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Wirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) bei einer Abstimmung im Bundestag

© dpa/Bernd von Jutrczenka

Ethik im Bundestag: Wenn die Impfpflicht notwendig ist, kann sie keine Gewissensfrage sein

Die Koalition will die Fraktionsdisziplin für die Abstimmung aufheben. Dabei ist Ethik hier nur ein Aspekt von vielen. Der Wichtigste: Politik. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Der Umschwung in der Impfpflichtdebatte datiert auf Ende November. Ein Fukushima-Moment: Die Laufzeitverlängerung für eine Impfpolitik, die auf Freiwilligkeit gesetzt hatte, schien plötzlich unvertretbar, das Restrisiko zu hoch.

Als eine Form der Entschädigung soll der Pflicht-Piks in freier Entscheidung der Parlamentarier beschlossen werden, ohne Fraktionsdisziplin. Es handele sich ähnlich der Sterbehilfe um ein medizinethisches Thema, so der damals noch designierte Justizminister Marco Buschmann (FDP). Die Abgeordneten sollen deshalb ihrer inneren Stimme folgen, wie es Artikel 38 des Grundgesetzes anklingen lässt: „Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.“

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Dass Abgeordnete nur ihrem Gewissen unterworfen sind, heißt jedoch nicht, dass sie bei jeder Abstimmung allein ihrem Gewissen folgen sollen. Und dass sie an Aufträge und Weisungen nicht gebunden sind, heißt nicht, dass sie Ansagen der Fraktionsführung generell ablehnen sollten.

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Im Gegenteil: Die Abgeordneten sind über ihre Parteien an das Mandat gekommen. Das Volk, das sie vertreten, hat sie nicht zuletzt auch als Vertreter dieser Parteien gewählt. Die Fraktionsdisziplin bildet diese Verantwortung ab. Ohne die Geschlossenheit der Fraktionen kann es keine stabile Koalition, ohne stabile Koalition keine stabile Regierung geben.

Nun soll diese durchaus demokratische Machtmechanik ausgerechnet für die Impfpflicht ausgesetzt werden. Die Spritze sei ein Grundrechtseingriff, der förmlich unter die Haut gehe, heißt es; in dieser Breite ein Novum in der Geschichte der Republik. Deshalb solle die Ethik der Einzelnen zählen, nicht das Primat der Politik.

Die Mehrheit sollte zusammenstehen

Möglicherweise eine Fehleinschätzung. Denn eine allgemeine Impfpflicht kann verfassungsrechtlich nur gerechtfertigt werden, wenn keine milderen Mittel zur Verfügung stehen, um der Lockdown-Falle zu entkommen. Sie muss gut begründet, in gewisser Weise notwendig sein. Wenn sie aber notwendig ist, unerlässlich also, um Leben und Gesundheit im Einklang mit rechtsstaatlichen Prinzipien zu schützen – wäre es dann nicht leichtfertig, darüber nur in Form einer Gewissensabstimmung zu disponieren?

Die Impfpflicht ist gewiss eine ethische und juristische, vor allem aber eine eminent politische Frage. Wenn sich eine Mehrheit dafür entscheidet, sollte sie zusammenstehen. Erzielt man intern darüber keine Einigkeit, lässt man es wohl besser ganz.

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