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Studentinnen 1968 im Henry-Ford-Bau der FU Berlin

© dpa/Chris Hoffmann

50 Jahre Studentenrevolte 1968: Nichts als die reine Lehre

Ist das Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin eine linke Kaderschmiede? In den Achtzigern einmal – heute hat sich das gegeben.

Als wäre die Zeit stehen geblieben - so denkt man beim Blick auf die Fassade des „Otto-Suhr-Instituts für Politikwissenschaft“ in Berlin-Dahlem. Neben den metallenen Lettern steht in schwarzer Schrift: „Johannes-Agnoli-Institut für Kritik der Politik“.

Ob der Name den Studenten von heute noch etwas sagt? Agnoli war eine der Geistesgrößen der Studentenbewegung von 1968 - und er war einer, der Lehre und Agitation zur radikalen „Kritik“ der Verhältnisse verband, zur Freude mancher Studenten, zum Grausen konservativerer Hochschullehrer. Mit einem Wort, ein Motor der Bewegung, allerdings auch einer, der das Otto-Suhr-Institut von einer Hochschule der Politik zur Kaderschmiede machen wollte.

Am „OSI“ lehrte er von 1972 bis 1990 als Professor - und war so etwas wie Ursache und Wirkung der 68er Bewegung zugleich. Denn Johannes Agnoli, geboren 1925 und vom Alter her fast ein Vater der bewegten Studenten, war in jungen Jahren stramm rechts gewesen, Anhänger der italienischen Faschisten, Freiwilliger bei der Waffen-SS. Später wurde er vom Rechtsextremen zum Linksradikalen.

Hier forschte ein Arzt namens Josef Mengele

Ein seltsamer Ort, dieses Institut mit den zwei Standorten an der Dahlemer Ihnestraße: Dem Neubau mit den Namen Suhr und Agnoli gegenüber liegt ein Altbau mit den Dienstzimmern diverser Professoren. Noch mehr Stein gewordene Wissenschaftsgeschichte. Denn in diesem Gebäude befand sich von den zwanziger Jahren bis Kriegsende das „Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik“. In den frühen vierziger Jahren forschte hier ein Nazi-Arzt namens Josef Mengele.

Was für eine Konzentration von Geschichte an einem Ort. Die bewegten Studenten von 1968 müssen geglaubt haben, sie könnten von hier aus, mit dem OSI als ideellem Zentrum, endlich mit der deutschen Vergangenheit abrechnen. Gerade hier am OSI, wo die Politik Lehr- und Lerninhalt war, an dem Institut, das mal unter dem stolzen Namen „Hochschule für Politik“ gegründet worden war - gleich um die Ecke vom Henry-Ford-Bau mit dem großen Audimax und der Universtitätsbibliothek in der Garystraße, der Gebäude also, die für den Geist der Freiheit stehen, den die Freie Universität im freien Teil Berlins lehren und verbreiten sollte.

1968 kollidierten am OSI Wissenschaft und Ideologie

1968 war die Kollision der Ideale enorm - und am OSI so deutlich zu spüren wie schon im Juni 1967 an der Deutschen Oper, als bei den Zusammenstößen zwischen demonstrierenden Studenten und der Polizei der Student Benno Ohnesorg erschossen wurde. Am OSI kollidierten 1968 Wissenschaft und Ideologie, Skeptizismus und Glaubensbereitschaft (wenngleich der Marxismus damals als höhere Form der Wahrheit galt). Der Lärm der Kollision hallte durch die siebziger und bis in die frühen neunziger Jahre nach. So lange verstand sich das OSI als links.

So heftig war das Gegeneinander, dass 1968 eine Spaltung des Instituts diskutiert wurde: auf der einen Seite die „Marxisten“, auf der anderen Seite eher bürgerliche Politologen, die vom OSI weg und an ein anderes Institut wollten. So ging es zum Beispiel dem Historiker Arnulf Baring. Er wollte im Winter 1968 eine Professur am Otto-Suhr-Institut antreten.

