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Gefeiert und geächtet: Xavier Naidoo polarisiert.

© dpa

Abkehr von Verschwörungstheorien: Wie glaubhaft ist Xavier Naidoos Entschuldigung?

Der Sänger gesteht Fehler ein und distanziert sich in einem Video von Verschwörungstheorien. Doch die Liste seiner Kontroversen ist lang.

Es ist durchaus ungewöhnlich, dass im Online-Lexikon Wikipedia der Abschnitt „Kontroversen“, den Absatz zur „Diskografie“ eines Künstlers längenmäßig weit übertrifft. Bei Xavier Naidoo, deutscher Soul- und R&B-Sänger und Gründer der erfolgreichen Band „Söhne Mannheims“, ist das bereits seit einigen Jahren der Fall.

Während der 50-Jährige mit seinen Konzerten einst deutschlandweit Arenen und Hallen füllte, machte er in den vergangenen Pandemie-Jahren vor allem durch seinen stetig wachsenden Telegram-Kanal von sich reden, auf dem er regelmäßig antisemitische Verschwörungsideologien und Reichsbürgerthesen verbreitete.

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Damit dürfte nun erstmal Schluss sein, zumindest wenn man Xavier Naidoos eigenen Worten glaubt. Am späten Dienstagabend postet der Künstler zeitgleich auf all seinen Social-Media-Kanälen ein etwa dreiminütiges Video, in dem er sich für „viele Fehler“ und „verstörende Aussagen“ in der Vergangenheit entschuldigt.

„Ich habe erkannt, auf welchen Irrwegen ich mich teilweise befunden habe und dass ich in den letzten Jahren viele Fehler gemacht habe”, erklärt Naidoo, der während der Aufzeichnung auf einem braunen Ledersofa sitzt. Als Grund für den plötzlichen Sinneswandel führt der Mannheimer vor allem den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine an.

Leid für die Familie seiner ukrainischstämmigen Frau

„Die brutale russische Invasion in die Ukraine“ und das damit zusammenhängende Leid für die Familie seiner ukrainischstämmigen Frau, hätten ihn wachgerüttelt, erklärt der Sänger gleich zu Beginn des Statements. Infolgedessen hätte er sich und seine eigenen Position „kritisch hinterfragt“ und gibt zu, dass er sich von Verschwörungserzählungen habe blenden lassen.

Doch wie plausibel ist der vermeintliche Ausstieg aus den verschwörungsideologischen Denkmustern wirklich? Seit Beginn der Corona-Pandemie gilt Naidoo als Posterboy der Pandemieleugner- Szene. Seinem Kanal auf dem Messengerdienst Telegram folgen zehntausende Menschen.

Follower Naidoos werden nicht nur regelmäßig mit Falschinformationen über das Coronavirus und daraus folgender Wut über entsprechende politische Eindämmungsmaßnahmen bedient, sondern auch mit antisemitischen Aussagen. In einem von Naidoo verbreiteten Video vom vergangenen Sommer wird etwa behauptet, mit Zyklon B ließen sich keine Menschen vergasen. Der Holocaust sei demnach eine „gelungene historische Fiktion“, oder kurz: ein „Märchen“.

Naidoos Aussage, dass „die Juden“ sich angeblich die Welt „Untertan gemacht“ hätten, passt dazu.

Seit vielen Jahren im verschwörungsideologischen Milieu

Zwar ist wie bei vielen anderen Größen der Szene auch bei dem Sänger eine Radikalisierung im Verlauf der vergangenen zwei Corona-Jahre auszumachen, doch Naidoo fiel schon sehr viel früher durch irritierende Statements auf. Bereits 1998 zweifelte Naidoo die Rechtmäßigkeit des Ergebnisses der damaligen Bundestagswahl an und sprach von einem „Wahlbetrug“.

2011 folgten Äußerungen des Musikers, die schon damals der klassischen Reichsbürger-Ideologie eines angeblich immer noch besetzten Deutschlands folgten. Die USA seien noch immer eine Besatzungsmacht, sagte Naidoo damals in einem Fernsehinterview. Drei Jahre später trat er auf einer Reichsbürger-Kundgebung vor dem Reichstag auf.

Gefeiert und geächtet. Xavier Naidoo polarisiert.
Gefeiert und geächtet. Xavier Naidoo polarisiert.

© imago/GEPA pictures

Die frühen Äußerungen Naidoos machen deutlich, dass er sich schon seit vielen Jahren im verschwörungsideologischen Milieu bewegt. Auch deswegen sehen Experten wie Josef Holnburger das Entschuldigungs-Video Naidoos kritisch. Holnburger ist Geschäftsführer des CeMAS-Institutes, das sich auf Verschwörungstheorien und Rechtsextremismus spezialisiert hat.

Auf Telegram-Kanälen wird der Sänger beschimpt

Er bemängelt via Twitter, dass der Künstler in seinem Statement nicht klar benennt, „von wem er sich lossagt“. Darüber hinaus spräche Naidoo davon, dass er sich „zum Teil instrumentalisieren“ habe lassen. Dabei sei es der Musiker gewesen, der wiederum andere instrumentalisiert habe, schließlich habe Naidoo selbst die antisemitischen „Protokolle der Weisen von Zion“ auf seinem Kanal hochgeladen, schreibt der CeMAS-Geschäftsführer.

Der Rechtsextremismus-Experte David Begrich schließt sich Holnburgers Analyse an. Auf Twitter schreibt der Soziologe und Buchautor, dass Naidoo nicht nur „Konsument der Ideologie“, sondern eben auch „aktiver Produzent“ seiner Thesen gewesen sei. Sich selbst als passiv darzustellen sei eine „typische Argumentationsfigur“ von Aussteigern und Aussteigerinnen, erklärt Begrich.

Großes Kopfschütteln verursacht das vermeintliche Ausstiegs-Video des Mannheimers derweil in einem Milieu, das vor Kurzem noch sein eigenes war. Auf verschwörungsideologischen Telegram-Kanälen wird der Sänger von vielen als „Verräter“ beschimpft, andere User vermuten, dass Naidoo von „dunklen Mächten“ zu dem Statement gezwungen wurde.

Plant er wieder aufzutreten?

In einer Chat-Gruppe schreibt eine Nutzerin namens „Claudia S.“: „Der hat plötzlich ganz andere Augenbrauen, schon bemerkt. Schlechtes Double.“ Eine der Organisatorinnen von Berliner Querdenken-Aufmärsche fragt sich, ob Naidoo „auf Drogen“ sei: „Wie kann jemand der Durchblick hatte aufeinmal so tun als wäre dem nicht mehr so?“.

Anders reagiert der rechtsradikale Video-Streamer „Aktivist Mann“, der in der Vergangenheit gemeinsam mit Xavier Naidoo Videos aufnahm: „Er ist sicher nach wie vor Wahrheitskämpfer und hat seine Gründe“, bilanziert er.

Unklar bleibt bisher, inwiefern Naidoo plant, in Zukunft wieder öffentlich aufzutreten und ob Agenturen, Veranstaltern und ehemaligen Fans die dreiminütige Video-Entschuldigung genügt.

Der Antisemitismusbeauftragte der jüdischen Gemeinde Berlin, Sigmount Königsberg, schreibt dazu: „Kann man vergessen, kann man ihm verzeihen, dass er die antisemitische Fälschung ,Protokolle der Weisen von Zion‘ ausdrücklich empfohlen hat? Ich bestimmt nicht.“ Königsberg ist einer von vielen, die Naidoo in der Vergangenheit wegen Volksverhetzung angezeigt hatten.

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