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Wie blickt Scholz wirklich auf den Krieg in der Ukraine? Ganz sicher kann man sich nicht sein.

© Michael Kappeler/dpa

Absicht oder Unvermögen?: Deutschland macht sich mit den verzögerten Waffenlieferungen verdächtig

Bisher ist keine schwere Waffe aus Deutschland in der Ukraine angekommen. Obwohl einiges versprochen wurde. Olaf Scholz gerät in Erklärungsnot. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Benjamin Reuter

Inzwischen ist die theoretische Ausbildung von ukrainischen Soldaten an den deutschen Panzerhaubitzen in Idar-Oberstein in Rheinland-Pfalz abgeschlossen. Nun lernen sie, das Gerät im Feld zu nutzen.

Kanzler Olaf Scholz und Verteidigungsministerin Christine Lambrecht verbuchen das sicher als Erfolg, vielleicht als Meilenstein. Legt man aber die Liste der Fehlleistungen daneben, im Hinblick auf die Lieferung schwerer Waffen, ist das nicht mehr als ein Kiesel.

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Die deutsche Bilanz bei den Waffenlieferungen, man muss es so deutlich sagen, ist verheerend. Trotz anderslautender Ankündigungen aus Berlin hat Deutschland bisher keine einzige schwere Waffe an die Ukraine geliefert. Kein Panzer, kein Mehrfachraketenwerfer, kein Luftabwehrsystem, keine Haubitze hat die Grenze passiert. Lediglich Versprechen, etwas zu liefern, gingen in Richtung Kiew.

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Das Problem nun: Vor Herbst oder Winter könnte keines der versprochenen Geräte einsatzfähig sein, weder der Mehrfachraketenwerfer Mars noch das Luftabwehrsystem Iris. Von Panzern ganz zu schweigen. Die Haubitzenlieferung war für Juni angekündigt. Ob das zu halten ist, ist derzeit unklar.

Stattdessen ist aktuell an der Front im Donbass Artillerie aus den USA, aus Großbritannien, aus Frankreich und aus Norwegen im Einsatz. Auch polnische „Krab“-Haubitzen sind inzwischen in der Ukraine angekommen. Insgesamt handelt es sich um rund 150 Geräte.

Mehrfachraketenwerfer aus den USA und Großbritannien werden bald folgen. In Polen befinden sich die US-Systeme schon. Die Ausbildung wird wohl noch zwei Wochen in Anspruch nehmen. Dann sollen sie der Ukraine zur Verfügung gestellt werden.

Waffen, die der Ukraine schmerzlich fehlen

Ein ukrainischer Kommandeur, der die US-Haubitzen gegen die russischen Truppen im Donbass einsetzt, schwärmte zuletzt: „Sie funktionieren hervorragend. Sie haben die Präzision eines Scharfschützengewehrs und feuern gleichzeitig eine 155-mm-Granate ab. Ihre Reichweite ist viel größer als die unserer eigenen Waffen, und wir können ihre Stellungen, Nachschublinien und Munitionsdepots in größerer Entfernung treffen.“

Der Gouverneur der aktuell heftig umkämpften Provinz Luhansk, Serhiy Haidai, glaubt sogar, dass mit Langstreckenwaffen wie Raketenwerfern die Stadt "Sjewjerodonezk in zwei, drei Tagen aufgeräumt" werden könnte.

Ukrainische Soldaten im Donbass an einer M777-Haubitze aus den USA.
Ukrainische Soldaten im Donbass an einer M777-Haubitze aus den USA.

© REUTERS

Und tatsächlich sind die westlichen Systeme den russischen deutlich überlegen. Einmal in großer Stückzahl mit ausreichend Munition in ukrainischer Hand, da sind sich die Militärexperten einig, könnten sie den entscheidenden Unterschied in dem furchtbaren Krieg machen.

Wenn Olaf Scholz wie jetzt bei seinem Besuch in Litauen behauptet, dass „niemand in ähnlich großem Umfang“ wie Deutschland Waffen liefere, muss das für Kiew also wie Hohn klingen.

Vor allem, weil es auch generell bei der Waffenunterstützung hapert. Wie die „Welt am Sonntag“ berichtete, sind zwischen dem 30. März und dem 26. Mai überhaupt nur zwei deutsche Lieferungen in der Ukraine eingetroffen – mit Kleingerät wie Panzerabwehrminen.

Bis hierhin also die Fakten. 

Ein Glaubwürdigkeits- oder ein Kompetenzproblem?

Wenn man sich den Gründen zuwendet, wird es nebulös: Ist es Unvermögen in Berlin oder steckt gar Absicht hinter den stockenden Lieferungen? Beantworten lässt sich diese Frage aktuell nicht.

Scholz macht sich jedenfalls verdächtig, dass er gar nicht so unglücklich über die Verzögerungen ist. Immer noch, das haben Recherchen der „Zeit“ und des „Spiegel“ zuletzt gezeigt, herrscht im Kanzleramt Misstrauen gegenüber der Ukraine. Sie könne die Waffen im Überschwang auf russischem Gebiet einsetzen, fürchten einige Mitentscheider angeblich.

US-Präsident Joe Biden hat dieses Problem offen gegenüber Kiew angesprochen. Die Folge: Die USA liefern ihre Raketenwerfer nur mit mittelweit schießender Munition; immerhin noch 80 Kilometer statt der möglichen mehreren Hundert Kilometer. Das ist ein verantwortungsvoller Umgang mit der nicht ganz auszuschließenden Gefahr einer weiteren Eskalation des Krieges und hilft der Ukraine trotzdem.

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Ein anderes Argument in Berlin: Das Land habe eh keine Chance gegen die russischen Truppen. Vor allem in den ersten Kriegstagen war das in Regierungskreisen die Überzeugung, weshalb längerfristige Planungen bei den Waffen gar nicht erst angegangen wurden.

Zuletzt: Das Argument, dass Russland und damit Wladimir Putin nach diesem Krieg immer noch da sein werden und man ja irgendwie miteinander weitermachen müsse. Zu sehr dürfe man Putin deshalb nicht verärgern.

Dieser Gedanke scheint auch in Paris die Politik zu beeinflussen. Deshalb auch die in Osteuropa für Verwunderung sorgende Telefondiplomatie von Scholz und Macron mit dem Kreml-Machthaber. Man dürfe Putin nicht „demütigen“, sagte Macron kürzlich.

Macron aber kann seinen Kritikern – anders als Scholz – entgegenhalten, das mächtige Artilleriesystem Caesar in die Ukraine geschickt zu haben. Dem Kanzler muss die Haubitzen-Lieferung jetzt also pünktlich gelingen.

Denn Stand heute kommen Scholz und Teile seiner Regierung (vornehmlich das Verteidigungsministerium) bei der Sache nicht gut weg: Entweder hat Olaf Scholz ein Glaubwürdigkeits- oder ein Kompetenzproblem. Fragt sich, was schlimmer ist.

Korrektur: Die mögliche Reichweite der Himars-Raketenwerfer wurde in einer früheren Version mit 100 Kilometer angegeben. Es sind aber mehrere hundert Kilometer. Wir bitten, diesen Fehler zu entschuldigen.

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