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70 Jahre Volksrepublik China: Der Grundsatz lautet Machterhalt

Am 1. Oktober 1949 rief Mao die Volksrepublik China aus. Seitdem herrscht die Kommunistische Partei. Was hat sie aus China gemacht?

Es war gar keine besondere Rede, die Mao Zedong am 1. Oktober 1949 auf dem Tor des Himmlischen Friedens in Peking hielt. Er gab einige Ernennungen bekannt und stockte öfters. Die wichtigsten Sätze hatte er schon wenige Tage zuvor auf der Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes gesagt: „Das chinesische Volk ist aufgestanden“ und „Unser Staatssystem, die demokratische Diktatur des Volkes, ist eine mächtige Waffe (...)“. 

Immerhin aber verkündete Mao Zedong an jenem Tag vor hunderttausend Menschen offiziell die Gründung der Volksrepublik China. Weshalb am Dienstag der amtierende Staats- und Parteichef Xi Jinping, der sich wieder gerne auf Mao Zedong beruft, nun ebenfalls auf dem Tiananmenplatz das 70-jährige Bestehen der Volksrepublik China feiern kann.

Was ist in den 70 Jahren passiert?
Sehr, sehr viel – und noch mehr, das noch gar nicht umfassend untersucht ist, weil eine Aufarbeitung nicht im Interesse der Kommunistischen Partei liegt. So wird der 1976 gestorbene Staatsgründer Mao Zedong in China immer noch als Befreier vom japanischen und europäischen Kolonialismus verehrt, und das, obwohl seine Herrschaft viele Millionen Chinesen das Leben gekostet hat. 45 Millionen oder vielleicht noch mehr dürften durch den so genannten „Großen Sprung nach vorn“ (1958-1961) umgekommen sein. Die Kampagne gilt als größte von Menschen selbst verursachte Hungersnot der Geschichte.

Anschließend gewannen Reformer in der chinesischen KP an Einfluss, doch Mao Zedong schlug mit der Kulturrevolution (1966-1976) zurück. Diesmal kamen durch den Terror der Roten Garden im ganzen Land erneut mindestens 1,5 Millionen Chinesen ums Leben, 100 Millionen waren indirekt betroffen. Nach Maos Tod 1976 legte Deng Xiaoping, der nie offiziell Staatschef Chinas war, faktisch aber schon, mit seiner Reform- und Öffnungspolitik die Grundlage für das heutige China. Viele schöpften damals die Hoffnung, dass auf die wirtschaftlichen auch politische Reformen folgen könnten. Doch die Gewehre und Panzer der Volksbefreiungsarmee zerstörten am 4. Juni 1989 blutig die Demokratisierungsträume der Studenten.

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Nach Deng Xiaopings Reise in den Süden 1992 in die Wirtschaftsmetropolen Shanghai und Shenzhen begann Chinas bis heute anhaltender Aufstieg zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt. Und gleichzeitig legitimiert die Kommunistische Partei seitdem ihren Herrschaftsanspruch mit dem ungeschriebenen Gesellschaftsvertrag: Wir sorgen dafür, dass es allen wirtschaftlich besser geht, ihr haltet euch dafür aus der Politik heraus. Xi Jinping führt diesen Pakt fort, ergänzt durch seinen „chinesischen Traum“, der auch ein Versprechen nationaler Stärke ist.

Wie konnte sich die Kommunistische Partei so lange an der Macht halten?
Durch eine verblüffende ideologische Flexibilität, die eigentlich nur einen Grundsatz kennt: Den eigenen Machterhalt. Schon Deng Xiaoping begründete seine Wirtschaftsreformen, die sich auch bei der Marktwirtschaft bedienten, mit dem Satz: „Es ist egal, ob die Katze schwarz oder weiß ist – Hauptsache, sie fängt Mäuse.“ Die Kritik an Maos politischen Verfehlungen hält sich aufgrund der parteipolitischen Kontinuität in engen Grenzen.

Das offizielle Parteiurteil aus den Achtzigerjahren lautet: Mao Zedong lag zu 30 Prozent falsch und zu 70 Prozent richtig. Im Jahr 2002 gab die Partei den alten Klassenkampfauftrag faktisch auf und warf Elemente wie die „Abschaffung von Privateigentum“ oder die „Bekämpfung der Kapitalistenklasse“ über Bord. Längst folgt China marktwirtschaftlich-kapitalistischen Methoden, lehnt aber die dahinter stehenden westlichen Wertvorstellungen ab.

