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Feindbild Europa. Demonstranten vor dem Unterhaus in London berufen sich in ihrem Protest gegen die Europäische Union auf das nationale Symbolbild des John Bull.

© REUTERS

Abstimmung im britischen Parlament: Europas Haushalt auf der Kippe

Der britische Regierungschef David Cameron hat im Unterhaus bei einer Abstimmung über seine Linie bei den Verhandlungen über den EU-Haushalt eine Niederlage einstecken müssen. Nach der Schlappe deutet sich ein harter Etatpoker in Brüssel an.

Die erste Abstimmungsniederlage von Premierminister David Cameron am späten Mittwochabend im Unterhaus hat die Spannungen bei den britischen Konservativen in Sachen Europapolitik verschärft. Gleichzeitig verfügt Cameron nach der Schlappe nur noch über einen begrenzten Handlungsspielraum für den EU-Gipfel am 22. und 23. November, bei dem der nächste Haushalt der Union festgezurrt werden soll – die Verhandlungen in Brüssel dürften schwierig werden.

Mit den Stimmen von 53 rebellierenden Hinterbänklern der konservativen Tories wurde die Regierung auf Antrag der oppositionellen Labour-Partei aufgefordert, eine reale Kürzung des EU-Haushaltsrahmens für die nächste mehrjährige Finanzperiode auszuhandeln. Damit fielen die Abgeordneten Cameron in den Rücken, der sich zumindest die Option offenhalten will, die EU-Ausgaben in der nächsten Finanzperiode nicht zu kürzen, sondern auf dem bisherigen Stand einzufrieren.

„Jedes Land in Europa, auch Großbritannien, muss schwere Haushaltsentscheidungen treffen und mehr mit weniger Geld tun. Die Europäische Union kann von dieser Herausforderung nicht ausgenommen werden.“ Mit diesen Worten erklärte Labour-Chef Ed Miliband in einem Meinungsbeitrag für die „Times“, warum seine Partei die Linie des Regierungschefs durchkreuzte. Noch deutlicher wurde der Anführer der Tory-Rebellen, Mark Reckless, nach der Abstimmung: „Großbritannien ist es leid, der EU Jahr für Jahr mehr Geld zu geben.“

Premier Cameron selbst bezeichnete im Unterhaus eine EU-Haushaltskürzung als wünschenswert. Er ziele bei den Verhandlungen „im besten Fall auf eine Kürzung, im schlechtesten Fall auf ein Einfrieren des Haushalts“, erklärte er. Und Schatzkanzler George Osborne sagte am Donnerstag dem Sender BBC: „Wir gehen in die Verhandlungen mit einer härteren Position als irgendeine britische Regierung vor uns.“

Camerons Niederlage bedeutet, dass ein EU-Haushalt ohne Kürzungen vom Unterhaus kaum ratifiziert würde. Mehrere britische Think-tanks haben eine tiefgreifende Reform des EU-Haushalts vorgeschlagen, etwa durch Beendigung von Strukturhilfen für die reicheren Staaten, zu denen auch die Förderung des EU-Agrarmarktes gehören würde.

Die Euroskeptiker verbuchen das Votum als Etappensieg.

Camerons Niederlage im Unterhaus hat aber nicht nur Folgen für die Haushaltsverhandlungen in Brüssel, sondern sie untergräbt auch seine Führungsautorität weiter. Euroskeptiker können das Votum als wichtigen Etappensieg auf ihrem Weg zu einem baldigen Referendum über einen britischen EU-Austritt verbuchen.

Der EU-Haushalt wird jeweils für sieben Jahre im Voraus aufgestellt, die nächste Finanzperiode läuft von 2014 bis 2020. Die beiden größten Brocken stellen dabei die Ausgaben für die gemeinsame Agrarpolitik und die Kohäsionsfonds dar, mit denen die strukturschwachen Länder an den Standard der wirtschaftsstärkeren Länder herangeführt werden sollen.

Wie schon bei den vergangenen Verhandlungen über den gegenwärtigen EU-Haushalt im Jahr 2005 gibt es erhebliche Differenzen zwischen den sogenannten Nettozahlern wie Deutschland, die mehr Geld in die EU-Kasse einzahlen, als sie herausbekommen, und den Nettoempfängern in Süd- und Osteuropa. Ab dem kommenden Montag will EU-Ratschef Herman Van Rompuy mit Vertretern der 27 EU-Staaten in Brüssel sondieren, wo die Kompromisslinien liegen könnten. So will Van Rompuy sicherstellen, dass der geplante EU-Gipfel Ende des Monats nicht scheitert.

Dass es beim Gipfel zu einer Einigung auf den künftigen EU-Finanzrahmen kommt, ist allerdings ungewiss. Denn die Positionen liegen derzeit noch weit auseinander. Die Verhandlungen orientieren sich zunächst einmal am Vorschlag der EU-Kommission. Die Brüsseler Behörde fordert, dass die Mitgliedsstaaten für den Zeitraum von 2014 bis 2020 insgesamt eine Finanzierungszusage in Höhe von 1033 Milliarden Euro abgeben, wobei die tatsächlichen Ausgaben 988 Milliarden Euro betragen sollen – eine Steigerung von 62 Milliarden Euro. Unterstützt wird die Kommission dabei von 16 Empfängerländern, darunter Polen.

Dagegen fordern Nettozahler wie Deutschland, Finnland, die Niederlande, Frankreich, Italien, Schweden und Österreich, dass die EU in der kommenden Haushaltsperiode mindestens 100 Milliarden Euro weniger ausgibt, als die Kommission verlangt. Sie argumentieren, dass die EU nicht mehr Geld ausgeben könne, während in den Mitgliedstaaten der Rotstift regiert.

Auch Großbritannien gehört zu den Nettozahlern – und steht gleichzeitig an der Spitze der Hardliner unter den EU-Ländern, die wie etwa Schweden eine möglichst drastische Reduzierung des EU-Budgets fordern. Nach britischen Vorstellungen soll der Haushalt um rund 200 Milliarden Euro kleiner ausfallen als der Kommissionsvorschlag.

Zusätzlich erschwert werden die EU-Haushaltsverhandlungen dadurch, dass auch Frankreich mit einem Veto droht: Die Regierung in Paris will ihre Zustimmung nur dann geben, wenn das gemeinsame Agrarbudget nicht schrumpft – von dem profitiert nämlich hauptsächlich Frankreich.

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