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US-Präsident Donald Trump will im November wiedergewählt werden.

© Nicholas Kamm/AFP

Abgestumpft nach drei Jahren Trump: Eigentlich müssten täglich Hunderttausende demonstrieren

Sein Rassismus, seine Lügen, seine Hetze: An all das Empörende von Donald Trump hat sich Amerika gewöhnt. Dabei müsste es geschockt sein. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Juliane Schäuble

Der dritte Montag im Januar ist in den USA traditionell ein Feiertag. An diesem Tag wird an einen Mann erinnert, der mit seinen Worten versucht hat, Amerika zu einem besseren Land zu machen, zu einem einigeren.

Der schwarze Bürgerrechtler Martin Luther King rief in Zeiten der Rassentrennung dazu auf, von Hass Abstand zu nehmen und sich jeden Tag aufs Neue für das Richtige zu entscheiden – und gegen das, was nur einem selbst nutzt.

Denn, und das ist vielleicht das Wichtigste an seiner Botschaft: Es gibt richtig und falsch, und es ist gar nicht so schwer, den Unterschied zu erkennen. Martin Luther King verkörpert diese Hoffnung wie wenige andere.

In diesem Jahr ist der dritte Montag der 20. Januar und damit der Tag, an dem Donald Trump 2017 als Präsident der Vereinigten Staaten vereidigt wurde. In seiner Antrittsrede auf den Stufen des Kapitols in Washington hat er versprochen, dem Volk die Macht, den „Vergessenen“ ihre Stimme zurückzugeben.

Er hat dem Establishment den Kampf angesagt und angekündigt, Amerika wieder aufzubauen, es im Umgang mit anderen Nationen fortan an erste Stelle zu stellen.

Trump hat gleich zu Beginn gesagt, was er will

Drei Jahre später muss man festhalten, dass er von dieser Doktrin rhetorisch nicht abgerückt ist. Und man muss sich auch bewusst machen, dass vom ersten Tag an klar war, was dieser Präsident will und wie er sich verhalten würde.

[Drei Jahre Trump: Was hat sich für die Amerika verändert? Wie sind Trumps Chancen auf eine Wiederwahl? Antworten auf diese Fragen auf der Grundlage von 15 interaktiven Grafiken finden Sie hier.]

Trump hat aber auch versprochen, sein Volk zu einen. Dieses Versprechen hat er nicht eingehalten. Im Gegenteil: Mit seiner Rhetorik spaltet er das Land ganz bewusst. Dass ihn vier von fünf Afroamerikanern einer neuen Umfrage zufolge für einen Rassisten halten, scheint ihn nicht weiter zu stören.

Wenn am Montag im Weißen Haus die Sektkorken knallen, versammeln sich keine 200 Kilometer entfernt Tausende, um gegen die schärferen Waffengesetze von Virginia zu demonstrieren, die die neue demokratische Mehrheit im Parlament eingeführt hat. Die wichtigste Änderung: Das Tragen von Schusswaffen im Parlamentsgebäude ist künftig verboten.

In Richmond demonstrieren Rechtsextremisten

Was in anderen Ländern eine Selbstverständlichkeit ist, treibt in den USA viele auf die Barrikaden. Bei dem Protest vor dem Kapitol in Richmond werden aber auch Nationalisten, Rechtsextremisten und bewaffnete Bürgerwehren erwartet.

Der Gouverneur des Bundesstaates ist so besorgt, dass er vorsorglich den Notstand ausgerufen hat, um zu verhindern, dass das Parlament gestürmt wird. Wie solch ein wütender Protestmarsch ausgehen kann, haben die Ausschreitungen von Charlottesville (ebenfalls Virginia) vor drei Jahren gezeigt, bei denen eine Frau ums Leben kam, als ein Neonazi sein Auto in eine Gegendemonstration lenkte.

Und was macht Trump, der sich damals anhören musste, mit seiner Rhetorik den Boden für diesen Hass bereitet zu haben? Er heizt die Stimmung weiter an, in dem er twittert, das verfassungsmäßige Recht, eine Waffe zu tragen, sei „under attack“.

Lügen und Grenzüberschreitungen

Drei Jahre Trump hätten die Amerikaner abstumpfen lassen, schreibt die „Washington Post“ in einem Meinungsbeitrag zum Jahrestag. „Wir haben unsere Fähigkeit verloren, geschockt zu sein“, lautet die Überschrift. Willkommen in Trump-Land.

Fremden- und frauenfeindliche Äußerungen, Lügen und andere Grenzüberschreitungen sind Alltag geworden in der Amtszeit dieses Präsidenten. Die Unabhängigkeit der Justiz wird in Frage gestellt, die Kontrolle der Regierung durch den Kongress behindert, kritische Medien werden attackiert. Aber demonstrieren dagegen jeden Tag Hunderttausende? Nein.

Am Dienstag beginnt der Impeachment-Prozess

Dabei ist es genau diese Fähigkeit, sich noch schockieren zu lassen, die dringend benötigt wird. Menschen gewöhnen sich an alles, sie stumpfen ab und arrangieren sich, notfalls auch mit Diktaturen. Doch Martin Luther King hat klar gemacht: Es gibt richtig und falsch, man kann den Unterschied erkennen und entsprechend handeln.

Wenn der Feiertag vorbei ist, beginnt im Kongress der Impeachment-Prozess gegen Trump. Die Senatoren müssen entscheiden, ob der Präsident in der Ukraine-Affäre sein Amt missbraucht hat und es deswegen verlieren sollte.

Auch wenn es nicht danach aussieht: Da dieser Prozess öffentlich stattfindet, können die Amerikaner sich ein Urteil über richtig und falsch bilden. Und am Ende haben sie das letzte Wort: Sie entscheiden im November, wer im nächsten Januar seine Antrittsrede auf den Stufen des Kapitols halten darf.

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