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Während Israel schnell impft, sucht Deutschland nach den Ursachen für die schleppende Immunisierung.

© imago images/ZUMA Wire

Abkommen über Datenaustausch: Bremst der deutsche Datenschutz das Impftempo?

Israel impft viel schneller als Deutschland. Als eine Ursache gilt der Datenschutz. Welche Rolle die Weitergabe persönlicher Informationen dabei spielt.

Die Infektionszahlen sind weiter hoch, dennoch lockert Israel jetzt seinen dritten Corona-Lockdown. Das Land hatte Ende Dezember einen Teil-Lockdown verhängt und vor einem Monat verschärft. Die Infektionsfälle bleiben zwar trotz der massiven Impfkampagne im Land auf hohem Niveau. Dennoch beeindruckt Israels Tempo beim Impfen. Mehr als zwei Millionen Menschen haben bereits zwei Dosen gegen das Virus erhalten.

Während Israel schnell impft, sucht Deutschland nach den Ursachen für die schleppende Immunisierung. Wiederholt wird dabei auch der Datenschutz zur Erklärung herangezogen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) erklärte nach dem Impfgipfel der vorigen Woche die Geschwindigkeit in Deutschland unter anderem damit, dass Länder wie Israel „in ganz anderer Weise mit Daten“ umgingen. Auch Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) erklärte im Interview mit dem Tagesspiegel, Deutschland brauche eine Diskussion darüber, „ob wir den Datenschutz in einer Pandemie weiter komplett unangetastet lassen“. Oder ob die Menschen hierzulande nicht stattdessen „gewisse Einschränkungen in Kauf nehmen müssten“.

Abkommen über Datenaustausch

Israel hat mit dem Pharmakonzern Pfizer neben dem eigentlichen Liefervertrag ein zusätzliches Abkommen zum Datenaustausch geschlossen. Das Dokument sieht vor, dass Israel Pfizer die Zahl der Impfungen pro Woche mitteilt, unterteilt nach Alter sowie „anderen demografischen Untergruppen“, die nicht näher definiert werden. Datenschützer kritisieren, dass „sonstige Unterlagen, die von beiden Parteien vernünftigerweise angefordert und von beiden Parteien einvernehmlich vereinbart wurden“, ausgetauscht werden können. „De facto bedeutet das, Pfizer kann jegliche Art von Informationen erfragen und erhalten, die es sich wünscht“, sagt die Juristin Tehilla Shwartz Altshuler Tagesspiegel Background. Führt das zu einer besseren Versorgung mit dem Impfstoff?

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Auch in Deutschland werden allerhand Daten der zu impfenden Personen gesammelt und verarbeitet. Der Paragraf 13 des Infektionsschutzgesetzes regelt, dass dem Robert Koch-Institut und dem Paul-Ehrlich-Institut bestimmte Angaben wie etwa Alter, Geschlecht, Postleitzahl, aber auch Vorerkrankungen in pseudonymisierter (verfremdeter) Form übermittelt werden. Die zu impfenden Personen werden im Vorfeld darüber aufgeklärt.

Dass diese Daten auch den Impfstoffherstellern zu Verfügung gestellt werden, sei rechtlich zumindest nicht ausgeschlossen, sagt der Landesdatenschutzbeauftragte von Rheinland-Pfalz, Dieter Kugelmann. Allerdings seien die Hürden hierfür um einiges höher als dies wohl aktuell in Israel der Fall ist. Voraussetzung sei die Zustimmung oder eine freiwillige Datenspende der Geimpften sowie die Sicherstellung datenschutzrechtlicher Garantien. Das Bundesgesundheitsministerium teilte auf Anfrage mit: „Die Hersteller bekommen keine Daten aus der Impfkampagne.“

Größere Zustimmung zu Datenweitergabe

Anders dagegen in Israel, wo eine Zustimmung zur Impfung gleichzeitig die Zustimmung zur Weitergabe der anonymisierten Impfdaten bedeutet. Die Menge der Impfstofflieferung an Israel einzig an dem Ausmaß des Datenaustausches festzumachen sei jedoch Unfug, meint Siegfried Throm, Geschäftsführer Forschung beim Verband forschender Pharmaunternehmen. Vielmehr sei die Impfstofflieferung eine Folge einer viel größeren Entscheidung gewesen: die Impfkampagne in Israel als Feldversuch durchzuführen. Throm verweist darauf, dass Pfizer/Biontech von der europäischen Zulassungsbehörde EMA nur eine bedingte Zulassung bekommen haben. „Pfizer steht in der Pflicht, bei den Zulassungsbehörden ergänzende Daten bezüglich Dauer und Wirksamkeit nachzureichen“, so Throm. Darauf ziele das geschlossene Abkommen zum Datenaustausch mit Israel letztendlich ab.

