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50 Jahre Studentenrevolte 1968: Nur Dutschke hielt an Deutschlands Einheit fest

Die westdeutsche Linke interessierte sich wenig für die deutsche Teilung und den Einmarsch in Prag.

Gespräche zwischen der Bundesrepublik und der DDR gab es in der Spätzeit der deutschen Teilung auf unterschiedlichsten Ebenen; sie waren Teil der Entspannungspolitik. Vor deren Anstoß durch die Regierung Brandt/Scheel waren solche Gespräche die Ausnahme. Das gilt für die gleich zwei Kongresse, die der Sozialistische Deutsche Studentenbund SDS und die DDR-offizielle Jugendorganisation FDJ abwechselnd in beiden Staaten abhielten.

Die erste Zusammenkunft stand unter dem Thema „Konzeptionen, Wege und Möglichkeiten einer Deutschlandpolitik“, was auf Wunsch der FDJ formuliert worden war. Der SDS-Bundesvorsitzende Reimut Reiche erklärte beim ersten Treffen im Dezember 1966, es finde „zu einem Zeitpunkt“ statt, „da uns im SDS die ,einfache Deutschlandpolitik' als Wiedervereinigungspolitik nicht mehr bewegt“. Der SDS und mit ihm die westdeutsche Linke hatte sich inzwischen von der DDR als vermeintlich sozialistischer Alternative abgewandt.

Die Unterstützung des Vietcong wurde zum gemeinsamen Nenner der Linken

In den Vordergrund trat ein sich revolutionär verstehender Internationalismus und der Vietnamkrieg. Schon im Algerienkonflikt, der sich zum Bürgerkrieg in Frankreich auszuweiten drohte, stand das antikoloniale Motiv im Vordergrund. Rudi Dutschke, der charismatische SDS-Führer, konnte darauf aufbauen, als er Militanz im Kampf für die Unterstützung der antikolonialen Kräfte forderte.

Die Unterstützung des Vietcong gegen die als „imperialistisch“ gebrandmarkten USA wurde zum gemeinsamen Nenner der westdeutschen Linken, und zwar ausdrücklich unter Verweis auf die Wiederherstellung der Einheit Vietnams auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts der Völker. Dass damit eine Konfliktlinie mit der FDJ und der DDR aufbrach und es zur Ablehnung der sowjetischen Politik kam, versteht sich von selbst.

Die internationalistische Perspektive war dominierend geworden. Die „nationale Frage“ spielte in der Linken keine Rolle mehr; dies umso weniger, als die Bundesrepublik in den Jahren ab 1965 vom Aufkommen der ultrarechten – viele meinten neonazistischen – NPD erschüttert wurde. Die NPD bildete in den Augen der Linken das Pendant zur – damals als Ausdruck einer Krise des Kapitalismus angesehenen – Formierung der Großen Koalition und ihrer Verabschiedung der Notstandsgesetze.

Die dadurch angefachte Diskussion über die NS-Vergangenheit Deutschlands und insbesondere die augenscheinliche Unfähigkeit der Bundesrepublik, diese Geschichte aufzuarbeiten, ließen die deutsche Teilung in einem neuen Licht erscheinen.

Deutschlands historische Schuld rückte in den Vordergrund

Nicht mehr die Politik der Siegermächte mit der Blockteilung Europas stand im Vordergrund, sondern die historische Schuld Deutschlands, die die Teilung rechtfertigte und auf Dauer stellte. Tilman Fichter, der später zurück zur SPD fand, berichtet von einem damaligen Einwurf Egon Bahrs, des Mit-Architekten der Entspannungspolitik Willy Brandts. Bahr hat einmal rückblickend auf die Stalin-Note zur deutschen Einheit von 1952 geäußert – erzählt Fichter –, „wir konnten das damals nicht verhandeln. Wir haben das Recht auf Selbstbestimmung nicht mehr, der Judenmord steht dazwischen.“

