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Sein Triumph: Matteo Salvini kommentiert die Wahl am Montag.

© Miguel Medina/AFP

Update

Abrechnung mit Europa: Salvinis Italien hat nichts Gemäßigtes mehr

Die Europawahl zeigt Italien als Land mit rechter - und durchaus radikaler - Mehrheit. Der "Fünf-Sterne"-Protest ist entzaubert. Eine Analyse.

„Fessle Salvini – und sieh zu, dass er es auch bleibt.“ Die Hoffnung jener Spottdrosseln, die noch am Sonntag eine derart verfremdete Wahlvignette der rechtsextremen „Lega“ (italienisch auch die Befehlsform von „anbinden“ oder "fesseln") online in Umlauf brachten, hat sich nicht erfüllt. Ganz im Gegenteil: Der 26. Mai 2019 hat Salvini vollends entfesselt. Mit mehr als 34 Prozent ist die Lega an diesem Sonntag landesweit die stärkste Partei geworden und hat ihre römische Regierungspartnerin, die Fünf-Sterne-Bewegung, deklassiert.

Wurde seinerzeit das „Movimento Cinque Stelle“ (M5S) stärkste Partei mit mehr als 32 Prozent, die die Lega mit ihren 17,4 Prozent als Juniorpartnerin brauchte, so ist jetzt M5S auf die 17 Prozent der Lega von seinerzeit gefallen. Das Stimmverhältnis, das beide vor einem Jahr einbrachten, hat sich komplett verkehrt.

Mit Rosenkranz und Treueschwur

Das Kräfteverhältnis in dieser seltsamen Koalition war es vom ersten Tag an. Seit Salvini am 1. Juni 2018 Italiens Innenminister und Vize-Ministerpräsident wurde, beherrschten er und seine aggressive Rhetorik aus Rassismus – der sich gegen Migranten ebenso wie gegen einheimische Randgruppen richtete –, rückschrittlicher Familien-,Geschlechterpolitik und Sicherheitspropaganda die nationale Debatte.

Die vom jungen Luigi Di Maio geführte M5S hingegen tauchte zeitgleich komplett und bis heute ab. Es räche sich jetzt, schrieb am Montagmorgen nach der Wahl der Kommentator des Magazins „Espresso“, Marco Damilano, dass die Sterne als Partei „gasförmig“ seien, ohne Organisation, ohne politische Kultur und Führung und nur durch ihre Wählerschaft existent. Wenn die nun wegbreche, werde sie völlig verdampfen. 

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Noch ist es freilich nicht so weit, schließlich wurde für Europa und nicht für Rom gewählt, und ein triumphierender Matteo Salvini präsentierte sich nach Bekanntgabe der ersten Wahlergebnisse bei allem Stolz ungewöhnlich friedlich. Während etliche Medien das Ende der Regierung des nach wie vor blassen Regierungschefs Giuseppe Conte an die Wand malten, erklärte Salvini nach einem Treffen, seine Treue zum Regierungsbündnis stehe nicht in Frage, nur müsse es jetzt mit der Umsetzung politischer Projekte flotter gehen. Beim Nachwahlauftritt hielt der Mann, der einen Dauerwahlkampf gegen die Seenotretter im Mittelmeer führte, demonstrativ einen Rosenkranz in die Kamera - Salvinis Instrumentalisierung des Katholizismus stellt nach Meinung älterer Italiener selbst die Zeiten der jahrzehntelang regierenden Christdemokratie weit in den Schatten.

Die Sozialdemokraten verlassen mit neuem Chef den Abgrund

Womöglich hatte er mit seinem Treueschwur im Blick, was in Italien praktisch noch gar nicht diskutiert wird: Dass nämlich die unter Druck geratenen „Sterne“ auch ihrerseits die Regierung platzen lassen könnten – mit wenigstens kurzfristig fatalen Folgen für Salvinis Rechte, nämlich einer neuen Koalition mit den Sozialdemokraten.

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Schon vor einem Jahr warb Di Maio intensiv um den sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) – doch deren damaliger Parteichef Matteo Renzi, wenngleich vernichtend geschlagen, zwang seinen Vorstand noch kurz vor seinem unvermeidlichem Rücktritt auf eine Linie, die stark nach Rache roch: Mit denen auf keinen Fall! Hatten doch die Sterne dem PD die Wählerinnen und Wähler in wahren Massen abspenstig gemacht.