Israel habe sich dabei als Testlabor für die Erhebung gleich doppelt angeboten. Zum einen sei das Gesundheitssystem weitgehend digitalisiert, was die Datenerhebung vereinfache – anders als etwa in Deutschland, wo vorhandene Gesundheitsdaten der Krankenkassen in der Impfkampagne zum Teil ungenutzt bleiben. Zum anderen biete es mit seinen etwa neun Millionen Einwohnern eine perfekte Größe für einen Feldversuch. Es sei ein Irrglaube, dass ein etwas großzügigerer Umgang mit den Daten in Deutschland zu mehr Impfstoffkapazitäten geführt hätte.

Schutz für Daten

Hinzu kommt: In der Theorie wäre die Weitergabe von anonymisierten Daten, so wie sie zwischen Israel und Pfizer vereinbart wurde, sogar in der EU denkbar. Denn die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) schützt nur personenbezogene Daten. Das sind anonymisierte Daten, die unter keinen Umständen auf die betreffenden Personen zurückgeführt werden können, aber per Definition nicht. Auch das spricht dafür, dass die israelische Regierung mit dem „Gesamtpaket“ punkten konnte, welches sie Pfizer angeboten hat. Dazu gehören laut Medienberichten auch ein höherer Preis sowie eine Haftung für den Impfstoff. Israelische Politiker erklärten, dass der Datenaustausch eher die Folge als der Grund für die gute Impfstoffversorgung sei. Die Einordnung Israels als Feldversuch entkräftet keineswegs die Bedenken der Datenschützer. So kritisierte Tehilla Shwartz Altshuler, dass nicht ausreichend dargelegt sei, wie die Daten genau anonymisiert werden.

Den Vorwurf, Datenschutz behindere eine effektive Pandemiebekämpfung, gab es in Deutschland bereits bei der Debatte um die Corona-Warn-App – und stört den Bundesdatenschutzbeauftragten Ulrich Kelber seit Langem. „Seit Ausbruch der Pandemie gab es keine einzige konkrete Maßnahme, die uns von der Regierung vorgelegt wurde, die am Datenschutz gescheitert wäre“, sagt er. „Wir wären froh, wenn fehleranfällige und langsame analoge Prozesse durch gut gemachte digitale Lösungen ersetzt würden.“

App ohne zentrale Datenspeicherung

Im Falle der Warn-App war anfangs geplant gewesen, einen zentralen Datenspeicherungsansatz zu verfolgen. Insgesamt 300 internationale Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen unterzeichneten später einen offenen Brief, in dem sie den Ansatz kritisierten. Deutschland entwickelte kurze Zeit später die App, die ohne zentrale Datenspeicherung funktioniert. Merkel erwähnte die App nach dem Impfgipfel sogar positiv: Man müsse, „ähnlich wie bei der App“, auch im Falle der Impfkampagne möglichst viele „vertrauenswürdige Gesten“ machen, damit die Menschen auch Vertrauen in die Technologie fassen können. Auch die Kanzlerin ist sich also bewusst, dass der Datenschutz eine wichtige Funktion hat: Er kann Vertrauen in staatliche Maßnahmen erzeugen.

Südkorea schließlich, das von Datenschutzkritikern immer wieder als nicht ganz so datensparsames Vorbild bei der Pandemiebekämpfung gepriesen wird, verfügt gar nicht über eine Tracing-App. Hier kommen gleich mehrere Technologie-Modelle zum Einsatz: eine Quarantäne-App, die faktisch zur Überwachung dient, eine QR-Code-App für Restaurants und ein „KI-Pass“ für die Weitergabe persönlicher Daten. Keine dieser Technologien bietet bei einem Ausbruchsgeschehen die Eindämmungsmöglichkeiten der Corona-Warn-App.

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