hatte am Freitag gegen den Willen der irakischen Zentralregierung ein Referendum für kommenden Montag angesetzt.

Das für den 25. September geplante Referendum soll ein Meilenstein sein auf dem Weg zur kurdischen Unabhängigkeit. Doch so groß der Traum der Kurden vom eigenen Staat ist, so massiv fällt auch der Widerstand gegen die Abspaltung vom Rest des Irak aus. Derzeit vergeht kein Tag, an dem die Kurden nicht gedrängt werden, das Referendum abzusetzen oder zumindest zu verschieben. Vor allem die irakische Zentralregierung in Bagdad wehrt sich gegen die Abstimmung. Sie verstoße gegen die irakische Verfassung, wetterte Ministerpräsident Haidar al-Abadi.

Die Angst vor einem Zerfall des gesamten Irak spielt dabei eine zentrale Rolle. Vizepräsident Nuri al-Maliki kündigte an, ein „zweites Israel“ nicht dulden zu wollen. Einer der wichtigsten Anführer der mächtigen schiitischen Milizen, Hadi al-Amiri, warnte sogar vor einem Bürgerkrieg zwischen irakischen Arabern und Kurden. Die Türkei, die eigentlich ein gutes Verhältnis zur Kurdenführung im Nordirak pflegt, hält das Referendum ebenfalls für einen „falschen Schritt“, der seinen Preis haben werde, wie Ankara drohte.

„provokant und destabilisierend“

Der andere große Nachbar der Kurden, der Iran, gehört zu den schärfsten Gegnern einer Abspaltung vom Irak, weil er wie die Türkei Auswirkungen auf die kurdische Minderheit im eigenen Land befürchtet. Besonders schwer wiegt die Kritik der USA, wichtigster Partner der nordirakischen Kurden, nicht zuletzt im Kampf gegen den IS. Das Weiße Haus kritisierte die Pläne der Kurden als „provokant und destabilisierend“. Washington treibt vor allem die Sorge um, der Streit um eine kurdische Unabhängigkeit könnte den Kampf gegen die IS-Dschihadisten behindern, der für die USA absolute Priorität hat. Mit diesem starken Widerstand scheint es unwahrscheinlich, dass die Kurden bald tatsächlich einen eigenen Staat ausrufen werden, selbst wenn die Zustimmung beim Referendum überwältigend ausfallen sollte.

Rechtlich bindend ist die Abstimmung ohnehin nicht. Doch Präsident Barsani, dessen Karriere sich mit 71 Jahren dem Ende zuneigt, dürfte es um etwas anderes gehen. „Er will die Präsidentschaft nicht aufgeben, ohne den Grundstein für einen unabhängigen Staat gelegt zu haben“, sagt Michael Knights vom Washington Institute for Near East Policy. „Massud Barsani braucht dieses Ereignis, damit er sein Vermächtnis sichern kann.“ Für den Irak-Experten Knights stellt sie ohnehin nicht mehr die Frage, ob die Kurden ihre Unabhängigkeit erlangen, sondern nur noch wann. Die Basis für einen eigenen Staat wurde schon vor mehr als zwei Jahrzehnten gelegt. Lange litten die Kurden im Nordirak unter der Brutalität des irakischen Diktators Saddam Hussein. Vor allem der Giftgasangriff auf die Stadt Halabdscha 1988 hat sich in das kollektive Gedächtnis der Kurden eingebrannt.

1991 errichteten die USA zum Schutz vor Saddams Truppen eine Flugverbotszone im Nordirak, eine eigenständige Kurdenregion entstand. Mittlerweile genießen die kurdischen Autonomiegebiete viele Rechte eines Staates. Sie haben etwa eine eigenständige Außenpolitik, vergeben eigene Visa und erhalten Waffenhilfe aus dem Ausland. „In vielerlei Hinsicht ist es unausweichlich, dass Irakisch-Kurdistan unabhängig wird“, sagt Michael Knights. Viele Kurden verweisen auch darauf, sie seien weltweit die größte Ethnie ohne eigenen Staat. Besonders pikant ist das Referendum nicht zuletzt deshalb, weil die Kurden auch in Gebieten abstimmen lassen wollen, die eigentlich unter Hoheit der Zentralregierung in Bagdad stehen, aber von den Kurden beansprucht werden. Dazu gehört vor allem die Provinz Kirkuk, die nach Basra die größten Ölreserven des Landes und damit enormen Reichtum besitzt.

Die kurdischen Peschmerga-Kämpfer nutzten den Kampf gegen den IS, um Kirkuk unter Kontrolle zu bringen - und wollen von dort nicht mehr abziehen, wie Präsident Barsani den Kurden versprach. Sollte das Referendum tatsächlich stattfinden, dürfte eine große Mehrheit für einen eigenen Staat stimmen. „Wir wissen, dass die Türkei, der Iran und der Irak gegen unsere Unabhängigkeit sind“, sagt die 31 Jahre alte Englisch-Lehrerin Lasma Schingali aus der Stadt Sindschar. „Es kann sein, dass sie eine Blockade verhängen und uns bekämpfen. Aber wir haben uns für die Unabhängigkeit entschieden.“ (AFP, dpa)

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