Bezeichnenderweise kehrte sich die Linke vom Problem der deutschen Teilung, ja überhaupt von jeder ernsthaften Diskussion mit nationalen Fragen zu einem Zeitpunkt ab, als es im Osten Europas erstmals seit Mitte der fünfziger Jahre wieder zu national grundierten Protesten gegen die sowjetische Dominanz kam. Sie erreichten ihre historische Bedeutung mit der Niederschlagung des „Prager Frühlings“ im Spätsommer 1968. Für die westdeutsche – und namentlich die West-Berliner – Linke spielten die als „bürgerlich“ abgetanen Bewegungen vor allem in der CSSR keine Rolle.

Ihr Einsatz galt dem „Kampf gegen den US-Imperialismus“, wobei unter dem Einfluss des Maoismus und des sich verschärfenden Konflikts der Volksrepublik China mit der Sowjetunion zunehmend eine „antistalinistische“ Richtung gegen die Sowjet-Orthodoxie erstarkte. Interessanterweise waren es gerade die westlichen Maoisten, die nach dem Vorbild Chinas das Selbstbestimmungsrecht der Völker betonten und insbesondere gegen die Blockdisziplin à la „Breschnew-Doktrin“ ins Feld führten.

Die westdeutsche Linke bejahte die DDR und ihren Sozialismus

Der Vietnam-Krieg ging zu Ende, doch dass Vietnam nun – und durch eigene Anstrengung – wiedervereinigt war, ging an der Linken gedanklich vorbei. Im Schatten der regierungsoffiziellen Entspannungspolitik hatte sich die Linke mit der deutschen Teilung eingerichtet und bejahte die DDR und ihren „realen Sozialismus“, ohne sich für die Zustände im anderen deutschen Staat zu interessieren. Rudi Dutschke, der Ex-DDR-Bürger, blieb eine Ausnahme. „Für Dutschke“ – schreiben Fichter und Lönnendonker in ihrem Buch „Dutschkes Deutschland“ von 2011 – „war der Kern der nationalen Frage bereits in den 1960er Jahren das Recht der Völker auf Selbstbestimmung.

Sein Beharren auf diesem Recht war durch die historischen Erfahrungen am 17. Juni 1953, 1956 in Ungarn und 1968 in Prag gestärkt worden (…).“ Und, besonders wichtig im Hinblick auf die heutzutage übliche Moralisierung der Politik: „Er lehnte deshalb einen Verzicht der Deutschen auf dieses Recht aufgrund ihrer jüngsten Geschichte ab.“

Mit Dutschkes Tod im dänischen Exil Ende 1979 verstummte die wichtigste, am Ende einzige Stimme eines linken Verständnisses der nationalen Frage. Als sich wenig später in der Bundesrepublik aus den Resten der desillusionierten respektive mit dem „Marsch durch die Institutionen“ beschäftigten Linken sowie der aufkommenden Ökologie-Bewegung die Grünen als Partei konstituierten, folgten sie der von jeglicher nationalen Fragestellung freien Politik des Machterwerbs des Ex-Spontis ohne theoretisches Fundament, Joschka Fischer.

Die vollständige Ratlosigkeit links von der SPD angesichts des Zerfalls der DDR Ende 1989 offenbarte schonungslos die gedankliche Leere, die die offizielle – und objektiv auf die Stabilisierung der bestehenden Verhältnisse zielenden – Entspannungspolitik bewirkt hatte. Die bekannte Äußerung der SPD-Linken und Frankfurter Kulturdezernentin Linda Reisch, „mir und meinesgleichen war Mailand näher als Leipzig“, spricht noch heute Bände.

Man mag darin einen späten Reflex auf den Internationalismus der Linken sehen. Dass sich die westdeutsche Linke nicht für die Verhältnisse in der DDR im Jahrzehnt ihres endgültigen Niedergangs interessiert hat, hat mit beigetragen – diese These sei gewagt – zum widerstandslosen Erstarken rechter Gesinnungen im Osten des vereinten Deutschland.

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