„Sozialismus chinesischer Prägung“ nennt sich das chinesische Modell, dessen langfristiges Ziel die Verwirklichung des Kommunismus bleibt. Xi Jinping setzt wieder verstärkt auf Ideologie, seine Theorien sind in China Pflichtlektüre nicht nur für Parteimitglieder und Staatsbedienstete.

Zugleich geht der autoritäre Staat gegen jede Art von Abweichung gnadenlos vor. Ethnische Minderheiten, Glaubensgemeinschaften oder Dissidenten werden überwacht, verfolgt und eingesperrt. Der Etat für Innere Sicherheit übersteigt inzwischen sogar die Ausgaben für das Militär.

Wo steht China heute?
Heute kommt an China keiner mehr vorbei. Es ist nur noch eine Frage von wenigen Jahren, bis China die USA als größte Volkswirtschaft überholt haben wird. In manchen Zukunftsbereichen wie Elektromobilität oder Künstlicher Intelligenz sind chinesische Firmen bereits führend. Der wirtschaftliche Erfolg bringt auch eine gewaltige militärische Stärke mit sich, das Land gibt in diesem Jahr 250 Milliarden US-Dollar für Waffen und Modernisierung des Militärs aus. Bis 2049 will China eine militärische Supermacht sein – auf Augenhöhe mit den USA.

Überhaupt entwickelt sich das autoritäre China immer deutlicher zum politischen Gegenspieler der Vereinigten Staaten. Der aktuelle Handelskrieg ist nur ein Ausdruck der gewachsenen Konkurrenz. Das Land versucht, unter anderem durch das Milliarden-Infrastrukturprojekt „Neue Seidenstraße“ seinen globalen Einfluss auszuweiten. In der Folge tritt die chinesische Regierung entsprechend selbstbewusst auf, erhebt Anspruch auf 90 Prozent des Südchinesischen Meeres und droht dem von Peking als abtrünnige Provinz eingestuften Taiwan mit einer gewaltsamen Wiedervereinigung.

Aktuell sieht sich die chinesische Regierung allerdings größeren Herausforderungen gegenüber. Neben dem Handelskrieg mit den USA trübt aus ihrer Sicht auch die Demokratie-Bewegung in Hongkong die Feierlichkeiten. Es ist der Kommunistischen Partei bisher nicht gelungen, die Protestbewegung einzudämmen. Im Gegenteil. Die Schulden von Staat, Unternehmen und privaten Haushalten steigen, trotzdem wächst die Wirtschaft langsamer. Auch deswegen rückte Xi Jinping zuletzt den ideologischen „Kampf“ in den Mittelpunkt.

Wird es auch eine 100-Jahr-Feier der Volksrepublik geben?

Zumindest die 72 Jahre des Bestehens der Sowjetunion sind jetzt bereits in Reichweite. Und im Gegensatz zu dieser hat die Herrschaft der KP in China die weltweiten Revolutionen im Jahr 1989 überstanden. Kristin Shi-Kupfer, Politik-Expertin vom China-Forschungsinstitut Merics, sagt: „Bislang ist keine andere starke politische Kraft innerhalb Chinas in Sicht, so dass die Kommunistische Partei selbst nach einer tiefen Krise, wenn auch mit einer anderen Programmatik und Gestalt, wahrscheinlich auch in 30 Jahren noch tonangebend sein wird.“

Minxin Pei, Professor für Regierungslehre vom Claremont McKenna College in Kalifornien, schreibt dagegen in der „South China Morning Post“: „Mit der neuen maoistischen Wende der Partei – die eine strenge ideologische Konformität, rigide organisatorische Disziplin und eine auf Angst basierende Herrschaft eines starken Führers beinhaltet – steigen auch die Risiken für katastrophale politische Fehler.“

Und auch der Hongkonger Demokratie-Aktivist Joshua Wong hält ein überraschendes Ende der Kommunistischen Partei Chinas und damit der Volksrepublik für möglich. „1989 dachte man auch, dass die Berliner Mauer ewig hält“, sagte Joshua Wong vor kurzem in Berlin, „und dann ist sie plötzlich gefallen.“

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