Inzwischen ist Renzi, dessen neoliberale und auf seine Person zugeschnittene autoritäre Führung das Wahldesaster vor einem Jahr produziert hatte, Vergangenheit. Sein Nachfolger Nicola Zingaretti, der als Ministerpräsident der Hauptstadtregion Latium Ansehen erwarb, hat am Sonntag seinen ersten Test als Parteichef mehr als ordentlich bestanden.

Die 22,7 Prozent für den nun von ihm geführten PD beweisen mindestens, dass viele Bürgerinnen und Bürger Mitte-Links, das letztes Jahr unter 20 Prozent rutschte, wieder eine Chance geben wollen.

Allerdings hat auch er schon einem möglichen Zusammengehen mit M5S eine Absage erteilt und sah im Wahlergebnis bereits die Wiedergeburt eines Zweiparteiensystems, in dem sein PD links das Sagen hat. Sollte die Regierung kippen, so Zingaretti, müssten Neuwahlen folgen. Renzis Abgang war insofern die gute Tat, die er seiner Partei nach der Katastrophe schuldete, und seine Strategie ging auf: Die verhassten Sterne zu Staub zu machen.

Europas europäischste Europäer gibt es nicht mehr

Allerdings zu einem Preis, der einer Sozialdemokratie nicht gut zu Gesicht steht: Diese Europawahlen zeigen Italien, wie Damilano schreibt, als „Land, das nichts mehr Gemäßigtes hat“. Auch Zingaretti sprach von einem „erschreckenden Erfolg“ der Rechten. Nicht nur Salvini, dessen 180-Grad-Wende vom lombardischen Separatisten zum glühenden Nationalisten („Italiener zuerst“) ihm anscheinend nichts weniger als ein Glaubwürdigkeitsproblem bescherte, hat triumphiert. Auch die postfaschistischen „Fratelli d’Italia“ von Giorgia Meloni haben es am Sonntag auf mehr als sechs Prozent gebracht.

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Wäre es jetzt um Rom statt um Brüssel und Straßburg gegangen, hätte eine alles andere als moderate Rechte mit einem Anteil von über 40 Prozent genug Stimmen für eine Regierungsmehrheit erobert. Das von seinen Erfinderinnen, den Sternen, nur schüchtern beworbene neue Grundeinkommen, das Italiens wachsender Armut entgegensteuern soll, zog offensichtlich weniger als Salvinis Sündenbock-Rhetorik gegen Migranten – die M5S-Klientel blieb vor allem im abgehängten Süden den Wahllokalen fern.

Jene Kräfte, die anderswo in Europa, zum Beispiel in Deutschland, die Rechte in Schach hielten, so einige Medien-Analysen, Grüne, Umweltschützer, soziale Bewegungen, existieren in Italien praktisch nur unterhalb der Wahrnehmungsgrenze: Italiens Grüne kamen am Sonntag auf 1,7 Prozent, der linke Zusammenschluss „La Sinistra“ schaffte gerade einmal 2,3 Prozent. Wozu auch beigetragen hat, dass Salvini und sein Stab, ähnlich wie die Kameradinnen und Kameraden im übrigen Europa, die Sozialen Netze virtuoser bespielen als die Parteien links von ihnen.

Das Ergebnis lässt sich auch als Abrechnung der Italiener mit Europa lesen – wobei Europas einst europäischste Europäer dabei nicht nur Opfer von Salvinis ressentimentgeladener Rhetorik wurden. Dass die Verteilung von Macht und Geld in der Union und die der Lasten – etwa die Dublin-Regeln zur Einwanderung – ungerecht sind und zu Lasten des Südens und Italiens gehen, davon ist in Italien nicht nur die Rechte überzeugt. 

Salvini macht Druck - wo er für die Sterne am schmerzlichsten ist

Die Rückwirkungen des Europawahlsonntags auf die Regierung in Rom werden massiv und unmittelbar sein. Der Chefredakteur von Italiens größter Tageszeitung Corriere della sera, Luciano Fontana, erinnerte am Montag an das, was Salvini noch am Wahlabend auf den Tisch packte: Jetzt müsse es rasch gehen mit der Hochgeschwindigkeitsverbindung TAV, neuen Sicherheitsgesetzen und dem Einheitssteuertarif, die in Italien den englischen namen „Flat Tax“ trägt, Alles Forderungen, so Fontana, die mit den Fünf Sternen auf keinen Fall zu machen seien. Jeder könne sich selbst vorstellen, was das für die Regierung bedeute. Das stimmt nur zum Teil: Bleibt es dabei, dann wird Roms unmögliche Koalition sehr bald platzen. Bleibt allerdings die Frage, ob danach Neuwahlen kommen oder eine neue Allianz die bisherige ablöst.  

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