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70 Jahre Volksrepublik China: Feiern am Tor des Himmlischen Friedens

© Reuters/China Daily

70 Jahre Volksrepublik: Es gibt keinen Grund, sich vor China zu verstecken

Wer hat auf Dauer das erfolgreichere Gesellschaftssystem: Der Westen oder China? Europa sollte die Herausforderung selbstbewusst annehmen. Ein Kommentar.

Gibt es bald nur noch eine Weltmacht? Und werden wir uns wohl oder übel an Chinas Einfluss auf unser Leben gewöhnen müssen – so wie sich die Welt nach dem Zweiten Weltkrieg an die Dominanz der USA samt ihrer Kultur und Werteordnung gewöhnt hat? Das kann so kommen. Es muss aber nicht so kommen.

Es hängt davon ab, ob die EU und ihre größte Wirtschaftsmacht, Deutschland, Chinas Aufstieg zur Nummer eins wie eine Naturgewalt betrachten und als unvermeidlich hinnehmen. Oder ob sie dieser Herausforderung mit verstärktem Wettbewerbsgeist begegnen: Die Zukunft ist offen. Und wer auf Dauer die besseren Ideen und das erfolgreichere Gesellschaftssystem hat, wollen wir doch erst mal sehen.

Am 70. Jahrestag ihres Bestehens kann die Volksrepublik China bemerkenswerte Erfolge vorweisen. Mit einer dynamischen Wachstumsstrategie hat sie Millionen Menschen aus bitterer Armut geholt. Allein in den vergangenen zehn Jahren hat China sein Bruttoinlandsprodukt (BIP) nahezu verdreifacht und hat mit den USA und der EU gleichgezogen.

Es ist die führende Handelsnation geworden. In Zukunftstechnologien wie der Elektromobilität und den G5-Netzen hat China die westlichen Industrieländer überholt. Mit 1,4 Milliarden Menschen ist es die Ökonomie mit den meisten Arbeitskräften und den meisten Konsumenten. Das wird den Aufstieg weiter antreiben.

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In prestigeträchtigen Disziplinen wie Sport, Architektur und Städtebau erfüllt die Volksrepublik Supermacht-Ambitionen. In den Medaillenspiegeln der Olympischen Spiele steht sie an zweiter Stelle hinter den USA oder ganz oben wie 2008 in Peking. Die Skylines von Schanghai, Shenzhen und Guangzhou müssen den Vergleich mit New York, Dubai, Seoul nicht scheuen.

Aus Sicht seiner Bürger ist China dabei, den Platz wieder einzunehmen, den es bis in die 1830er Jahre innehatte: die dominierende Macht der Erde. Das ist für Chinesen das Normale. Die anderthalb Jahrhunderte innerer Schwäche, die mit den Opiumkriegen begannen und erst mit dem Sieg der KP im Bürgerkrieg endeten, sind die Ausnahme.

Die deutsche Chinapolitik hinkt hinterher

Das führt zu den Schwächen deutscher und europäischer Chinapolitik. Sie hinkt hinterher und lässt sich zu viel Zeit bei der Anpassung an eine sich rasch verändernde Wirklichkeit. China ist kein Entwicklungsland mehr. Warum ist es immer noch drittgrößter Empfänger deutscher Fördermittel? China ist kein Schwellenland mehr, sondern eine Wirtschaftsmacht auf Augenhöhe mit den USA und der EU.

Warum darf es seine Emissionen gefährlich steigern und die Bemühungen anderer Länder, die reduzieren, zunichtemachen? China ist heute der größte Verschmutzer und plant, seinen Ausstoß die nächsten zehn Jahre weiter zu erhöhen. Warum gibt es nicht mehr Druck auf Peking, den Bau und den Export von Kohlekraftwerken einzustellen? In der Handelspolitik verdient China keinen Rabatt mehr. Es muss ausländischen Firmen den gleichen Marktzugang geben, den es mit seinen Waren im Ausland beansprucht.

China ist Weltmacht und will es sein. So sollte der Westen es auch behandeln. Dazu gehört einerseits ein Ende westlicher Überheblichkeit nach dem Muster, Chinesen könnten gut kopieren, aber nicht selbst erfinden. Und andererseits das energische Drängen auf fairen Wettbewerb. Donald Trump hat damit begonnen, wie üblich im falschen Ton. In der Sache gibt Emmanuel Macron ihm aber recht. Auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) ist mit seiner neuen Strategie auf dem richtigen Weg: China ist systemischer Konkurrent.

Die lange gehegte Hoffnung, China werde sich mit der Zeit öffnen und dem Westen immer ähnlicher, hat getrogen. Man sieht es in Hongkong. Unter Xi Jinping wird das Land diktatorischer. Nun geht es um den Wettbewerb der Systeme. Europa darf die Herausforderung annehmen: selbstbewusst, aber ohne Überlegenheitsdünkel. Und im Selbstvertrauen, dass die offene Gesellschaft stärker ist. Freilich nur, wenn sie sich anstrengt.

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