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FDP-Chef Christian Lindner kann sich eine Zusammenarbeit mit der SPD vorstellen.

© imago images / Mauersberger

50 Jahre sozialliberale Koalition: Christian Lindner entdeckt Zuneigung zur SPD

FDP-Chef Christian Lindner und die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles loten Gemeinsamkeiten aus. Zwei zentrale Übereinstimmungen haben sie bereits gefunden.

Die zwei haben sich eigentlich schon lange nichts mehr zu sagen. Ein erbitterter Streit über den richtigen Weg in der Wirtschaftspolitik beendete einst ihr Verhältnis – im Jahr 1982 zerbrach daran die sozialliberale Koalition. Seither gehen Sozialdemokraten und Liberale im Bund getrennte Wege.

Das muss allerdings nicht für alle Ewigkeit so sein – diesen Eindruck vermitteln jetzt FDP-Chef Christian Lindner und die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles. Für Rot-gelb ist im Bund zwar weit und breit keine Mehrheit in Sicht. „Aus dem Stand heraus sind wir noch nicht koalitionsfähig“, sagt Nahles. Aber ausschließen wollen sie und Lindner das auch nicht. Im Gegenteil: Ein wenig benehmen sich die zwei Parteichefs an diesem Montagabend bereits wie politische Partner.

Entspannt und gut gelaunt lehnen Lindner und Nahles auf der Bühne an einem weißen Stehtisch. Er im blauen Anzug, sie im pinken Blazer. Sie lachen zusammen, gehen vertraut miteinander um. Die beiden wollen gemeinsam einen „Blick zurück nach vorn“ wagen. So lautet der Titel der Veranstaltung im Berliner Allianz Forum. Anlass ist ein fast vergessenes Jubiläum: Vor 50 Jahren nahm die sozialliberale Koalition ihre Arbeit auf.

Das war natürlich vor Nahles‘ und Lindners Zeit – beide sind später geboren. Trotzdem schwelgen die zwei sichtlich gerne in der Erinnerung an die „gute alte Zeit“, als ihre zwei Parteien mehr als zehn Jahre im Bund zusammen regierten. Kein Wunder: Die damalige politische Situation steht in keinem Vergleich zur heutigen misslichen Lage der SPD in der großen Koalition. Und die FDP kann mit ihrem Platz auf der Oppositionsbank auch nicht zufrieden sein.

„Historisch bahnbrechend“, schwärmt Lindner dann auch über die Liberalisierung der deutschen Gesellschaft während der 70er Jahre. Auch Nahles ist voll des Lobes für die damalige rot-gelbe Politik, von Bildungsfragen bis hin zu Willy Brandts Ostpolitik. Können SPD und FDP daran wieder anknüpfen?

Kabinett Brandt I: Im Oktober 1969 nahm die rot-gelbe Bundesregierung ihre Arbeit auf.
Kabinett Brandt I: Im Oktober 1969 nahm die rot-gelbe Bundesregierung ihre Arbeit auf.

© picture alliance / dpa

Lindner gibt sich zunächst zurückhaltend. „Parteien folgen ja Entwicklungszyklen“, sagt er. „Da sind sie sich mal näher und mal ferner.“ Und 1982, zum Ende der Koalition mit der SPD, habe man sich eben nicht mehr so nah gestanden. Die FDP habe damals schon gefordert, was die SPD erst Jahre später unter ihrem Kanzler Gerhard Schröder einführte: die Zusammenlegung von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe. „Jetzt bewegt sich die SPD davon wieder weg“, schiebt Lindner mit ernstem Ton nach. Nahles wankt leicht hin und her, presst die Lippen zusammen. Der SPD-Vorsitzenden gefällt die Kritik an ihrem Linkskurs nicht.

Doch dann holt Lindner zur großen Umarmung aus – und die Stimmung hellt sich sofort wieder auf. Er nennt zwei zentrale politische Themen, bei denen SPD und FDP problemlos an einem Strang ziehen könnten: Migration und Umwelt. In der Integrationspolitik passten Sozialdemokraten und FDP zusammen, „weil wir beide weltoffener sind als die CSU, weil beide Parteien Toleranz leben“, sagt Lindner. „Den Gordischen Knoten könnten wir leichter zerschlagen als jede andere Koalition.“ Und: Weder SPD noch FDP seien bei Einwanderungsfragen jemals einem „naiven Irrealismus“ verfallen, betont Lindner. Nahles nickt. Lindner betet gerade etwas vor, das sie „Realismus ohne Ressentiments“ nennt. Die beiden verstehen sich.

Grüne als gemeinsamer Gegner

Dann holt Lindner auch noch zur Attacke auf einen gemeinsamen Gegner aus, den ein politisches Bündnis unbedingt braucht – und sei eine baldige Koalition noch so unwahrscheinlich. Als Ziel seines Angriffs sucht Lindner sich die Grünen aus. Auch das keine Überraschung: Der Höhenflug der Grünen in den Umfragen macht beiden, SPD und FDP, schwer zu schaffen.

Die Ökopartei würden „geradezu mit autoritären Zügen edle Motive vertreten“, ätzt Lindner. Grün stehe für eine Mischung aus Kommunismus und Umweltschutz. Die SPD sei für ihn hingegen „immer noch eine Partei der Mitte. Mitte-Links, nicht nur links.“ Da entfährt Nahles ein lautes, fast erleichtertes „Ja.“ Dann erklärt sie ernst: „Wir sind beide der Meinung, wir brauchen Industrie und Produktion auch in Zukunft in Deutschland.“ Die beiden Parteichefs klingen auffallend ähnlich an diesem 50. Geburtstag der sozialliberalen Koalition.

Zu viel Verbrüderung darf es aber dann doch nicht geben, schließlich stehen wichtige Wahlen an. Also kehren Nahles und Lindner schnell zum jeweiligen Parteiprogramm zurück, betonen ihre Unterschiede in der Renten- oder Steuerpolitik, kritisieren die jeweilige Einstellung des anderen. Nahles verschränkt die Arme, Lindner blickt streng ins Publikum. Sie fallen zurück in ihre Rollen als politische Konkurrenten.

Zu einer scharfen politischen Auseinandersetzung kommt es aber nicht zwischen den beiden. In Fahrt kommt die Debatte erst als sich zwei Zeitzeugen der sozialliberalen Koalition aufs Podium setzen: die beiden Ex-Spitzenpolitiker Gerhart Baum (FDP) und Herta Däubler-Gmelin (SPD). Als Lindner der SPD vorwirft, die eigenen Wähler zu vernachlässigen, schimpft Däumler-Gmelin los: „Da brauchen wir keine Ermahnungen!“ Lindner schaut verdutzt und kontert: „Kopfnoten brauche ich auch nicht!“ Und dann teilt er noch ein vergiftetes Lob aus: Für eine Ex-Politikerin sei Däumler-Gmelin ja noch ganz schön gut informiert: „Sie sind voll im Training", ruft Lindner der ehemaligen Justizministerin zu.

Mit diesem Moment ist er dann wieder da, der traditionelle Streit zwischen Sozialdemokraten und Liberalen. Und damit lebt sie kurz wieder auf, die Stimmung, in der die sozialliberale Koalition einst zerbrochen ist.

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