Nach einem mehrmonatigen Aufenthalt in den Vereinigten Staaten erkannte Baring die FU kaum wieder, wie er in seinen Lebenserinnerungen schreibt: „Ich erinnere mich noch an mein Entsetzen, als ich das Universitätsgelände betrat. Als Erstes sprang mir eine Parole am Osteuropa-Institut der FU, ein Nachbargebäude des Otto-Suhr-Instituts, ins Auge, dessen Direktor damals der Historiker Werner Philipp war. Mit großen Buchstaben hatte jemand den Satz ,Stellt den Philipp an die Wand, denn er ist ein Denunziant' auf die Mauer geschmiert.“ Baring selbst wurde bald als „CIA-Agent“ bezeichnet. Als es ihm möglich war, zog er samt seiner Professur ans historische Institut der FU um.

Lächeln über die alten Anekdoten

Der Geist der Revolte - oder war es eher die Attitüde des Möchtegernrevoluzzers? - hielt sich am OSI weit über die Jahre der Studentenbewegung und die radikalen Siebziger hinaus. Noch in den Achtzigern bekam der linke Professor Wolf-Dieter Narr in einem Seminar zum Anarchismus zu hören, es sei ja wohl eine Zumutung, die an Erpressung grenze, wenn er für die Bescheinigung der Teilnahme eine Seminararbeit fordere.

Und heute? In einem kleinen Zimmer in der Ihnestraße sitzt Institutsdirektor Bernd Ladwig und lächelt über solche Anekdoten. 1988 hat er am OSI sein Studium begonnen. Bis in die frühen Neunziger habe es einen „tiefen Graben zwischen bürgerlichen und marxistischen Wissenschaftlern“ gegeben, sagt er. Zugeschüttet haben ihn die Professorin Gesine Schwan, eine bürgerliche Sozialdemokratin, und ihr marxistisch orientierter Kollege Bodo Zeuner, indem sie eine gemeinsame Einführung in das Fach gaben. Dass dies möglich geworden war, lag wohl am Ende des Kalten Krieges mit dem Fall der Mauer. „Damit entfiel diese große politische Rahmenerzählung“ für den Konflikt zwischen Bürgerlichen und Marxisten, sagt Ladwig.

Heute zeichne sich das OSI dadurch aus, dass man Wert auf Internationalität und auf Stärke bei der Einwerbung von Drittmitteln lege, zum Beispiel am Umweltzentrum und im Bereich Internationale Beziehungen. Inhaltlich gebe es am OSI „ein hohes Maß an Pluralismus“.

Politikwissenschaft ist längst nicht mehr das Fach für Leute, die noch nicht genau wissen, wohin sie wollen. Es unterliegt einem hohen Numerus clausus. Bernd Ladwig zufolge kommen viele Studierende nicht aus Berlin - sie seien also überdurchschnittlich mobil und überdurchschnittlich motiviert. Das OSI ist mit 15 Professuren immer noch das größte Institut für Politikwissenschaft in Deutschland. Allerdings hänge das, was man später mit dem Fach mache, von der Eigeninitiative der Absolventen ab.

Es ist fast ein bisschen wie früher

Zwei Stockwerke tiefer sitzen die 21-jährige Paula Ranft und der ein Jahr ältere Jahne Nicolaisen in einem Kellerraum, sie aus Chemnitz, er aus einem Dorf in Schleswig-Holstein. Der Raum, das „Rote Café“, ist der Ersatz für einen Pavillon hinter dem Institutsbau, ein rot angestrichenes Haus, das aus baulichen Gründen nicht mehr genutzt werden darf. Die beiden machen schnell deutlich, dass sich die Fachschaft als links versteht. Hier im Kellercafé konzentriert sich, wenn man so will, der studentische Idealismus. Sie kennen den Druck, der entsteht, wenn ein Institut möglichst viele Drittmittel einwerben muss: Sie sitzen selbst als Fachschaftler in den Gremien. Und sie kennen den Druck durch die strukturierten Studienzeiten.

Paula Ranft finanziert sich über ein Stipendium - es ist strikt an die Regelstudienzeit gebunden. Die beiden sind hochpolitisch, man kann mit ihnen über Sozialpolitik, Prekarisierung und bedingungslose Grundeinkommen streiten. Idealisten sind sie auch: Beide sagen, sie wollten versuchen, über Bildung die Menschen zu erreichen. Es ist fast ein bisschen wie früher.

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